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2.1. Weg der Wirkung – Weg der Erforschung

Orientierungswandel – im Hintergrund der Zivilisation

Zur Vertiefung: Der Orientierungswandel strahlt stark auf unser Menschsein aus – und dieses erfasst wiederum die ganze Zivilisation. Dieser Wirkungsweg lässt sich modellhaft darstellen:

Orientierungswandel → menschlicher Wandel → Zivilisationsbereiche

Umgekehrter Weg der Erforschung

Wenn wir uns diesen Themen als Analytiker nähern, dann sind wir zum umgekehrten Weg gezwungen:

Zivilisationsbereiche → menschlicher Wandel → Orientierungswandel

bzw.

Orientierungswandel ← menschlicher Wandel ← Zivilisationsbereiche

Genauer:

 Man stellt in verschiedenen Zivilisationsbereichen (Wirtschaft, Kulturgattungen, Mode usw.) fest, dass Erklärungsbedarf zu zyklischen oder jedenfalls merkwürdig strukturierten Vorgängen besteht – die man sich nicht zu erklären vermag.

 Dahinter wird schließlich ein tieferer Faktor sichtbar: der Wandel des Menschen selbst. Beispielsweise unterscheiden sich verschiedene Zeiten sehr in ihrem Lebensgefühl; und es ist eigentlich etwas Denkwürdiges, dass wir in eine Zeit mit einem bestimmten Grundgefühl (und vielen weiteren zeittypischen menschlichen Merkmalen) hineingeboren werden. – Aber warum wandeln sich die je vorherrschenden (kollektiven) Gefühle?

 Das führt uns schließlich zum Orientierungswandel im Hintergrund (im Fundament) unserer Zivilisation.

Befunde – und ihre Erklärung

 Weiß man vom Orientierungswandel – so werden die Wendungen des menschlichen Wandels verständlich.

 Und es wird erklärlich, warum diese verwandte Strukturen ihres Wandels aufweisen.

Zum Forschungsweg

Im Folgenden ist dieser Forschungsweg zu den Orientierungszyklen noch etwas eingehender zu skizzieren – um zu zeigen, warum jeweils alternative Denkmöglichkeiten nicht in Betracht kommen.

a) Interdisziplinärer Blick erforderlich („Abgleichungsforschungen“)

Diachronische Analyse (Strukturen des Wandels)

Man muss zunächst wissen: Jeder Geschichtsstrang (d.h. jeder Zivilisationsbereich, in seinem geschichtlichen Wandel und Werden verfolgt), weist spezifische Strukturen auf: Brüche, Wendungen im geschichtlichen Verlauf. Beispielsweise entstehen je neue Stilrichtungen in den Künsten, in der Architektur, in der Musik. – D.h. die Kunst-, Musik-, Architekturgeschichte (ebenso wie die Geschichte vieler weiterer Bereiche) zeigt uns einen je strukturierten Wandel.

Abgleichungsforschungen

Nun ist es eine elementare, extrem spannende Aufgabe, diese verschiedenen „Geschichtsstränge“ miteinander zu vergleichen. Man legt sie gewissermaßen nebeneinander: Wann traten jeweils Brüche und Wendungen ein, wann traten je neue Haltungen auf?

b) Verwandte (homöomorphe) Strukturen – je zeitnaher Wandel

Denkwürdige Befunde: Verwandte Strukturen

Die Abgleichungsforschungen liefern uns etwas Denkwürdiges:

 Es gibt eine verwandte Struktur der Geschichtsstränge (also des Wandels der verschiedensten Zivilisationsbereiche). Diese erfahren jeweils – zeitnah und inhaltlich verwandt – je neue Wendungen und daraus hervorgehende neue Haltungen.

Im Übrigen helfen solche interdisziplinären Vergleichsblicke sehr, insgesamt genauer zu beobachten – auch je „bereichsintern“.

Vertiefung: Zeitnahe Wendungen und Brüche (Phasen)

Weitere Forschungen vertiefen dieses Bild:

 Es existieren regelrechte Phasen (mit je besonderen Situationsmerkmalen). Zwischen die Phasen treten „Situationsbrüche“ – in denen Merkmale einer Phase verschwinden und neue hervortreten. (Ein Beispiel wäre der Stilwandel in der Kultur.)

 Inhaltlich ist jede Phase mit einer je besonderen menschlichen Haltung verknüpft: Beispielsweise herrschen um 1920 andere Merkmale des Menschseins vor als um 1950 – eine andere Gefühlslage, andere Verhaltensweisen, andere Wertepräferenzen, andere ästhetische Vorstellungen.

 Aus theoretischer Sicht ist eine wichtige Ergänzung erforderlich: Man findet für diese Strukturen des Wandels keine wirklich guten Erklärungen.

Suche nach einer so machtvollen, „übergreifend“ wirksamen Ursache

Diese rätselhaften Eigenschaften können nur so erklärt werden: Offensichtlich ist eine machtvolle „übergreifend“ wirksame Ursache am Werk – eine so spezifisch beschaffene Ursache, dass sie unterschiedlichste Zivilisationsbereiche beeinflussen kann. – Welche Ursache? Welcher starke, prägende Faktor?

c) Zu den tieferen Ursachen: Im Wandel des Menschen selbst zu finden

Fortsetzung: Phasen des menschlichen Wandels (Megafaktor Mensch)

Nun führt uns ein folgerichtiger und einfacher Schritt zu den tieferen Ursachen:

 Denn, wie schon festgestellt wurde, hat jede Phase ihr je besonderes Menschentum.

Zur weiteren Verfestigung dieser Erklärung: Das Menschentum einer Zeit lässt sich in vielfältige Merkmale ausdiffenzieren:

 U.a. gehören dazu Werte, Gefühle, Bedürfnisse, ästhetische Vorstellungen, Ideale, äußeres und geistiges Menschenbild, Geschlechterbilder und -verhältnis, Grundkonsens, Verhaltensweisen, menschliche Institutionen.

 Diese Merkmale verweisen „zeittypisch“ aufeinander, sie bilden einen Verweisungszusammenhang. Sie sind je stimmig.

Vertiefung: Je „stimmiges“ Gesamtbild des Menschen (Verweisungszusammenhang)

 Zu Zeiten einer zuversichtlichen Grundhaltung bringen die Menschen einander höheren Respekt entgegen (man könnte auch sagen: dem gemeinsamen Menschentum, das jedes Individuum in sich selbst hat); damit verbindet sich größere Wertschätzung für die menschliche Rationalität; Konflikte werden eher abgemildert.

 Zu anderen Zeiten zeigen sich gegenseitige Tendenzen: ein bedrücktes, wenig selbstgewisses Lebensgefühl, eine Abwertung des Menschen und seiner Vernunft.

Forschungsgeschichtlich wäre anzumerken, dass man uns bereits im 19. Jahrhundert auf diesen Megafaktor Mensch und genauer den Megafaktor „menschlicher Wandel“ (kollektiver menschlicher Wandel) aufmerksam gemacht hat. Hippolyte Taine etwa schreibt vom charakteristischen „Sigel“ des je zeittypischen Menschentums, das den unterschiedlichsten Zeitzeugnissen aufgedrückt werde – wir würden es vielleicht eher mit einem Fingerabdruck vergleichen.

d) Rekonstruktion und Rätsel des menschlichen Wandels

Der menschliche Wandel ist also jener Mega-Faktor im Hintergrund, den es zu suchen galt (längst hätten wir ihn viel genauer und methodischer ins Auge fassen müssen). – Seine Macht erklärt sich leicht: Die Menschen einer Zeit tragen ihre Gefühle, Haltungen, Ideen

 mit sich –

 und an alles heran, was sie tun, ersinnen, herstellen.

Dadurch hat der menschliche Wandel eine starke, prägende Ausstrahlung.

Weitere Analyse des menschlichen Wandels (Rekonstruktion)

Der nächste große Forschungsschritt muss darin bestehen, diesen menschlichen Wandel (in interdisziplinärer Zusammenschau) eingehend zu rekonstruieren. Es zeigt sich,

 dass der menschliche Wandel erstaunlich wendungsreich verläuft.

 Und weiter: Diese Wendungen haben ausgeprägte zyklische Merkmale;

 und sie scheinen das Wesen des Menschen selbst zu erfassen.

Erklärungsbedürftig

Damit erweist sich der menschliche Wandel seinerseits als erklärungsbedürftig: Warum gibt es Zeiten eines selbstbewussten Menschseins, mit guten Gefühlen, maßvollen Bedürfnissen, vernünftigen Einstellungen – und Zeiten mit entgegengesetzten Veränderungen des Menschen?

e) Schloss-Schlüssel: Orientierungswandel

Suche nach einem passenden „Schlüssel“

Es wurde schon früher angedeutet: Die „üblichen“ Erklärungsmuster – etwa durch die Politik, durch Gesellschaft, Wirtschaft oder Religion – scheiden aus. Sie sind allesamt zu grobschlächtig. Weshalb sollten sie regelmäßig eintretende Krisen (Schwächephasen) des Menschseins erzeugen? Weshalb sollten sie eine feste Abfolge von Phasen aufweisen? Wie könnten sie differenzierte Kulturmerkmale hervorbringen?

Orientierungswelt im machtvollen Wandel

Man kann sagen: Diese differenzierte Struktur des menschlichen Wandels ist wie ein Schloss (das wir rekonstruiert haben), für das nun ein geeigneter Schlüssel gesucht wird.

Wir finden ihn schließlich im Wandel unserer Orientierungswelt. Dieser erzeugt nämlich genau derartige charakteristische Phasen:

 In Orientierungskrisen erleben die Menschen eine herausfordernde, belastende Situation (begleitet u.a. von verringerter Zuversicht).

 Mit einer Neuorientierung (in die Orientierungskrisen stets münden) kommt es zur inneren Beruhigung, tritt neue Zuversicht auf, fühlt man neue Perspektiven eröffnet und empfindet neuen „Rückenwind“ usw.

Ergänzung: Schlüssel-Schloss

Einige ergänzende Anmerkungen zu diesem Forschungskomplex:

Bislang ist dieser Schlüssel (Orientierungswandel) nicht einfach in irgendeinem Fachbuch zu finden. Durch die ganze bisherige Geschichte hindurch wurde der (Orientierungs-)Stand des Menschen nie auf irgendwelchen Steintafeln oder Pergamentseiten aufgezeichnet.

Vielmehr ist erforderlich, ihn seinerseits analytisch zu rekonstruieren. (Ich verwende ein Set von etwa 80 aufeinander abgestimmten Methoden und Arbeitsschritten – mit vielen nochmals darin inbegriffenen Teilschritten und Methoden.)

Dass wir das „Schloss“ des menschlichen Wandels besitzen, hilft uns, den dazu passenden „Schlüssel“ (in seiner konkreten Gestalt) aufzudecken: nämlich die Orientierungszyklen, die ihn auslösen.

Modellhafte Darstellung

Man gelangt somit zu folgendem Modell:

Orientierungswandel → Menschlicher Wandel → Zivilisation (Bereiche)

Zyklische Veränderungen der modernen Zivilisation und Wirtschaft

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