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AUF DEM BODEN

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Die Wohnungsabnahme nahm kein Ende. Unser Hund hatte sich auf den Balkon geflüchtet, wo er hechelnd in der Sonne lag, während sich die Wohnung von Minute zu Minute mehr mit Menschen füllte. Es waren bereits ein gutes Dutzend Vermieter anwesend und es trafen unaufhörlich weitere ein, wie mir meine Frau, die mit einem Tablett voller Häppchen verloren in der Menge stand, in einem Moment der Panik zuflüsterte. Bald war kein Durchkommen mehr möglich.

„Meine Herren“, versuchte ich mir Gehör zu verschaffen, „die Lackierung des Heizkörpers war schon beim Einzug schadhaft.“

Niemand beachtete mich. Soeben war ein neuer Schwung Vermieter eingetroffen und wurde von den Anwesenden, es mussten inzwischen mindestens fünfzig oder sechzig sein, lautstark begrüßt.

„Meine Herren“, rief ich, „der Spiegelschrank im Badezimmer …“

Jemand rempelte mich an, ich fuhr herum und sah, während ich mich bemühte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, den Arm meiner Frau mitsamt dem Tablett aus dem Leibermeer ragen. Der hochgereckte Arm zitterte, das Tablett neigte sich bedenklich in die Schräge, wieder wurde ich angerempelt. Diesmal von vorn. „Sie stehen uns im Weg“, sagten mehrere Vermieter im Chor. „Machen Sie Platz! Da ist eine Dame, die uns mit Schnittchen milde zu stimmen versucht. Doch uns milde stimmen zu wollen, ist sinnlos. Es bleibt unübersehbar: Die Wohnung ist in einem katastrophalen Zustand!“

Ich öffnete den Mund, um zu einer Rechtfertigung anzusetzen, doch da nahm mir ein klein gewachsener Herr den Mietvertrag aus der Hand und verschwand damit übertrieben armrudernd in der Menge, wo sich eine schmale Gasse geöffnet hatte, die sich hinter ihm wieder schloss wie ein aufrecht stehendes Lippenpaar. Im Gänsemarsch drängten Neuankömmlinge in die Wohnung. Man begrüßte sie mit Jubelrufen. Hände wurden geschüttelt, Schultern wurden beklopft. Um dem nicht abreißenden Strom der Neuankömmlinge Platz in der bis zum Bersten überfüllten Wohnung zu schaffen, wurden an den merkwürdigsten Stellen Türen zu Räumen geöffnet, die ich nie zuvor gesehen hatte. Jemand hielt meinen Kopf eine Weile von hinten fest, aber aus den Augenwinkeln sah ich, wie ein Vermieter auf den Rücken eines anderen kletterte, knapp unter der Decke die Tapete löste und ein rechteckiges Loch in der Wand freilegte, worin mehrere mit bräunlicher Flüssigkeit gefüllte Gläser standen.

„Meine Herren“, rief ich, „meine lieben Herren! Da gibt es einen kleineren Wasserschaden, das gebe ich gerne zu, aber dieses Loch in der Wand ist mir unbekannt. Wir haben, und ich bitte Sie, dies zur Kenntnis zu nehmen, mit diesem Loch nichts zu tun!“ Hilfesuchend sah ich mich nach meiner Frau um, doch die Leiberwalze drängte mich, wobei alle Vermieter Zischlaute ausstießen wie Ganter, die ihre Brut beschützen, aus dem Raum in eine hohe Halle, deren Leere jedoch nur für kurze Zeit wohltuend war, hatte sie sich doch in Windeseile mit Vermietern gefüllt. Ich hob den Blick zur stuckverzierten Decke des Saales und dachte halb befremdet, halb belustigt: Deshalb also die horrend hohen Heizkosten für eine Dreizimmerwohnung. An manchen Stellen war der Stuck schwarz von Ruß. Ein Korken glitt in unmittelbarer Nähe aus einem Flaschenhals. Mehr bekümmerte mich jedoch das ferne Hundegebell. Einige Vermieter lachten, Papier wurde zerrissen, jemand trug eine Wanne auf dem Kopf vorüber, aus der eine trübe, zähe, teigähnliche Masse auf den Boden schwappte.

„Die Dielen im Wohnzimmer“, insistierte ich, die Arme schwenkend wie ein Fluglotse, „waren im Fensterbereich schon beim Einzug abgewetzt und verkratzt. Der Boden müsste an dieser Stelle bloß abgeschliffen werden.“ Jemand rammte mir etwas in den Rücken. Ich drehte mich um, wollte den Rüpel zur Rede stellen, wurde aber zugleich von vielen Händen gepackt und zu Boden gezogen. Das Gesicht auf den Dielen, roch ich feuchtes, vermodertes Holz.

„Meine Herren“, schrie ich, „das ist doch keine Art!“ Ein Fuß setzte sich mir ins Genick, übte gleichmäßig anwachsenden Druck aus. Meine Schneidezähne gruben sich in butterweiche Bodendielen. Wirbel knackten, als ich mich dem Druck widersetzte. Schließlich gelang es mir, den Kopf in eine halbwegs erträgliche Lage zu bringen. Den Geräuschen nach zu schließen, traf gerade ein weiterer Schwung Vermieter ein. Lackierte Schuhe, Hosenbeine mit Bügelfalte, mehr sah ich nicht. Und als die Schuhe von allen Seiten immer näher auf mich zurückten, begriff ich, wie ich enden würde: auf dem verrotteten Boden eines mir gänzlich unbekannten Raums meiner verwüsteten Wohnung, zertrampelt von meinen eigenen Vermietern.

Andere Häfen

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