Читать книгу Andere Häfen - Christopher Ecker - Страница 8
ANDERE HÄFEN
ОглавлениеIm Hafen zu liegen und auf Ladung zu warten, die sich aufgrund von unverständlichen und schikanösen Zollbestimmungen kaum fünfzig Meter entfernt in einer mit Backsteinen ausgemauerten Grube unter Zeltplane türmte, war nichts Neues für uns. Unangenehm war jedoch die Witterung. Alle paar Stunden schickte ich die Mannschaft mit Hacken hinaus aufs Eis, um zu verhindern, dass das Schiff festfror, und wenn sie rotgesichtig ihre tauben Hände am Ofen der Kombüse wärmten, verfluchten sie mich und ihr Los, aber sie hatten, wie sie wahrscheinlich ahnten, keine andere Wahl.
Ich saß fast die ganze Zeit, in mehrere Mäntel und Decken gehüllt, in der Koje und fühlte mich wie ein auf den Rücken gefallener Taschenkrebs, was kein unvertrautes, wohl aber bei dieser Kälte ein schwer zu ertragendes Gefühl war. Bisweilen sah ich meine Eltern, die tadelnd in der Kajüte erschienen, um sie mit staksenden, vogelähnlichen Schritten zu durchmessen. Und einmal erschien ein alter Herr, in dem ich den Vater einer Frau vermutete, die ich vor Jahren verlassen hatte. Er stützte sich mit beiden Händen auf den Knauf seines Stockes und sah mich mehr neugierig als mitleidig an.
„Nun wartest du wieder“, sagte er, indem er seine Unterlippe wie ein Kind benagte, das erwartet, für das, was es sagt, getadelt zu werden.
„Sie werden die Fracht bald freigeben“, sagte ich.
„Es steht schlimm um dich, wenn du schon mit“, er gluckste, „Phantomen redest.“
Ich zuckte die Achseln und wiederholte, da ich dem Vorwurf nichts entgegenzusetzen wusste: „Sie werden die Fracht bald freigeben.“
Der Alte stieß mit dem Stock zornig auf die Planken und rief: „Niemals! Die Fracht, auf die du wartest, freizugeben, ist strengstens untersagt. Man lässt dich warten und nährt deine Hoffnung, aber selbst die Zöllnergehilfen wissen, dass dieses Schiff nie beladen werden darf. Und sie wissen das, weil kein Schiff im Hafen liegt. Deine Eltern versuchten sie vergeblich zu überzeugen, aber als sie schließlich von einem der leitenden Direktoren ans Fenster geführt wurden, mussten sogar sie zugeben, dass das Hafenbecken leer ist. Und wenn nicht einmal deine Verwandten dir helfen können, wer dann?“
Ich zog mir die Decke über den Kopf und lauschte dem dumpfen, mit einem Mal beruhigenden Geräusch der Hacken auf dem vorrückenden Eis. Was ist wichtig?, überlegte ich, bevor sich der Schlaf über mein Bewusstsein stülpte wie ein Kohleneimer. Die Fracht, die ausblieb und möglicherweise nie eintraf, war es jedenfalls nicht.