Читать книгу Verschollen am Mount McKinley / Die Wölfe vom Rock Creek - Christopher Ross - Страница 12
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Julie schaffte es in weniger als zwei Stunden zu dem Felsvorsprung. Vor allem auf den letzten Metern zahlte sich ihr regelmäßiges Training mit dem Hundeschlitten aus. Dort führten die Spuren der Wandergruppe über mehrere steile Hänge, und sie hatte es vor allem ihrer guten Kondition zu verdanken, dass sie kaum ins Schwitzen geriet. Die eisige Kälte und den Wind, der unablässig über die Hügel strich, wenn auch nicht besonders stark, war sie seit Langem gewöhnt. Schon in Montana waren die Winter meist extrem kalt gewesen.
Auf jeder Hügelkuppe blieb Julie kurz stehen und genoss ihre Umgebung. Mit ihren Hunden war sie schon oft im Hinterland gewesen, auch in den Nationalparks, aber Carol hatte eine besonders attraktive Route ausgesucht, und das Wetter meinte es so gut mit ihnen, dass die Wanderung zu einem unvergesslichen Erlebnis wurde. Wenn sie auf einem verschneiten Hügel stand, einsam und allein und von unermesslicher Natur umgeben, kam sie sich wie in einem Paradies vor, in dem die Welt noch in ihrem Urzustand verharrte und wie am Schöpfungstag aussah. So hatte sich Gott wohl die Erde vorgestellt und gehofft, der Mensch würde sie nicht mit seinem Dreck und seinen Abgasen verschmutzen und in Ehrfurcht vor dieser urwüchsigen Schönheit verharren. Sich in diesem Paradies bewegen zu dürfen, war ein Geschenk, und sie würde alles daransetzen, um lange hierbleiben zu können.
Zu dem Felsvorsprung wanden sich die deutlich sichtbaren Spuren der Wandergruppe im Zickzack hinauf, so steil war es dort. Doch unter dem Felsen waren sie windgeschützt, und Carol hatte sogar ihren Gaskocher aus dem Backpack geholt und Tee gekocht. »Kati ist auf dem Heimweg«, berichtete sie Carol, nachdem sie zu den anderen gestoßen war. »Ich glaube, sie ist ganz froh, uns los zu sein.«
»Die Wanderung wäre zu einer Qual für sie geworden«, erwiderte die Rangerin, »und uns hätte sie nur unnötig aufgehalten. Sie kam mir schon heute Morgen etwas seltsam und labil vor. Kein Wunder, wenn man von seinem Freund geschlagen wird. Hoffentlich kehrt sie nicht zu diesem Macho zurück.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
Carol nickte heftig. »Und dann passiert irgendwann was Schlimmeres. Wäre nicht das erste Mal …« Sie blickte nachdenklich ins Leere. »Einer Freundin von mir wäre das beinahe passiert. Ich hab sie angefleht, ihren Mann zu verlassen, aber sie verzieh ihm jedes Mal. Als ob sich so ein Typ ändern würde! Ich hoffe nur, Kati geht es anders. Sie sah mir nicht danach aus, als würde sie so einem Schläger standhalten.«
Julie holte sich einen Becher Tee und dachte an die Scheidung ihrer Eltern, an die bösen Worte, die zwischen ihnen gefallen waren. Obwohl sie damals im College und kaum zu Hause gewesen war, hatte sie ihre Streitereien und, was noch viel schlimmer war, ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem anderen mitbekommen. Ihrem Vater war es beinahe egal gewesen, dass seine Frau mit einem anderen Mann nach Kalifornien gezogen war. Er war ohnehin die meiste Zeit im Krankenhaus. Jetzt hatte er eine Haushälterin, die ihm seine teure Wohnung putzte, und hielt sich nicht einmal eine Geliebte, weil er gar keine Zeit für sie hätte. Ihm gingen seine Karriere und sein Erfolg über alles.
»Julie«, erklang eine leise Stimme hinter ihr. Sie drehte sich um und erkannte Josh, einen Teebecher in den Händen. »Julie! Ich muss dir was sagen.«
»Nicht jetzt, Josh«, wich sie ihm aus.
»Aber es ist wichtig!«
»Ich muss mich um meinen Job kümmern«, erwiderte sie ungehalten. Der Gedanke an die Scheidung ihrer Eltern hatte sie missmutig gestimmt. »Ich hab dir doch gesagt, dass ich hier nicht auf einem Privatausflug bin. Ich kann mich nicht ständig um dich kümmern.«
»Eine Minute!«
»Okay, eine Minute.« Sie trat etwas zur Seite, damit die anderen sie nicht hören konnten, und trank ungeduldig von ihrem Tee. »Aber nicht länger …«
Er wirkte wie ein kleiner Junge, der etwas ausgefressen hatte, und sie kam sich beinahe schon schuldig vor, weil sie so streng und kleinlich zu ihm war. Sie bemühte sich, ihm nicht in die Augen zu sehen. Mit seinem Samtblick hatte er bestimmt schon mehr Mädchen rumgekriegt, und sie wollte sich auf keinen Fall mit ihm einlassen, und wenn er noch so verführerisch aussah.
Er sprach so leise, dass nur sie ihn hören konnte. »Das Mädchen … die junge Frau, die du an der Tankstelle gesehen hast … sie ist meine Schwester.«
»Ja, klar. Fällt dir nichts Besseres ein?«
»Sie ist meine Schwester, Julie … ehrlich!«
Sie hielt sich mit beiden Händen an ihrem Becher fest. »Du bist mir keine Rechenschaft schuldig, Josh. Wir hatten noch nicht mal ein Date. Du kannst mit so vielen Mädchen oder jungen Frauen ausgehen, wie du willst.«
»Ich will aber mit dir ausgehen. Seitdem ich dich getroffen habe, habe ich gar keine Lust mehr, mich mit anderen Mädchen zu treffen.« Er kramte seinen Geldbeutel aus der Anoraktasche und zog ein Foto heraus. »Hier … das ist Susan … so heißt meine Schwester … das ist Susan mit ihrem Mann. Erkennst du sie wieder?«
Julie betrachtete das Foto und erkannte die junge Frau von der Tankstelle, nur dass sie diesmal ein Brautkleid trug und der Mann neben ihr einen dunklen Anzug mit einem Blumensträußchen am Revers. Es gab keinen Zweifel.
»Sie war auf einem Jahrgangstreffen ihres College. Ihr Mann ist auf Geschäftsreise in Kalifornien. Auf dem Rückweg hatte sie eine Autopanne, und da sie sich den teuren Abschleppdienst ersparen wollte, rief sie mich an.« Er versuchte ein Lächeln, das ihm nicht ganz gelang. »Susan ist ein Geizhals.«
Sie reichte ihm das Foto zurück, wusste nicht so recht, was sie sagen sollte. »Tut mir leid«, brachte sie schließlich mühsam hervor. »Da lag ich wohl ziemlich daneben.« Sie wagte nicht, ihm in die Augen zu blicken, diesmal aus Scham und Verlegenheit. »Und ich dachte, du wärst so ein … ein Womanizer.«
»Na ja …« Er grinste. »Früher …«
»Es tut mir leid, Josh. Okay?«
»Schon gut. Aber …«
»Wann geht’s eigentlich weiter?«, übertönte Gary Clarke das allgemeine Gemurmel mit seiner zu lauten Stimme, in der fast immer ein spöttischer Unterton mitschwang. »Oder wollen wir hier festfrieren? Ich dachte, wir sind auf einer Wanderung.« Er blickte Carol an. »Oder sind Sie schon müde, Ranger?«
Carol ließ sich nicht provozieren. »Ich bin hellwach, Gary. Und keine Angst, Sie kommen heute noch auf Ihre Kosten. Auf den nächsten Meilen geht es ständig bergauf und bergab, dafür brauchen wir eine Menge Kraft, und die haben wir nur, wenn wir ausgeruht an die Sache herangehen. Mike und Ruth machen es richtig, die essen was Kleines, bevor wir weiterlaufen.«
»Einen Schokoriegel?« Gary lachte.
»Einen Kraftriegel«, verbesserte ihn Mike, »ohne Zucker und Schokolade. Wenn wir den gegessen haben, brauchen wir den ganzen Tag nichts anderes.« Er kramte einen Riegel aus seinem Backpack. »Auch einen? Aus unserem Sportgeschäft. Bei einem Einkauf über fünfzig Dollar gibt’s so was umsonst.«
»Wir sind bestens ausgerüstet.«
»Ein Geschenk des Hauses.«
Gary schüttelte lachend den Kopf und packte ein Sandwich aus. Die eine Hälfte gab er seinem Bruder. »Wir essen lieber was Anständiges. Wenn wir auf den Denali klettern würden, wär’s was anderes, aber diesen Seniorentrip schaffen wir auch mit vollem Magen.« Er biss herzhaft in sein Sandwich und grinste seinen Bruder an, zwei ungezogene Jungen, die alle herausfordern wollten.
»Ein voller Bauch, der läuft nicht gern«, sagte Mike.
»Und fällt öfter mal auf die Nase«, fügte seine Frau hinzu.
»Wir sind in Topform«, widersprach Gary kauend, »vor einigen Wochen, bei den Meisterschaften in der Sierra Nevada, hätte ich auch mit dem Bauch voll Schokolade gewonnen, so groß war mein Vorsprung. Und Chris …« Er blickte seinen Bruder an. »… ist immerhin Dritter geworden.« Er trank einen Schluck und grinste schon wieder. »Und Sie? Stehen die ganze Woche in Ihrem Sportgeschäft und tummeln sich am Sonntag mit Touristen auf der Skipiste?«
Mike blieb gelassen. »Ruth war kalifornische Meisterin im Abfahrtslauf und wäre bei den Olympischen Spielen dabei gewesen, wenn sie sich nicht den Fuß gebrochen hätte. Ich bin sicher, ihr würden Sie nicht mal auf dem Snowboard davonfahren. Und ich war Dritter – bei den US-Meisterschaften.«
Darauf wusste Gary gar nichts mehr zu sagen. Er wandte sich ab und biss so wütend in sein Sandwich, dass ihm beinahe die Hälfte zu Boden fiel. Julie und Carol unterdrückten nur mühsam ein Lachen, genauso wie Mike und Ruth Linaker. Sie gehörten nicht zu den Sportlern, die ständig mit ihren Erfolgen angaben, aber die Steilvorlage der Brüder war zu verlockend gewesen.
Nur Scott Jacobsen interessierte der amüsante Wortwechsel nicht. Er stand etwas abseits, trank langsam von seinem Tee und ging seiner Lieblingsbeschäftigung nach: Als würde er vom Mount McKinley auf magische Weise angezogen, starrte er auf den Berg, dessen Gipfel bereits wieder hinter einigen Wolken verschwunden war. Seltsamer Vogel, dachte Julie. Für einen Mann aus Chicago hatte er sich jedoch besser gehalten, als sie befürchtet hatte. Er stand sogar relativ sicher auf seinen Schneeschuhen und hielt sich streng an die Anweisungen der Rangerin. Anscheinend hatte er lange geübt.
Sie fing einen Blick von Carol auf und ging zu ihm. Offenbar befürchtete die Rangerin, er könnte Angst haben und die Wanderung ebenso gefährden wie Kati Wilcott. In den Bergen wäre es zu spät zum Umkehren, und einen Hubschrauber rief man nur, wenn Lebensgefahr bestand oder ein Teilnehmer spurlos verschwunden war. »Ich frage mich immer noch, was jemand aus Chicago dazu bewegt, auf Schneeschuhen in die Wildnis zu wandern«, unterbrach Julie seine Gedanken. »Nur wegen der Bücher Ihres Vaters?«
Jacobsen lächelte flüchtig, wurde aber gleich wieder ernst. »Mein Vater war ein begeisterter Bergsteiger, und wenn er mir abends eine Geschichte erzählte, dann handelte sie meist von Alaska. Ich wusste schon vom Mount McKinley, bevor ich vom Mount Everest oder Nanga Parbat hörte. Schon damals entschloss ich mich, mir den Berg aus der Nähe anzusehen, aber irgendwie kam es nie dazu. Das College, die Karriere … ich arbeite in einer großen Werbeagentur. Erst als ich …« Er hielt mitten im Satz inne, als hätte er Angst, ein Geheimnis zu verraten. »Erst jetzt hat es geklappt. Der Berg … der Mount McKinley …« Er wirkte plötzlich unsicher. »… dieser Berg … er wirkt so unnahbar … man könnte Angst vor ihm bekommen … ich möchte nicht wissen, wie viel Leid einige Menschen an diesen eisigen Wänden erfahren mussten.«
»Und dennoch ist er wunderschön, finden Sie nicht auch?« Sie blickte auf den Berg, der inzwischen fast vollkommen in den Wolken verschwunden war. »Auch wenn man ihn kaum zu sehen bekommt.« Sie blickte Jacobsen an. »Ihr Vater war Bergsteiger, sagen Sie? War er jemals am Mount McKinley?«
Jacobsen antwortete nicht. Er war mit seinen Gedanken schon wieder ganz woanders und schien nicht einmal zu merken, dass Julie neben ihm stand. In seinen Augen war wieder jene Entschlossenheit zu sehen, die sie schon in der Lodge bemerkt hatte. Was war nur mit ihm los? Wie konnte man von einem Berg so besessen sein, wenn man aus einer Großstadt kam und kein Bergsteiger war?
Sie ging zu Carol und half ihr, den Gaskocher zusammenzupacken. Die Linakers unterhielten sich leise, anscheinend über die Clarke-Brüder, wenn man nach den amüsierten Blicken ging, die sie ihnen zuwarfen. Gary und Chris standen bereits vor dem Felsvorsprung und wären wohl am liebsten sofort losmarschiert, so ungeduldig blickten sie in den Dunst über den Bäumen. Josh saß auf seinem Backpack und blickte nachdenklich in seinen Becher.
»Ein komischer Kauz«, flüsterte Julie der Rangerin zu. »Sein Vater hat ihm vom Mount McKinley erzählt, seitdem ist er besessen von dem Berg. Vielleicht bereut er, kein Bergsteiger wie sein Vater geworden zu sein.« Sie warf einen verstohlenen Blick auf Jacobsen, der immer noch auf den Mount McKinley starrte. »Aber Angst hat er nicht, und auf Schneeschuhen kommt er ganz gut zurecht.« Sie lächelte. »Für einen Mann aus Chicago, meine ich.«
»Sein Vater war Bergsteiger?« Carol runzelte die Stirn.
»Er ist früh gestorben. Ein Unfall.«
»Jacobsen … irgendwie kommt mir der Name bekannt vor.«
Nachdem sie den Gaskocher im Backpack verstaut hatten, marschierten sie weiter. Vor ihnen lagen zerklüftete Bergtäler, die sich teilweise tief in die Ausläufer der Alaska Range gegraben hatten und einigen Nebenflüssen des McKinley Rivers folgten, die in dem Schnee und dem Eis kaum zu sehen waren. Steile Felswände und schräg abfallende Hänge verhinderten, dass das wenige Licht, das im Winter über den Horizont kroch, in den Abgrund drang.
Der schmale Jagdtrail, der unter der tiefen Schneedecke nur zu erahnen war, führte dicht an der Felswand entlang und über einige verschneite Hügel nach Süden. Carol war unzählige Male über den Trail gewandert, im Winter wie im Sommer, und wusste genau, wo er verlief. »Kein Grund zur Sorge«, rief sie den Teilnehmern zu, »solange Sie dicht hinter mir bleiben, kann gar nichts passieren. Der Trail ist breit genug, sonst hätten wir eine andere Route genommen. Sobald wir über die Hügel sind, geht es in eines der Täler hinab.«
Julie ging wieder am Schluss und hatte diesmal die Linakers vor sich. Carol hatte darauf geachtet, dass Jacobsen und die Clarke-Brüder in der Mitte liefen, wo sie besser geschützt waren. Josh lief hinter der Rangerin, ein gelungener Schachzug, um ihn daran zu hindern, auf diesem gefährlichen Teilstück mit Julie zu reden. Eine Unterhaltung hätte sie beide nur abgelenkt, das musste auch Julie zugeben. Warum tust du nicht einfach das, was du dir vorgenommen hast, erinnerte sie sich an ihren Schwur, Josh Alexander wie jeden anderen Wanderer zu behandeln und alle Gefühle außen vor zu lassen. Wenn das so einfach wäre, fiel es ihr im selben Atemzug ein, doch ihr Wunsch, auf Dauer bei den Rangern im Denali National Park zu arbeiten, war groß und erleichterte ihr die Entscheidung. Wenn ihm so viel an ihr lag, konnte er sie auch an ihrem freien Tag besuchen oder nach Feierabend mit ihr sprechen.
»Ranger!«, rief Gary, als sie die Hügel erreichten, und Carol sie über den verschneiten Hang zu führen begann. »Warum kürzen wir nicht quer über den Hang ab? Ist doch viel kürzer, und den Tiefschnee schaffen wir locker!«
Noch bevor Carol antwortete, scherte er aus der Gruppe aus, dicht gefolgt von seinem jüngeren Bruder, und stapfte über den steilen Hang davon. »Sehen Sie? So sparen wir uns mindestens eine halbe Meile! Ist ganz einfach!«
»Zurück! Sofort zurück!«, rief Carol entsetzt.
Die beiden jungen Männer lachten nur, wollten der Rangerin wohl zeigen, dass sie sich auch ohne Führerin in den Bergen zurechtfanden, doch schon im nächsten Augenblick verging ihnen das Lachen, und Entsetzen zeigte sich in ihren Augen. Mit einem leisen Knacken brach der Schnee unter ihnen weg, und sie verloren das Gleichgewicht. Die abrutschenden Schneemassen rissen die beiden den Hang hinab und begruben sie unter dem wirbelnden Weiß.
Julie war genauso entsetzt wie die anderen, fing sich aber relativ schnell, ließ ihren Backpack fallen und folgte Carol, die keine Sekunde gezögert hatte und sich bereits auf dem Hang befand. Mit seitlichen Schritten stieg die Rangerin zu den Schneemassen hinab, die sich vor drei verkrüppelten Schwarzfichten angehäuft hatten. »Bleiben Sie, wo Sie sind!«, rief sie den anderen zu. »Julie … du auch! Ich schaffe das auch allein. Ruf die Zentrale, sie sollen sofort einen Hubschrauber schicken! Jetzt zählt jede Sekunde, Julie!«
Julie hatte das Funkgerät bereits in der Hand, als die Entwarnung kam. Gary und Chris gruben sich zwischen den Schwarzfichten aus den Schneemassen und zogen sich lachend an den Stämmen hoch. »Das war wohl nichts!«, rief Gary so fröhlich, als hätte er gerade einen besonders gelungenen Sprung mit seinem Snowboard hinter sich. »Das hätte bei den Meisterschaften nicht mal für den letzten Platz gereicht.« Er klopfte den Schnee von seinem Skianzug. »Warum schauen Sie denn so streng, Ranger? Ist doch nichts passiert.«
»Nichts passiert, sagen Sie?« Carol war außer sich vor Wut. »Sie hätten tot sein können! Wenn die Bäume nicht gewesen wären, lägen Sie jetzt vielleicht da unten in der Schlucht!« Sie deutete in den dunklen Abgrund hinab.
Gary ließ sich nicht einschüchtern. »So steil ist der Hang doch gar nicht. Da sind wir vom Snowboarden ganz andere Sachen gewöhnt, stimmt’s?«
»Und das bisschen Schnee hat uns auch nichts ausgemacht«, unterstützte ihn sein Bruder. »So was passiert uns beim Training öfter. Kein Problem.«
»Kein Problem?« Die Rangerin beruhigte sich nur mühsam, malte sich wohl aus, wie die Schlagzeilen ausgesehen hätten, wenn die beiden Snowboarder tatsächlich in die Schlucht gestürzt wären. »Park Rangerin verschuldet den Tod zweier junger Snowboarder.« Selbst wenn sie keine Schuld getroffen hätte, wäre ihre Karriere beendet gewesen, und man hätte sie sofort entlassen. »Als erfahrene Wintersportler sollten Sie eigentlich besser wissen, dass man in den Bergen kein unnötiges Risiko eingeht. Sind Sie verletzt?«
»Alles noch dran, Ranger«, erwiderte Gary.
»Nichts passiert«, stimmte ihm Chris zu.
»Wenn Sie sich noch das Geringste zuschulden kommen lassen, schicke ich Sie nach Hause!«, warnte Carol. »Haben Sie mich verstanden? Oder ich breche die Wanderung ab, und Sie können sich auf saftige Schadenersatzforderungen gefasst machen. Bleiben Sie hinter mir, dann gibt es keinen Ärger.«
»Aye, Ranger.« Gary klang schon kleinlauter.
»Geht in Ordnung, Ranger«, versprach Chris.
»Und jetzt kommen Sie! Noch so eine Unterbrechung, und wir müssen unsere Zelte auf einem Hügel aufbauen, kein Vergnügen, das kann ich Ihnen versichern.« Sie wandte sich an die anderen. »Alles okay, es geht weiter!«