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Viel Zeit zum Schlafen blieb Julie nicht mehr. Sie hätte ohnehin kein Auge zugetan, selbst wenn noch die ganze Nacht vor ihr gelegen hätte. Der Schock saß zu tief. Beinahe wäre Josh in einer fürchterlichen Lawine umgekommen und danach mussten sie ihn auch noch wegen seiner idiotischen und verbotenen Fahrt im Nationalpark festnehmen. Sie wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere, starrte minutenlang zur Decke empor und gab auf. Wer konnte nach so einer Nacht schon schlafen? Missmutig stieg sie aus dem Bett.

Sie schlüpfte in ihren Trainingsanzug, rannte durch die Kälte zum Shower House und stellte sich unter die Dusche. Das heiße Wasser weckte ihre Lebensgeister, befreite sie aber nicht von den quälenden Gedanken, die sie seit der Festnahme plagten. Josh, ausgerechnet Josh, mit dem sie am Telefon Schluss gemacht hatte. Hatte er deswegen so eine riesige Dummheit begangen? Hatte er sich ihretwegen betrunken, und war sie mitschuldig an seinem verbotenen Ausflug in den Nationalpark? Würde er sein Praktikum bei den Alaska State Troopern beenden müssen und ihr ewig ein schlechtes Gewissen bereiten? Hatte sie seine Karriere zerstört, seinen Traum, für die Trooper zu arbeiten?

Sie versuchte erst gar nicht, nach einer Ausrede zu suchen, auch wenn sie am Telefon nur von einer »Auszeit« gesprochen hatte. Eine höfliche Umschreibung für ein klares Nein, das hatte auch Josh kapiert. Man konnte mit ihm Spaß haben, er war attraktiv, und wenn sie mit ihm unterwegs gewesen war, hatte man ihr neidische Blicke zugeworfen. Aber so richtig gefunkt hatte es nur einige wenige Male, wie bei ihrem Kuss unterm Nordlicht. Und sein Machogehabe und seine fordernde Art hatten ihr nie gefallen. In einen Mann verliebt zu sein, stellte sie sich anders vor. Da musste mehr passieren.

Unterwegs zum Blockhaus kam ihr Carol entgegen. Während sie sich duschte und anzog, bereitete Julie das Frühstück zu, das an diesem Morgen aus einem Müsli mit Früchten, einem Bagel mit Frischkäse und Marmelade und Kaffee bestand. Beim Essen wechselten sie einige Belanglosigkeiten, bis Carol sagte: »Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen, Julie. Du kannst nichts dafür. Wo kämen wir denn hin, wenn man Angst haben müsste, mit jemandem Schluss zu machen, nur weil er danach durchdrehen könnte? Wenn Josh so schlau ist, wie er immer behauptet, muss er doch längst gewusst haben, dass eure Beziehung keine Zukunft haben kann. Ich meins ernst, Julie. Mach dir keine Vorwürfe.«

»Ich hätte es ihm vielleicht schonender beibringen sollen«, erwiderte Julie. Der Bagel schmeckte an diesem Morgen wie Pappe. »Und vor allem persönlich. Ich war immer dagegen, so was übers Telefon oder per SMS zu tun.«

»Es hat sich einfach so ergeben, dass ihr am Handy darüber gesprochen habt. Und du warst rücksichtsvoll.«

Julie ließ den halben Bagel liegen und machte sich an das Müsli. Das schmeckte auch nicht viel besser. »Ich hätte es ihm früher sagen sollen. Wenn ich ehrlich bin, wusste ich doch längst, dass es mit uns nicht klappen kann.«

»Das entschuldigt noch lange nicht, dass er sich mit Bier oder was weiß ich volllaufen lässt, unsere Huskys losbindet und mit einem Snowmobil durch den halben Nationalpark fährt. Dass er sich mit diesem Andy zusammengetan hat, sagt doch einiges.« Sie trank einen Schluck Kaffee und behielt den Becher in der Hand. »Es war nicht nur gegen das Gesetz, sondern auch leichtsinnig, was die beiden getan haben. Es hätte sonst etwas passieren können, wenn du nicht rechtzeitig gekommen wärst.«

»Was geschieht jetzt mit ihnen?«

Carol stellte den Becher ab. »Beide sind Wiederholungstäter. Andy haben wir schon einmal mit dem Snowmobil, und Josh hast du selbst mit dem Hundeschlitten unerlaubt im Park erwischt. Damals haben wir noch Gnade vor Recht ergehen lassen, aber diesmal werden sie wohl nicht um eine saftige Geldstrafe herumkommen. Die wird sie hoffentlich zur Vernunft bringen, obwohl ich das bei Andy stark bezweifle. Im Vorstrafenregister taucht die Strafe jedenfalls nicht auf, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass … nun, dass Josh bei den Troopern bleiben darf. An seiner Stelle würde ich mir für die nächsten Monate einen anderen Job suchen und mich erst dann bei der Law Enforcement Academy bewerben. Wenn er von der Academy fliegen würde, müsste er sich den Job bei der Polizei abschminken. Dort kann er sich solche Dummheiten nicht erlauben.«

Noch bevor Julie die Huskys fütterte, wie sie es jeden Morgen tat, ging sie im Krankenrevier vorbei und sah nach Josh. Ein Ranger der Polizeitruppe hatte ihn und Andy bereits geweckt, und beide saßen an dem einfachen Holztisch im Krankenzimmer und tranken Kaffee. Sie litten offensichtlich unter einem ausgewachsenen Hangover und hielten sich den Brummschädel. »Morgen«, begrüßte Julie die beiden. »Ihr hattet großes Glück, wisst ihr das?«

»Bist du gekommen, um uns einen Vortrag zu halten?«, erwiderte Josh genervt. »Wir haben uns schon genug anhören müssen. Dass wir unverantwortlich gehandelt und uns selbst in Gefahr gebracht hätten, dass wir von Glück sagen könnten, dass du uns gefunden hast, und dass man uns eine saftige Strafe aufbrummen wird. Und jetzt kommst du daher und fängst auch an.«

Julie blickte ihren ehemaligen Freund lange an. Sie hatte geglaubt, dass sie total fertig sein würde, wenn sie Josh wiedersah, doch nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil, sie war vollkommen ruhig und seltsam unbeteiligt. »Ich wollte mich nur entschuldigen … wegen neulich.« Sie warf einen raschen Blick auf Andy, der sich aber noch schlechter zu fühlen schien als Josh und ihnen gar nicht zuhörte. »Ich hätte es dir persönlich sagen sollen. Das mit der Auszeit.«

»Auszeit«, wiederholte er abfällig. »Abserviert hast du mich.«

»Es wäre nicht gut gegangen mit uns.«

»Scheiß drauf.«

»Es tut mir leid, Josh. Ich hoffe, dass du dich trotzdem noch bei der Law Enforcement Academy bewerben kannst, und ich wünsche dir, dass es klappt und du Trooper wirst. Auf Wiedersehen, Josh.«

Sie wartete darauf, dass er etwas sagte, aber es kam nichts, und sie verließ rasch das Krankenrevier. Die eisige Kälte, die sich auch an diesem Morgen vor den Park Headquarters ausbreitete, kam ihr gerade recht. Sie ließ die Tränen gefrieren, noch bevor sie über Julies Wangen rannen und schützte sie vor unangenehmen Fragen, als Ranger Erhart ihr vor den Zwingern begegnete.

»Howdy, Miss Julie.« Obwohl er aus Alaska stammte, empfing er die Kollegen gern mit dem typischen Westerngruß. »Das war gute Arbeit heute Nacht. Sind Sie sicher, dass Sie nicht bei unserer Polizeitruppe mitmachen wollen?«

»Ich helfe gern aus, Ranger Erhart, aber auf Dauer ist das nichts für mich.«

Der Polizeichef grinste. »Sagen Sie das nicht, Miss Julie. Schon mal von Annie Oakley gehört? Die schoss besser als die meisten Männer und durfte sogar in Buffalo Bill’s Wildwestshow auftreten. Dem deutschen Kaiser in Berlin soll sie die Zigarre aus dem Mund geschossen haben. Und Sharon Stone in ›The Quick and the Dead‹ … die hätte sich gut bei unserer Truppe gemacht. Selbst Grace Kelly in ›High Noon‹ half dem Sheriff bei der Arbeit.«

»Mir reichen meine Kurzeinsätze«, sagte Julie. »Ich glaube, bei den Huskys bin ich besser aufgehoben. Chuck wäre furchtbar böse, wenn ich mich kaum noch um ihn kümmern würde, und meine neuen Welpen erst recht.«

»Mag sein, aber wenn Not am Mann ist, hefte ich Ihnen den Stern an.«

Vor ihren Hütten jaulten bereits die Huskys, als Julie die Zwinger erreichte. »Guten Morgen, ihr Lieben«, begrüßte sie die Hunde. »Ich weiß, ich weiß, ich bin spät dran heute Morgen, und ihr habt mächtigen Hunger. Aber das haben wir gleich.« Sie fütterte zuerst ihren Leithund, denn es war wichtig, die Rangordnung unter den Hunden zu respektieren. »Sorry, dass es morgens nur Trockenfutter gibt, wisst ihr ja. Heute Abend gibt’s wieder Lachs und Reis.«

Während sich die erwachsenen Hunde heißhungrig über das Fressen hermachten, fütterte Julie die Welpen. Sie bekamen leichtere Kost, mit Wasser angereichert, die nicht so schwer im Magen lag. Julie musste unwillkürlich lächeln, als sie die noch etwas linkischen Bewegungen der jungen Huskys beobachtete. Ihr Fell fühlte sich weich und flauschig an, und ihr Mienenspiel war noch lange nicht so ausgeprägt wie bei ihren älteren Artgenossen. Ihre Augen blickten ständig woandershin, als hätten sie Angst, etwas Aufregendes zu verpassen. Mit zunehmendem Alter würden sie reifer und gelassener werden.

Überhaupt nicht vorbereitet war Julie auf den Ausraster von Jenny. Als Noatak aus seinem Trog zu fressen begann, ging sie plötzlich fauchend auf ihn los und stieß ihn zur Seite. Wie ein Leithund, der sich bedroht fühlte und wütend seine Stellung verteidigte. Noatak schreckte zurück und traute sich erst wieder an sein Fressen, als Julie den anderen Welpen zur Ordnung rief.

»Benimm dich, Jenny! Noatak ist dein Bruder, den faucht man doch nicht an. Oder willst du Rowdy nacheifern? Er hat dir doch nichts getan. Ihr bekommt beide das gleiche Futter, und ich hab euch beide lieb, also benehmt euch gefälligst, sonst gibt’s Ärger. Dass mir keine Klagen mehr kommen.«

Jenny fügte sich nur widerwillig. Nur weil Julie direkt vor ihr kniete und anscheinend bereit war, sofort einzugreifen, wenn sie wieder Ärger machte, hielt sie sich zurück. Doch in ihren Augen blitzte es noch immer gefährlich. Es sah ganz so aus, als hätte sie nicht die geringste Lust, das Gehege mit Noatak zu teilen. Zusammen mit ihren anderen Geschwistern, als sie noch bei den Cooks gewohnt hatten, war es wohl nicht so aufgefallen.

»Vielleicht sollte ich euch besser trennen«, überlegte Julie, »bevor ihr euch noch gegenseitig an die Gurgel geht. Was meint ihr?« Die Welpen reagierten nicht auf ihren Vorschlag, machten aber auch nicht den Eindruck, als wären sie ein Herz und eine Seele. Bei den Hunden war es ähnlich wie bei den Menschen. Selbst Geschwister kamen manchmal nicht miteinander aus. »Wir versuchen es noch mal«, schlug sie vor, »okay? Und wenn sich bis heute Abend nichts geändert hat, und ihr streitet immer noch, bekommt ihr Einzelzimmer.«

Julie brachte den Eimer mit dem Trockenfutter in den Schuppen zurück und verriegelte die Tür. Was streitende Huskys betraf, war sie ein gebranntes Kind. Beim Wurf einer ihrer Hündinnen waren auch mal zwei Welpen dabei gewesen, die einander nicht leiden konnten. Sie hatten als Welpen gestritten und wären auch als ausgewachsene Hunde nicht miteinander ausgekommen, wenn sie einen der Streithähne nicht an einen Bekannten verschenkt hätte.

Sie kehrte zu den Hunden zurück und sah Carol mit dem fünfzehnjährigen Johnny Steele zu den Zwingern herunterkommen. Ihr schwante Böses. Ihr Bedarf an jungen Männern, die sich danebenbenahmen, war nach der letzten Nacht eigentlich gedeckt. »Soll ich deine Hunde füttern?«, fragte sie.

»Das hab ich schon erledigt«, erwiderte Carol, die natürlich ahnte, dass Julie das Unvermeidliche nur hinausschieben wollte. »Sonst wären sie bestimmt nicht so ruhig. Aber um Johnny könntest du dich kümmern.« Sie legte dem Schüler, der genauso wenig Lust auf einen Arbeitstag mit den Hunden zu haben schien wie Julie auf einen Tag mit ihm, einen Arm um die Schultern. »Du weißt doch, dass er ein zweiwöchiges Praktikum bei uns absolviert, und wenn sein Referat ein bisschen Pfeffer haben soll, muss er natürlich einen Tag bei den Huskys verbringen. Wie wär’s, wenn du ihm alles erklärst und auf Tour mit ihm gehst?«

Julie machte gute Miene zum bösen Spiel. »Klar. Zur Fütterung kommst du leider zu spät, aber ich nehme an, du willst sowieso lieber den Schlitten steuern. Stimmt’s, Johnny? Du wirst sehen, das ist gar nicht so einfach.«

Johnny sagte gar nichts und blickte gelangweilt in die Gegend. Anscheinend bereute er längst, sein Praktikum im Nationalpark absolvieren zu müssen. Nicht einmal der Anblick der Schlittenhunde konnte ihn aufheitern. Genauso gut hätten sie vor den leeren Zwingern stehen können.

Er schmollte auch noch, als Carol längst gegangen war und Julie den Schlitten aus dem Schuppen holte. Sofort wurden ihre Huskys unruhig. Sie merkten, dass eine Tour bevorstand, und freuten sich darauf, durch den Schnee zu sprinten. An einem kalten, aber klaren Morgen wie diesem machte es besonderen Spaß. Die wenigen Wolken waren weitergezogen, und obwohl kaum noch Sterne zu sehen waren, leuchtete der Schnee in einem verführerischen Weiß. Der Wind hielt sich in Grenzen, strich beinahe sanft über den Schnee.

»Okay«, begann sie ihren Unterricht, »ich nehme an, du siehst so einen Hundeschlitten nicht zum ersten Mal. Es gibt sie in mehreren Formen und Größen. Für den Transport großer Lasten müssen sie vor allem stabil sein und eine große Ladefläche haben, bei einem Rennschlitten kommt es vor allem auf das geringe Gewicht an.« Sie sah, dass Johnny kaum Interesse zeigte, fragte aber dennoch: »Was meinst du? Wollen wir einen Ausflug machen?«

»Meinetwegen«, erwiderte der Junge gelangweilt. »Immer noch besser, als in der Bibliothek rumzuhängen oder auf Schneeschuhen rumzuwandern. Aber mit dem Snowmobil zu fahren, wäre noch cooler. Huskys sind mir zu langsam.«

»Dann warst du noch nie mit ihnen unterwegs.«

Julie breitete die Führungsleine auf dem Boden aus und zeigte dem Jungen, wie man den Huskys die Geschirre anlegte. Er schien nur mäßig interessiert und fuhr ängstlich zurück, als er ihr dabei helfen sollte und ihn der launische Curly kräftig ankläffte. Julie verband die Hunde mit der Führungsleine.

»So, jetzt kann’s losgehen«, sagte sie. Die Hunde zerrten bereits ungeduldig an den Leinen, doch sie erklärte dem Jungen erst, was man beim Steuern eines Hundeschlittens beachten musste. »Wenn du willst, dass es losgehen soll, rufst du ›Heya!‹ oder ›Vorwärts!‹ oder etwas in der Art. Wenn sie anhalten sollen, hören sie auf ›Whoaa!‹. ›Haw!‹ bedeutet ›Nach links!‹ und ›Gee!‹ ist der Befehl für ›Nach rechts!‹ Aber meist merken die Hunde sowieso, wo es langgeht. Wichtig ist, dass du locker bleibst, wenn du auf den Kufen stehst und jede Erschütterung mit den Knien abfederst. In eine Kurve geht man, indem man sein Gewicht verlagert. Soweit alles klar, Johnny?«

»Ist ja keine Wissenschaft«, meinte er gelangweilt.

»Schwierig wird es, wenn man den Trail verlassen und sich durch den Tiefschnee quälen muss. Oder wenn eine Steigung zu steil ist. Dann musst du runter von den Kufen und den Huskys helfen. Wenn’s gar nicht anders geht, auch auf Schneeschuhen. Am wichtigsten ist es, entweder vor dem Schlitten zu bleiben oder die Haltestange niemals loszulassen. Schlittenhunde bleiben nicht stehen, wenn du loslässt. Die laufen weiter, bis sie nicht mehr können. Es sei denn, du hast Glück, und sie bleiben irgendwo hängen. Falls du einem Elch begegnest, halte sofort an und ramme den Anker in den Schnee.«

»Klingt cooler, als ich dachte«, gab er zu.

»Okay, dann mach’s dir auf der Ladefläche bequem. Wickel dich in die Decken und halte dich gut fest, dann zeige ich dir, wie schnell man mit einem Hundeschlitten fahren kann. Beeil dich, die Huskys werden schon unruhig.«

Julie wartete, bis Johnny auf der Ladefläche saß, und fuhr los. »Heya! Heya! Vorwärts, meine Lieben! Johnny glaubt, dass ihr zu langsam seid. Wie wär’s, wenn ihr ihm mal zeigt, was ihr so draufhabt? Schneller, schneller!«

Ranger Erhart, der gerade aus dem Krankenrevier getreten war und auf einer kalten Zigarre kaute, blieb erstaunt stehen, als sie mit dem Hundeschlitten an ihm vorbeiraste und über die Park Road nach Westen fuhr. Auf der geräumten Straße war das Fahren ein reines Vergnügen, und man musste nicht mal sonderlich aufpassen, weil sie breit genug war und der Schlitten schon mal ins Schlingern geraten konnte, ohne dass man gleich über die Böschung fuhr. Inzwischen zeigte sich ein heller Lichtstreifen am Horizont, und sie brauchte nicht mal die Stirnlampe, um sich im arktischen Zwielicht zurechtzufinden. »Du hast dir einen guten Tag ausgesucht«, rief sie dem Jungen zu.

Vergnügt beobachtete sie, wie sich Johnny mit verkrampften Händen am Schlitten festhielt. Er sollte ruhig ein wenig leiden für seine widerspenstige Art. Einmal drehte er sich sogar um und warf einen ängstlichen Blick zurück.

»Zu schnell?«, fragte sie so laut, dass er sie verstehen konnte.

»Nein … nein, das ist schon okay.«

»Schneller, Chuck! Was ist los mit euch? Habt ihr keine Lust heute?« Sie ging in die Knie und federte eine Bodenwelle ab. »Oder wollt ihr Johnny schonen? Johnny hat keine Angst, er fährt gern schnell. Stimmt’s, Johnny?«

»Ja … ja klar.«

Julie ließ ihn ein paar Minuten leiden, dann bremste sie den Schlitten und brachte die Hunde mit einem lauten »Whoaa!« zum Stehen. Johnny saß wie versteinert auf der Ladefläche und hielt sich noch mit beiden Händen fest.

»Alles okay? War das schnell genug?«

Er war etwas blass um die Nase und brauchte einen Moment, bis er wieder klar denken konnte. »Sicher. Die Hunde gehen ganz schön ab, das stimmt.«

»Normalerweise lassen wir’s etwas gemütlicher angehen«, beruhigte sie ihn. »Wir fahren schließlich keine Rennen hier. Obwohl …« Sie stieg von den Kufen und schob ihre Kapuze zurück. »Ranger Schneider hat schon mal beim Iditarod mitgemacht. Vom Iditarod hast du doch sicher schon gehört, oder?«

»Das große Rennen … klar. Ist sie denn in Nome angekommen?«

»Sie ist Fünfte geworden.«

»Fünfte … wow!«

»Willst du mal fahren, Johnny?«

»Ich? Ich soll es allein versuchen?«

»Du schaffst das schon. Komm her, ich zeig’s dir.« Sie wartete, bis er aufgestanden war, und half ihm auf die Kufen. »Halte dich mit beiden Händen an der Haltestange fest und vergiss nicht, dass du locker bleiben musst. Okay?«

»Okay«, erwiderte er.

»Bis zur nächsten Kurve. Nicht weiter.«

Sie trat zur Seite und wandte sich an ihre Huskys. »Hast du gehört, Chuck? Jetzt will es Johnny mal versuchen. Macht ihm das Leben nicht zu schwer.«

Johnny zögerte ein wenig, fühlte sich anscheinend nicht allzu wohl auf den Kufen, wollte sich vor Julie aber keine Blöße geben. »Heya! Vorwärts!«, trieb er die Hunde an. Es klang ein wenig zaghaft. »Zeig, was du kannst, Chuck.«

Die Huskys zogen so heftig an, dass Johnny schon beim Start beinahe von den Kufen fiel. Er ruderte mit einem Arm, schaffte es kaum, das Gleichgewicht zu halten, fuhr ein paar Schritte und konnte nicht verhindern, dass der Schlitten nach links driftete und wuchtig gegen die Böschung stieß. Er verlor den Halt, klammerte sich mit einer Hand an den Schlitten und rief so lange »Whoaa! Whoaa!«, bis die Hunde stehen blieben. Sie drehten sich verwundert nach ihm um, waren es nicht gewohnt, dass ein Musher so einfach vom Schlitten fiel.

Johnny blieb fluchend im Schnee liegen und wischte sich wütend eine Träne weg. »Was soll der Scheiß? Ich hab nichts mit den Kötern im Sinn. Ich will wieder nach Hause.«

»Aber das war doch gar nicht schlecht«, erwiderte Julie.

»Wie kommen Sie denn darauf?«

»Jeder andere Anfänger hätte den Schlitten losgelassen, und die Huskys wären wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen damit verschwunden. Du hast ihn festgehalten. So instinktiv handeln nur echte Naturtalente.«

»Ehrlich?«

»Ganz ehrlich«, versicherte sie ihm.

Allein am Stony Creek / Schutzlos am Red Mountain

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