Читать книгу Rheinlandstöchter - Clara Viebig - Страница 9

6

Оглавление

Leutnant von Ramer war in schlechter Laune aufgemacht. Er hatte die Nacht wenig geschlafen — die materiellen Genüsse gestern bei Xylanders konnten unmöglich die Schuld tragen — erst gegen Morgen war eine bleischwere Ruhe über ihn gekommen. Nun musste er aufstehen, der Zug nach Sinzdorf ging um zehn. Unmutig fuhr er den Burschen an, der die Läden öffnete.

„Der Herr Leitnant müssen nu uffrehn!“ Der biedre Gottlieb Schmitz trappste mit knarrenden Stiefeln über die Diele. „Et is schon e so spät!“

„Ja, ja — trampeln Sie nicht so, Schmitz! Es ist grässlich!“

„Zu Befehl, Herr Leitnant!“

Auf den Spitzen seiner ungeheuren Rindsledernen wie eine Sylphide schwebend, mühte sich der Biedere zur Tür hinaus. Er kannte den Ton — ja, das war immer so, wenn der Herr Leutnant nach Sinzdorf machte! Da musst er wohl einen Schatz haben, der untreu war!

„Opla!“ sagte Schmitz, als er in der Wohnstube das Spiritusflämmchen unter der Kaffeemaschine anzündete. „Gottlieb, mein Junge, ärger du dich nit, wann dein Leitnant schlechter Laun is; drück als en Aug zu! Ke Wunder, er hat en untreuen Schatz! O Jesses!“

Ein untreuer Schatz war für Gottlieb Schmitz das Furchtbarste auf der Welt. Seit Hauptmann Xylanders Settchen ihm nach achttägiger Bekanntschaft die Treue gebrochen und dem langen Flügelmann von der Kompagnie die frische Wurst von zu Hause zugewendet hatte, kannte er sich mit untreuen Schätzen aus. Er hatte jeder Weiblichkeit abgeschworen.

„So.“ Er blies die Flamme aus und tat einen derben Zug aus der Kaffeekanne. „Heiss, äwer jud! Nu kann er kommen! Ja, wann ich nit wär! En Mutter sorgt nit besser for ihr Kind!“

Ganz gerührt goss er noch einen Schwurr Wasser in die Kanne; es reichte sonst nicht mehr für zwei Tassen.

Leutnant von Ramer sass im Bonner Schnellzug, in Zivil. Neben ihm lagen eine Düte und ein kleiner Veilchenstrauss, sorgfältig in Seidenpapier gehüllt. ‚Dat Präsent for den Schatz‘, würde Gottlieb Schmitz sagen. Die Blumen waren für keine Geliebte; der Sohn brachte sie der Mutter. So geschah es jedes Mal; im Frühjahr waren es Veilchen, im Sommer Rosen, im Herbst leuchtende Astern. Und jedesmal steckte die unglückliche Frau die feine Nase in die Blumen, kicherte und reichte dann mit huldvoller Gebärde dem Spender die Hand zum Kuss: ‚Wir geruhen sie anzunehmen. Wir danken!‘

So würde es auch heute sein. Ramer seufzte, als er allein im Coupé sass; mit einem müden gleichgültigen Blick schaute er durchs Fenster auf das wechselnde Landschaftsbild. Da floss der Rhein, breit und gleitend. Drüben an den Berghängen noch kein Grün, grauer Duft über Ufer und Strom. Noch ahnte man nichts von Lenzherrlichkeit und Sommerpracht — und wenn auch, es war ja alles gleich!

Der Zug fuhr langsamer, die dunklen runden Türme und alten Mauern von Andernach tauchten auf. Da war der Bahnhof — der Schaffner riss die Tür auf und schob eine Dame nebst einem kleinen Mädchen ins Coupé. „Fertig, abfahren!“ Ein schriller Pfiff.

Ärgerlich zuckte Ramer zusammen; das fehlte noch, Kinder! Er rückte ganz in seine Ecke und legte die eine Hand über die Augen, die andre liess er schlaff herunterhängen. — Was war das für ein Leben! Schrecklicher als der Galeerensklave es führt, der, in Ketten geschmiedet, täglich dieselbe Zwangsarbeit tut. War er nicht auch ein Sklave? War die Pflicht zu leben — so zu leben — nicht schwerer als die Galeerenarbeit eines halbvertierten Geschöpfes?!

Ein unsagbar bitteres Gefühl beklemmte ihm die Brust, er schmeckte die Galle auf der Zunge. Warum war er denn auserlesen zu allem Missgeschick? Und was hatte die arme Frau in Sinzdorf verbrochen, dass sie hinter Schloss und Riegel in geistiger Nacht sass? Ihr Leben war untadelig gewesen, ein stetes Opfer für Mann und Kinder — gut, sanft, fromm — und das der Lohn?! Gott —! Wenn es einen Gott gibt, so ist er blind oder er schläft!

Ramer biss die Zähne aufeinander, er hätte eine wilde Anklage hinausschleudern mögen — pah, auch das nicht der Mühe wert; alles aus! Er wusste nicht, dass er schwer seufzte, er war versunken in düsterm Brüten. Plötzlich zuckte er zusammen. Etwas Weiches, Warmes streifte seine Hand, zwischen den Fingern fühlte er Blumenstengel. Er fuhr auf.

„Entschuldigen Sie nur, o bitte, entschuldigen Sie,“ stammelte die ihm gegenübersitzende Dame. „Mariechen, was fällt dir ein? Komm sofort hierher!“

Ramer wusste nicht, wie ihm geschah; in der Hand hielt er ein paar abgeschnittene Blumen, an sein Knie lehnte sich das kleine Mädchen und sah ihm mit grossen Augen merkwürdig ernsthaft ins Gesicht.

„Bist du traurig?“ sagte das Kind mitleidig. „Sei nicht traurig! Mariechen schenkt dir alle Blumen von der Grossmama. Mariechen will dir auch einen Kuss geben!“

Sie streckte die Ärmchen furchtlos nach dem fremden Mann aus — o, das waren Nelda Dallmers ernste graue Augen! Auch solch blondes Haar! Ehe die verlegne Mutter wehren konnte, hob Ramer die Kleine auf den Schoss. Er küsste nicht ihr Gesichtchen, aber er streifte den wollnen Fausthandschuh von der kleinen Hand und küsste dies Händchen, wie er Nelda Dallmers Hand geküsst hatte.

Die junge Frau hatte ihre Fassung wiedergefunden, ein halb schelmisches, halb verlegenes Lächeln stand ihr allerliebst. „Mariechen denkt gleich, wenn jemand so dasitzt, wie Sie eben dasassen, er sei traurig; das tut ihr dann so leid und sie möchte ihm was zuliebe tun. Sie ist ein drolliges Kind. Komm hierher, Mariechen, du belästigst den Herrn!“

„Bitte, gnädige Frau!“ Er verbeugte sich und stellte die Kleine auf den Boden. „Sieh hier, deine Blumen! Ich danke dir vielmals, aber die musst du wieder nehmen, ich habe je selbst welche.“

Das Kind schüttelte den Kopf, dass ihm die wirren Locken in die Stirn fielen.

„Das tut sie nicht. Behalten Sie die Blumen doch,“ bat die junge Frau freundlich. „Sie sind von meiner Mutter, an ihrem Fenster gezogen — wir waren bei ihr zu Besuch — beim Abschied schnitt sie mir die schönsten ab. Sie bringen Glück!“

Ramer erwiderte nichts mehr, stumm wickelte er die Blumen zu seinen Veilchen und nickte der Kleinen zu. Sie sass ihm jetzt gegenüber, ihre sprechenden Augen wandten sich nicht von ihm; es war ihm ordentlich unangenehm. Er musste immerfort an Nelda Dallmer denken — so hatte die gewiss als Kind ausgesehen. Und in beiden der gleiche Trieb, hier im Kind schon Weib, dort im Weib noch Kind! Ein Verlangen stieg plötzlich in Ramer auf, das Kindergesicht da gegenüber zu küssen. Nein, nicht das Kindergesicht, Neldas Gesicht! Er schloss die Augen — lieber nichts mehr sehen.

Endlich wieder eine Station, Mutter und Kind stiegen aus. Die Kleine lächelte freundlich und winkte mit dem Händchen. Dann waren sie fort. Noch einmal schimmerte das rote Mützchen auf dem Perron. Der Zug schnaubte weiter.

Etwa zwei Stunden später schritt Ramer hinter einer Wärterin über den langen Gang im zweiten Stockwerk der grossen Irrenanstalt zu Sinzdorf. Auf dem doppelten Läufer von Kokosfaser verfingen sich die Tritte unhörbar; es hatte etwas Unheimliches, dieses Nichthören des eignen Schritts. Lautlos glitt die Führerin voran.

Eine Stille ringsum, die den Atem beklemmt, die etwas Fürchterlichem vorangeht. Plötzlich ein Schrei.

Und nun ein Lachen.

Ein Lachen, grell, tierisch, schauerlich in seinen hohlen Lauten.

Ramer blieb unwillkürlich stehen, der Fuss war ihm wie an den Boden geschmiedet. Die Führerin wandte sich nach ihm um.

„Kommen Sie nur,“ sagte sie gleichgültig, „das is Nummer elf. Die hat mal wieder ihren Raptus.“

„Ich bitte Sie, Frau Müller,“ — Ramer hörte, wie dumpf die eigne Stimme war — „ist das eine Dame? Was fehlt der Unglücklichen?“

Die grosse stämmige Person mit der blühenden Gesichtsfarbe und den Grübchen in den Backen zuckte die Achseln.

„Ja, da is nix bei zu machen! Wissen Sie, Herr Leutnant“ — sie trat dem jungen Mann näher und tuschelte geheimnisvoll — „Nummer elf is ein Fräulein ‚von‘. Ja, ganz vornehm und steinreich — hübsch muss se auch gewesen sein! Ich sag Ihnen, Haare hat se, um sich zweimal drin einzuwickeln, aber wenn se den Raptus kriegt, reisst se sich Hände voll aus. Sie sagen, sie hätt en unglückliche Liebe gehabt; die Familie hat die Heirat nit zugegeben, da is se verrückt geworden, und se haben se hier eingesperrt. Se bild’t sich ein, se hat en Kind gekriegt, das schleppt se nu immer im Arm herum und singt und wiegt und küsst es. Wenn se so is, dann is se als ganz gut; aber wenn se ein Mannsbild zu sehen kriegt, den Herrn Doktor oder sonst jemand — o je, dann spektakelt se was! Se können sich nit vor ihr retten, se hängt sich ihnen an den Hals und wird zudringlich. Ne, man sollt et nit glauben, dass se mal en anständige Dam’ gewesen is! Herr Leutnant, da könnt man Stückelcher erzählen — haha!“ Frau Müller lachte. „Hören Sie, wie se kreischt? Sie werden se gleich in die Zwangsjack stechen — da, sehn Sie!“

Aus Nummer elf erklang ein grelles Glockensignal; nach wenigen Minuten kamen zwei Wärterinnen, starke, sehnige Gestalten, den Gang heraufgestürzt. Die eine trug eine leinene Jacke auf dem Arm mit unnatürlich langen, nachschleppenden Ärmeln. Nun verschwanden beide in Nummer elf.

Ramer schreckte zusammen und fuhr mit beiden Händen an die Ohren: das war kein Gekreisch mehr, nein, ein Geheul, wildes, viehisches Gebrüll! „Um Gottes willen!“ Er fühlte, wie ihm der Schweiss ausbrach und kalte Schauer über den Rücken rieselten.

„O, da sind wir dran gewöhnt,“ sagte seine Führerin ganz behaglich. „Jetzt schreit se sich aus, und wenn se nachher nit mehr kann, is se still. Aber kommen Sie jetzt zu der Frau Mama, Herr Leutnant!“

Sie ging voran, unsichern Schritts folgte er, die Kniee zitterten ihm. Der Gang war endlos; Tür auf Tür, Nummer nach Nummer. Noch immer das Geheul — jetzt Gott sei Dank nichts mehr zu hören! Hier war es ruhiger.

„Wie geht es meiner Mutter, Frau Müller?“

„O danke, recht gut! Ne, das is en liebe Dam’. Wenn se all’ so wären, wär man hier im Paradies! Ne, wirklich so nett und auch ganz gesund, die kann uns beide noch überdauern, Herr Leutnant! — — — So, da wären wir!“ Sie steckte den Schlüssel ins Schloss der letzten Tür und klopfte dann. „Se freut sich so, wenn man vorher klopft!“

Sie traten ein

Das Fenster war vergittert, doch fiel das Licht freundlich in die Stube, auf das flache Bett in der Ecke mit dem grünen Schirm davor, auf die Chaiselongue, auf den kleinen Tisch und die wenigen Stühle. Die grau tapezierten Wände blickten kahl und nüchtern; kein Spiegel, kein Bild.

Am Fenster sass Frau Constanze von Ramer. Sie war mit peinlicher Sorgfalt gekleidet, die spärlichen Falten des einfachen Wollkleides waren so sorgfältig ausgebreitet, als spreite sich schwerer Damast oder Brokat. Sie sass kerzengerade und hielt den Kopf mit der kleinen Spitzenhaube über dem grauen Scheitel aufrecht. Beim Öffnen der Tür wendete sie sich langsam, so steif und hölzern, als drehe sich ein Automat.

„So, Madam,“ — die Wärterin stiess ihren Begleiter mit dem Ellenbogen und zwinkerte ihm zu — „hier is Ihr Sohn! Sagen Se mal guten Tag, Madam!“

„Was — Madam —?!“

Gereizt fuhr die Frau am Fenster auf; ihre unstet flackernden Pupillen bekamen plötzlich einen starren Blick, ihr eben noch sanfter Mund verzog sich hochmütig.

„Was unterstehen Sie sich?“ kreischte sie in den höchsten Tönen. „Madam — ich bin keine Madam! Wissen Sie nicht, dass ich die Kaiserin von Deutschland bin? Auf die Kniee — auf die Kniee!“

Ihre zarte Gestalt zitterte vor Wut, ihre Lippen verzerrten sich, sie krallte die ausgestreckten Hände.

Ramer prallte entsetzt zurück.

Die Wärterin blieb gelassen stehen, sie knixte nur mehrmals hintereinander und gab ihrer Stimme einen kriechend unterwürfigen Klang.

„Majestät, verzeihen Se, allerhöchste Majestät, ich habe mich ja versprochen — no natürlich: Majestät, allergnädigste Majestät!“

„Ah — ah!“ Die Kranke war sofort ruhig, ein geschmeicheltes Lächeln glättete ihr wutverzerrtes Gesicht. „Das wollte ich ihr auch raten! Wir wollen diesmal gnädig sein — gnädig sein,“ setzte sie in völlig verändertem Ton hinzu. „Aber weisst du auch, dass ich dich köpfen lassen kann, ja, köpfen lassen kann?“ Sie lachte kindisch. „Eins, — zwei, — drei, — da fliegt der Kopf herunter! Siehst du, wie er in den Sand kullert? Die Leute schreien hurra! Oder,“ — sie machte ein lange Pause, ihr Sprechen wurde ein Flüstern, wichtig, vertraulich, sie riss die Augen weit auf und liess sie scheu im Zimmer umherrollen — „oder soll ich dich erschiessen lassen — erschiessen lassen?! Hier in den Kopf!“ Sie fuhr mit beiden Händen an die Schläfen. „Er hat sich erschossen! Huh, erschossen — schossen — schossen —!“

Sie wiederholte lallend die letzten Silben und schüttelte sich dabei, als würfe sie ein innerer Krampf hin und her.

Ramer lehnte sich dumpf stöhnend gegen die Tür; er glaubte es nicht mehr anhören zu können, er musste fortstürzen, nie wiederkehren, — und doch war es seine Mutter, die da wahnsinnig schwatzte.

„Huh erschossen — huh huh — erschossen!“ Dumpf hallten die leeren Wände wieder. Es war nicht mehr zu ertragen.

„Majestät!“ Die stämmige Wärterin legte der Unglücklichen die Hand auf den Mund und schob sie mit Gewalt auf ihren Sitz zurück.

„Huh — huh — erschossen — schossen — —“

„Still!“ Frau Müllers Druck wurde ziemlich unsanft. „Keine Fisematenten, Majestät! Sie wissen doch, sonst gibt’s was!“ Sie erhob drohend den Finger.

Die Wahnsinnige duckte sich geschwind.

„Keine Fisematenten, nein, nein,“ sagte sie ängstlich. „Wir sind gut, wir sind gnädig,“ — sie erhob schon wieder steil den Kopf — „wir verleihen Ihnen den schwarzen Adlerorden mit Eichenlaub, am Bande um den Hals zu tragen!“

„No, das is ja schön, da dank ich. Aber nu kucken Se mal, hier is ja Ihr Sohn, der is weit hergekommen, der will Sie besuchen!“

Frau Müller gab dem jungen Mann einen Wink, näherzutreten.

„Kucken Se, hier is er!“

„Ah!“ Frau Constanze von Ramer erhob sich feierlich, fasste ihr Kleid mit zwei Fingern und machte eine tiefe abgemessene Verbeugung. „Der Kronprinz! Seien Sie gegrüsst!“

Sie reichte ihm voller Hoheit die Hand zum Kuss. Mit einer unbeschreiblichen Pein im Herzen ergriff er sie. So standen sie eine Weile und starrten sich an; angstvoll forschten die Augen des Sohnes im Gesicht der Mutter. Sie kannte ihn nicht, keine Spur; leer, fremd war der Blick der einst so liebevollen Augen.

„Mutter! Kennst du mich nicht, Mutter?“

Seine Stimme verging fast vor Erregung, Tränen der Verzweiflung füllten seine Kehle; er schluchzte auf, ein gepresstes, trockenes Schluchzen.

„Wie er sich freut!“ kicherte die Kranke.

Sie fuhr ihm mit den feuchtkalten Fingern durch die Haare.

„Seine Majestät, der Kaiser und König sind verreist — fort — fort!“

Sie winkte mit der Hand. „Wohin — ich weiss es nicht. Weisst du es?“ Sie drängte ihr Gesicht dicht an das seine und bohrte den stieren Blick in seine Züge.

„Du weisst es auch nicht, weisst es nicht — o — o!“ Mit einem Wehlaut wich sie zurück. „Er ist fort, weit fort! Nun zeigen sie mit Fingern auf uns — sie werfen uns mit Steinen — sie reissen dir deinen Rock ab — nein, nein!“

Mit jammerndem Aufschrei fuhr sie von neuem auf den Sohn los und umklammerte ihn mit beiden Armen.

„Sie sollen dir nichts tun, ich will es nicht haben! Da!“ Sie riss das Spitzenhäubchen vom Kopf und schleuderte es zur Erde. „Da habt ihr meine Krone! — — — Weine nicht, weine nicht, mein Junge! Mein kleiner Ferdinand — ei, ei!“ Sie schmiegte ihre Wange an ihn und spitzte den Mund zum Kuss. „So ein lieber, kleiner Junge, warum wird er denn weinen? Er liegt ja in seinem schönen Bett — seine Mama ist bei ihm — ei ei — eia popeia!“

„Mutter!“

Es war der markerschütternde Aufschrei eines gequälten Herzens, der jetzt durch die Stube gellte. Der Sohn taumelte zurück an die Wand, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend.

Die Wärterin, die bis dahin teilnahmlos umhergewirtschaftet hatte, schaute auf.

„Hm, hm. Da“ — sie langte nach der beiseite geworfenen Düte und dem Veilchenstrauss — „da, Majestät, das hat Ihnen der Herr Leutnant mitgebracht. Nu freuen Se sich aber, gelt?“

Die Wahnsinnige klatschte in die Hände und lachte vergnügt; mit gierigen Fingern riss sie die Düte auf und stopfte hastig ein Stück Kuchen nach dem andern in den Mund. Mitten im Kauen hielt sie inne und zeigte nach der Wand: „Was will der fremde Mann da? Fort! fort!“ Die Düte ängstlich an sich drückend, kauerte sie sich ganz in der Fensternische zusammen. „Er soll weg — da — der — weg, weg!“

„Aber“ — Frau Müller zog die sich Sträubende aus der Ecke — „es is ja der Herr Leutnant, Ihr Sohn! Majestät, ä was, sein Se doch nicht so doll!“

„Nein, nein!“ Die Kranke wimmerte wie ein Kind. „Den kenne ich nicht — der nimmt mir alles. Weg, weg! Er soll gehn!“

„Mutter, ich bin es? Liebe Mutter — ich, Ferdinand, dein Sohn!“

„Nein, weg — nein!“ Sie versteckte sich zitternd hinter die Wärterin.

Diese flüsterte:

„Gehn Se nur, Herr Leutnant! Ja, gehn Se, se is jetzt sehr aufgeregt, da is nix bei zu machen!“

Wie ein Trunkener schwankte der Sohn zum Zimmer hinaus, an der Tür wandte er sich noch einmal um.

Da war das vergitterte Fenster, hellbeleuchtet der zusammengekrümmte Körper der Mutter und die stämmige Gestalt der Wärterin mit dem groben fühllosen Gesicht. Seine Veilchen lagen am Boden verstreut, dazwischen die Blumen des freundlichen Kindes — sie hatten kein Glück gebracht.

Rheinlandstöchter

Подняться наверх