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GIL WON-OK


DAMIT DER SCHMETTERLING FLIEGEN KANN

„In der Mandschurei gibt es eine Fabrik, in der du arbeiten und eine Ausbildung machen kannst.“ Voller Zuversicht steigt die dreizehnjährige Gil Won-Ok 1941 in den Zug Richtung China. Sie lässt ihre große Familie zurück, die in Armut in Korea lebt. Won-Ok hofft, ihre kleinen Geschwister bald mit Geld unterstützen zu können. Doch das Mädchen landet nicht in einer Fabrik, sondern wird von japanischen Soldaten zur Prostitution gezwungen.

Mit ihr erfahren etwa 200 000 Frauen im Alter von 11 bis 29 Jahren während des Zweiten Weltkrieges dieses Schicksal. Das japanische Militär gibt ihnen die grausam verharmlosende Bezeichnung „Comfort-Women“ – „Trostfrauen“. In Bordellen, sogenannten „Trosthäusern“, müssen sie als Sexsklavinnen den Soldaten „zur Verfügung stehen“. Über Jahre werden sie mehrmals täglich vergewaltigt. Viele „Trostfrauen“ sterben an ihren Verletzungen und Krankheiten oder sind nach Kriegsende unfruchtbar. So auch Gil Won-Ok, die gewaltsam sterilisiert wird. Da ist sie gerade einmal 14 Jahre alt.

Nach dem Krieg hat Gil Won-Ok alles verloren. Doch ihr großes Glück wird ihr Adoptivsohn. Obwohl sie als Marktfrau selbst nur wenig hat, nimmt sie den Neugeborenen als 30-Jährige zu sich und rettet ihn vor dem Waisenhaus. Ihr Sohn, heute protestantischer Pfarrer, gibt ihr die Kraft weiterzuleben.

Fast 50 Jahre schweigen die Überlebenden. Die Gequälten sind gefangen in ihrer Scham. Bis die ehemaligen „Trostfrauen“ 1992 als alt gewordene Frauen vor der japanischen Botschaft in Seoul (Südkorea) rufen: „Es ist die japanische Regierung, die sich schämen muss, nicht wir!“ Jeden Mittwoch. Die „Trostfrauen-Bewegung“ entsteht.

Noch versucht die japanische Regierung, alles zu leugnen. Doch die betroffenen Frauen, auch Gil Won-Ok, geben eidesstattliche Erklärungen ab. Trotzdem kommen die Opfer nicht zur Ruhe, denn die japanische Regierung verweigert bis heute direkte Entschädigungen. Die Überlebenden gründen den „Schmetterlingsfond“ und zahlen die staatlichen Entschädigungszahlungen dort ein – zur Unterstützung von Frauen, die weltweit Opfer sexueller Gewalt in kriegerischen Auseinandersetzungen geworden sind.

Gil Won-Ok überwindet erst 1998 – mit 70 Jahren – ihr Schweigen und ihre Scham und verleiht seitdem den Opfern der Vergangenheit und der Gegenwart ihre Stimme. Weltweit ist die alte Dame als Friedens- und Menschenrechtsaktivistin für die Rechte von Opfern sexueller Gewalt im Einsatz – auch in Deutschland, z. B. auf dem Kirchentag.

So arbeiten Won-Ok und mit ihr viele andere ehemalige „Trostfrauen“ ihre eigene Geschichte auf: Sie reden darüber, auch wenn ihre Kräfte nur noch gering sind. Mit ihrem Reden in der Öffentlichkeit wollen sie den Opfern von damals Würde verleihen. Und nicht nur ihnen. Auch heute werden Frauen verschleppt, mit falschen Versprechen zur Prostitution gezwungen oder erleiden Vergewaltigungen, die als Kriegswaffe eingesetzt werden.

Gil Won-Ok weiß, dass Schweigen die Täter schützt und das Leiden der Opfer fortsetzt. „Es ist dringend Zeit zu reden. Nur so kann der Teufelskreis aus Verbrechen, Schweigen, Scham und neuen Verbrechen durchbrochen werden“, sagt sie. Und reist als alte Dame, im Rollstuhl sitzend, mit dieser Botschaft um die Welt.

(CF)


GIL WON-OK,

geb. 1928 in Korea, wurde 13-jährig

während des Zweiten Weltkriegs

vom japanischen Militär zwangsprostituiert.

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