Читать книгу Prinzessin oder Räuber - Claudia Pöttgen - Страница 12
Hexentreffen
ОглавлениеEin paar Mädels aus dem Boxer-Forum nannten sich „Hexen“ und riefen zu einem Motorrad-Treffen auf.
Im Forum sorgte das „Hexentreffen“ für Aufruhr, wurde den Männern das Teilnehmen doch rigoros untersagt. Ihre Neugierde, was denn Mädels so unter sich alleine alles anstellen, trieb die tollsten Blüten und amüsierte beide Seiten der Geschlechter im „BoFo“. Die Spekulationen der Herrschaften, was denn wohl bei Frauen ganz alleine unter sich, ein ganzes Wochenende lang, so vor sich gehen könnte, schlug kapriziöse Wellen. Ohne wirkliche Absprachen hielten sich die Hexen an mystische, augenzwinkernde Andeutungen und verschleierte Auskünfte. Von den neugierigen Herren hatte sogar einer die Idee, die Freundin in den Keller zu sperren, ihre Kleider nebst Perücke zu stibitzen und als Transvestit zu erscheinen. Ein anderer flehte förmlich, für uns kochen zu dürfen. Wir würden ihn gar nicht bemerken, so unauffällig würde er sich verhalten. Und die mannigfaltigen Ratschläge vom Essensplan zum Touren-Vorschlag bis hin zu Lagerplanung, füllten ganze Beiträge. Und nach vermeintlich ewigem Warten stand das Hexentreffen-Wochenende auf einmal vor der Tür. Etwas besorgt ließ mich Achim auf meine erste Alleinfahrt ziehen.
Erstaunlicherweise kam ich relativ gut zurecht. Es war zwar etwas anstrengend, die Karten zu lesen, meinen Weg zu finden, und nebenbei akzeptabel Motorrad zu fahren, aber ich kam ohne große Probleme an.
Schon die zweite ankommende Hexe brauchte einen Zeltschlafplatz, den ich gerne anbot. Kerstin. Auf den ersten Blick war klar, meine Seelen-Verwandte, bis in die heutigen Tage. Etwas später gesellte sich auch noch u.a. eine fränkische Hexe dazu, an der mir zuallererst der Nick-name gefiel, „Moggerle“. Was das heißt, erfuhr erst ich lange Zeit später, nämlich Kälbchen. Ich fand allein das Wort so hübsch, genauso wie „Gletschereis“ oder „kiebitzen“.
Mit Moggerle schnappte ich mir schon am Nachmittag die leeren Wasserkästen, während die anderen Hexen noch diskutierten, ob wir denn noch einen ganzen Kasten brauchen würden, oder doch lieber zwei, und wenn jemand geht, wo es neues gäbe, und wenn nein, wo der leere Kasten entsorgt werden müsse. Ganz meinem nach meinem Motto, Problem erkannt und gelöst, waren wir flexibel, schnell und effektiv, und hatten dabei ein äußerst intensives Gespräch auf dieser kurzen Wasser-Besorgungs-Tour. Mittlerweile führten wir schon etliche intensive Gespräche und nicht wenige davon gingen uns beiden unter die Haut, aber das Band zwischen uns knüpften wir schon an diesem ersten Hexentreffen.
Frauen unter sich verhalten sich nicht sehr viel anders als Männer. Und ich kann das ein wenig beurteilen, schließlich verbrachte ich drei Lehrjahre als Maler und Lackierer alleine als Frau unter Männern, auf dem Bau.
Da gab es Alphaweibchen und Aufschneiderinnen und auch der Schwanzvergleich fand statt, nur hieß er hier Stutenbissigkeit. Es wurde getrunken, gegessen und geprahlt. Alte Witze wurden erzählt und neue gemacht. Benzingespräche fanden statt. Und Mann möchte es kaum glauben, aber für so manche Frau hatte das „Schrauben“ tatsächlich eine gewisse Faszination und nicht weniger Frauen als Männer haben ein Händchen dafür. Nur werte Herren, es ist natürlich allemal bequemer und besser für die Fingernägel, den Ölwechsel euch machen zu lassen.
Die Hexen besprachen die Leichtigkeit des Seins und lebten sie. Jede einzelne genoss es, sich nur um das eigene Wohlergehen und nicht um das ihrer Männer und Kinder, Gedanken machen zu müssen. Zirka 20 Frauen kochten laut schnatternd miteinander, schliefen im Zelt zusammen und auf Matratzenlagern. Wir planten und fuhren die Tagestour gemeinsam und hoben abgelegte Motorräder wieder auf. Wir machten Lagerfeuer, sinnierten über Weltprobleme bei Rotwein und Bier und lästerten ausgiebig über das andere Geschlecht. Was ein Spaß!
Und hier kamen sie ganz klar zum Vorschein, die Prinzessinnen und die Räuber.
Es ist schwer, sie zu beschreiben, dennoch wenn man ihnen begegnet, ist eine Zuordnung ganz klar und einfach. Eine Prinzessin versucht mit allen weiblichen Tricks und Hilfsmitteln möglichst bequem und ohne dabei allzu schmutzig zu werden, konsequent an ihr Ziel zu gelangen. Es gibt keine Regeln, alles ist erlaubt, wenn nicht sogar gefordert. Der kokette, wie der hilflose, leicht feuchte Augenaufschlag, die schmollenden oder verzweifelt bebenden Lippen, die eng anliegende, figurbetonte Kleidung und eine kindliche Stimme oder Körperhaltung werden zu Einsatz gebracht. Auch laut betonte Emanzipation, die aber leider gerade Frau, just im Moment, nicht erfüllen kann, weil sie halt doch nur dem schwachen weiblichen Geschlecht angehört, alles ist mit im Repertoire. Mann sollte sich nicht täuschen lassen, nicht jede Prinzessin erkennt er automatisch am modisch, sauberen und gut sitzendem Outfit.
Ein Räuber ist eher praktisch orientiert. Er verfolgt ebenfalls konsequent seine Ziele. Doch sein Einsatz liegt im Selber-Tun, und nicht im Inszenieren. Deswegen gebraucht er Tricks und Hilfsmittel direkt für das Erledigen und Bewältigen der Lage und nicht zur Manipulation von Menschen, die das für ihn erledigen. Kommt er dabei mit Schmutz oder Schweiß in Berührung, sind das Umstände, die man akzeptiert. Beide sind aber gleichermaßen stolz auf Erreichtes.
Prinzessinnen und Räuber findet man übrigens im gleichen Verhältnis bei den Herren der Gesellschaft. Witziger weise erkennt man eine männliche Prinzessin oft am stupidesten Macho-Geläster und das weibliche Gegenstück legt sich mit leidenschaftlichem, aggressivem Emanzen-Getöse gerne den Räubermantel um.