Читать книгу Prinzessin oder Räuber - Claudia Pöttgen - Страница 7
Die erste Stunde
ОглавлениеToll! Es tröpfelte so leise stetig vor sich hin, während ich in voller Montur, Motorradhose und -jacke, Nierengurt, feste Schuhe, Handschuhe und Helm, zur Fahrschule wackelte.
„Und, schon mal gefahren?“ „Hm, nöö, eher nicht.“ „Ja dann fang' ma mal mit der 125er an, hinten auf'm großen Parkplatz beim Schwimmbad. Ich fahr schon mal vor, Sie kommen nach.“ „???“ „Jaha, die 125er müssen S' scho erst mal hin schieben, weil fahren können S' ja no net!“
Ich habe den Helm aufgesetzt, damit mich zumindest nur die Hälfte der Nachbarn erkannte. 'Müssen die eigentlich nix arbeiten um diese Zeit!?'
Und dann begann auf dem Parkplatz „The never ending story - Claudia und das Motorrad“.
Dieser Frühsommer 2002 war sonnig und warm, zumindest meistens während meiner Fahrstunden. Ich hatte mir einen günstigen, wasserdichten Textilanzug zugelegt, der allerdings auch von innen nach außen dicht war, und so schmorte ich meist schon nach ein paar Minuten im eigenen Saft.
Herr Schwägerl, ein ehemaliger Soldat und dabei bestimmt ein ehemaliger Spieß oder Feldwebel, machte es zu seiner persönlichen Mission, einer 39jährigen Mama das Fahren gründlich bei zu bringen. Er, in Kombination mit Motorradanzug und Witterung, kostete mich in diesen Wochen, fünf Kilogramm Körpergewicht.
Die Fahrübung Ausweichen mit und ohne Bremsen war kein Problem. Regen-, Nacht-, Überland- und Stadtfahrten machten ebenfalls kein Schwierigkeiten. Dabei gab Herr Schwägerl meist per Funk, aus einem Auto hinter mir seine Anweisungen. Gott sei Dank konnte er mich aber nicht hören. Ich neige nämlich dazu, besser gesagt, ich habe die unangenehme Macke, während des Motorradfahrens in bestimmten Situationen lauthals zu schimpfen, zu singen oder mit mir selbst zu sprechen.
Anhand von verschiedenen Parcours übte ich u.a. auch die wichtige Blickführung, was mir beim Slalom gut gelang. Hingegen waren kleine enge Kreise mein Lieblingsproblem. Sie sind es nach wie vor. Ich saß zu steif auf dem Motorrad und hatte immer das Gefühl, ich kippe mitsamt der Maschine um.
Diese Blickführungsübungen bzw. Parcours waren u.a. mit aufgestellten Pylonen gekennzeichnet, spitze Kegel ca. 30 - 50 cm hoch, wahlweise in uni oder gestreift. Sie standen IMMER falsch und somit im Weg. Sie zeigten mir wohin ich fahren sollte, was ich aber nicht konnte oder wollte. Sie waren nicht meine standhaften Freunde, denn bei der geringsten Bewegung fielen sie um, und ich musste noch mal alles von vorne machen. Bis mein Fahrlehrer zufrieden gestellt war. Dabei hörte ich sie kichern, diese missgünstigen, schadenfrohen Spitzhüte.
Nur einmal, es war die vierte oder fünfte Fahrstunde, hätte ich sie gerne gesehen, die Pylonen. Und sei es nur als Silberstreif am Horizont.
Ich saß endlich auf der „Großen“, sprich einer 600er Honda CB, vor der Fahrschule, genau gegenüber unseres griechischen Lieblingsrestaurants. Das gesamte Personal hielt sich noch vor dem Mittagsgeschäft draußen in der Sonne auf und amüsierte sich köstlich über meine verzweifelten Versuche diese verflixte Kiste zu starten.
Starten – abwürgen – starten – abwürgen – starten – abwürgen – schwitzen – Fahrlehrer aus den Augen verlieren – starten – abwürgen - noch mehr schwitzen – Fahrlehrer aus dem Funkbereich verlieren – starten – abwürgen …. Ich bin an diesem Tag doch noch ganze 20 Minuten richtig gefahren, mit laufendem Motor.
Durch die ungewohnte Beanspruchung beider Hände vom Kuppeln und Bremsen, einschließlich des verkrampften Anfängerfesthaltens am Lenker, schmerzten mir bald Unterarme und Handgelenke derart, dass ich oft kaum noch ein Glas festhalten konnte. Bald drängte sich die Frage auf, Warum tust du dir denn das alles überhaupt an, du dumme Nuss? Damals fühlte ich einfach nur das fiebrig-zittrige Erwarten der nächsten Fahrstunde. Der Klang einer Maschine ließ mich aufhorchen und die Aussicht, bald eigenständig fahren zu dürfen, machte mich schlicht froh. Mehr Gedanken machte ich mir nicht, brauchte ich auch nicht. Erst im Laufe der Jahre ergaben sich noch so einige Antworten mehr.
„Ja, ich weiß net, ich hätte da nur noch den Prüfungstermin am 01.08...“ „Den nehme ich.“ „Ja, aber da müssen'S beides zusammen machen, Theorie und Praxis.“ „Den nehme ich.“ „Ja aber wenn'S Theorie net schaffen, kost's dann doppelt.“ „Den nehme ich.“ „Und Sie sind wahrscheinlich die Letzte zum Fahren, weil vorher die Autoscheine dran kommen.“ „Herr Schwägerl, ich nehme den Prüfungstermin am 01. August!“
Theorie war kein Problem, und von ca. 08.45 Uhr an saß ich dann vor der Fahrschule und wartet.und wartete und wartete. Bis um 11.15 Uhr.
„Grüß Gott, grüß Gott, dann pack ma's gleich. Wir sind schon spät dran.“
Gleich an der ersten Ampel hätte ich fast eine Mutter mit Kinderwagen umgefahren. Sie wollte nur bei Grün über die Straße, in die ich abbiegen wollte. Eine miese kleine Pylone, was auch sonst, ließ sich beim Slalom absichtlich fallen. Und ich dachte, das war's! Alles verbockt!
Auf der längeren Rückfahrt hörte ich aus dem rückwärtigen Prüfungsauto, so gut wie keine Anweisungen mehr. Völlig frustriert und deprimiert, stellte ich mich der Erkenntnis, dass das große Weltgeschehen ohne mich als begnadete Bikerin stattfinden würde. Aber wer brauchte auch schon zum Überleben den A1 unbeschränkt?
Aus lauter enttäuschter Wut wuchtete ich die Honda an der Fahrschule auf den Hauptständer und stapfte am Fahrschulauto vorbei. Der Prüfer rief mich zu sich. 'Ich komme ja!' „Die umgefallene Pylone und die Mama beim Abbiegen und der geringe Abstand beim Überholen auf der Autobahn, … na dann geben Sie mir mal Ihren Führerschein!“
'Ok, dann geb ich ihn halt ab, meinen Führerschein und fahr nicht einmal mehr Auto. Ich geh jetzt nur noch zu Fuß, und somit jetzt sofort heim.' Und heulte.
Völlig irritiert wechselte der Prüfer meinen alten Führerschein gegen den neuen aus und gratulierte mir zur bestandenen Prüfung. Ich stand wie ein Mondkalb vor ihm und in der nächsten Minute sprang ich ihm an den Hals, und schmatzte ihm ein herzhaftes Bussi auf die Backe. Er war noch irritierter und murmelte, das müsse er jetzt wohl seiner Frau beichten. Völlig im Adrenalinrausch herzte ich noch kurz aber kräftig Herrn Schwägerl und flitzte heim.
An dieser Stelle möchte ich meinem Fahrlehrer Herrn Schwägerl nochmals ganz herzlich danken für seine Geduld und Mühen. Er war für mich der richtige Lehrer zum richtigen Zeitpunkt.
Zu Hause war einzig meine Tochter Verena, die mich schon ungeduldig erwartete. Und mit einem kleinen Likör feierten wir meinen Erfolg. Diese nette kleine Feier wiederholten wir dann auch noch zweimal, anlässlich ihrer bestandenen Fahrprüfungen.
Dann erst rief ich alle an: „Überraschung!“
Meine Mama reagierte erwartungsgemäß: „Ja, bist denn du mit fast 40 Jahr net g'scheider! Aber so was fällt von unseren vier Kindern ja nur Dir ein. Pass bloß auf Di auf!“
Bis heute melde ich mich nach jeder größeren Ausfahrt bei ihr wieder zurück und vermelde unser Wohlbefinden. Sie macht sich verständlicherweise Sorgen, dass uns etwas passieren könnte, auch wenn beide Eltern in früheren Jahren selbst mal auf Motorrädern saßen und auch sonst nicht unbedingt die Ofenbank gehütet haben. Mama bemerkte sogar meinen Umstieg, von einer 650 cm³ Maschine auf eine größere 1150 cm³. Das hätte ich ihr wirklich nicht zugetraut.
Wie nun sollte das Motorrad in unsere kleine Familie eingefügt werden?
Da es hier u.a. auch um den Familienetat und nicht nur um die gemeinsame Freizeit ging, lag die Entscheidung bei uns allen vieren. Außer der begeisterten Zustimmung, dass ich den Führerschein machen sollte und wir dann zusammen Motorradfahren würden, kamen keine weiteren Diskussionen auf. Noch nicht. Wir freuten uns auf das Neue, Unbekannte, das auf uns zukommen würde. Wie weitreichend dieser Beginn war und welche verschiedenen Erfahrungen jeder Einzelne daraus zog, konnte zu diesem Zeitpunkt keiner überblicken.
Es war ziemlich schnell klar, unsere Freizeit wird, wie gehabt, gemeinsam verbracht. Also fahren die Kids jeweils als Sozius mit und damit brauchten wir zwei Bikes.
Zielsicher abonnierten sie die Beifahrer- sprich Soziussitze. Wie selbstverständlich wählte Alexander Achim und Verena mich aus. Und keiner der beiden tauschte hinterher noch freiwillig oder ohne besonderen Grund das Moped, incl. Fahrer und Rückbank. Ein Männer- und Frauenmotorradteam war beschlossen.
Verwandte und Bekannte sparten nicht mit Kommentaren und Ratschlägen. Der eine meinte, nimm doch besser eine Pistole und erschieße zuerst die Kinder und dann dich selbst. Kommt billiger und geht schneller. Ein anderer interessierte sich nur, ob es auch Lederoutfits für Kinder gibt. So mancher sorgte sich, wie sich denn ein Kind optisch auf einer Harley machen würde und die nächsten machten den Vorschlag, dem Nachwuchs doch gleich selbst z.B. eine Trial-Maschine, zu besorgen. Dazwischen gab es aber tatsächlich auch Mitmenschen, die sich spontan zu „Wahnsinn, toll! Die ganze Familie erlebt bestimmt zusammen Unvergessliches“, hinreißen ließen.
Für uns war die Zeit reif, die ganze Familie begab sich zum SHOPPEN. Sogar unsere Männer waren bei bester Laune, als wir vier vorm so genannten Münchner Motorrad-Strich stoppten. Das ist die Ecke in München, in der mehrere bekannte Motorradzubehör-Ausrüster nahe beieinander liegen.
Unglaublich mit anzusehen, wie sich das Kaufen von Motorradausrüstung auf die Körpergröße auswirkte. Ja klar, man wirkt etwas „plüschiger“, aufgrund der Protektoren. Aber dass Halbwüchsige beim Anziehen von Motorradjacke, -hose und Helm im Minutentakt ca. 20 cm wuchsen, war phänomenal.
Dazu das stolze Lächeln, das man durch den Helm noch erkannte, eine unvergessliche Szene. Und dann war es soweit, es kam der Moment der Wahrheit.
Aufgrund eines Tipps von guten Freunden, wollten wir uns bei einem BMW-Händler in Schrobenhausen bezüglich Motorräder mal umsehen. Mechaniker, Werkstätten, Händler werden unter Motorradfahrern gerne als „Freundlicher“ bezeichnet. Unser Freundlicher heißt Armin vom BMW-Haus Pielmeier. Für Armin ist übrigens jedes Motorrad, egal wie groß, PS-stark oder schwer, ein „Moperl“.
Unter den vielen blinkenden und blitzenden, neuen und gebrauchen Motorrädern im Ausstellungsraum sah ich eine Honda CB. 'Klick! Die kenne ich; mit so was habe ich Führerschein gemacht; die nehme ich zum Probefahren, und eigentlich ist sie schon gekauft.' Problem erkannt und gelöst, meine Spezialität. In solchen Momenten sieht mich Achim immer etwas mitleidig und mit einem leichten Hauch Ignoranz an. Auch Armins Blick wurde ein wenig eigenartiger und er meinte nur ruhig, ich sollte doch auf alle Fälle, während der Probefahrt mit Achim das „Moperl“ tauschen. Mein Mann hatte sich eine BMW F 650 GS ausgesucht. Jaa, sie hatten beide recht. Die Fahrschul-Honda war eine neuere CB 600, hier hatte ich eine ältere Honda CB Sevenfifty. Typenbezeichnungen sind oft Kleinigkeiten, die mich gerne mal nicht interessieren. Die Alte fühlte sich für mich an wie ein Zementsack zwischen meinen Beinen. Dagegen war die kleine BMW ein munteres Spielzeug. Achim kaufte sich die „Kleine“. Ich durfte sie damals, aus terminlichen Gründen, vom Pielmeier abholen und heimbringen. Vor allen Mechanikern, Verkäufern und Azubis legte ich sie erst einmal um. Noch bevor ich einen Meter gefahren war.
Bis heute ist mir noch nicht klar, ob Armin sich mehr Sorgen um mich oder das fast neue „Moperl“ gemacht hat, als er nach angemessener Zeit bei meinem daheim wartenden Ehegatten anrief, ob ich denn wohlbehalten gelandet sei. Meine Entscheidung lag bei einer älteren, nachtblauen BMW F 650, weil ja wer hätte es nicht gedacht, sie war günstiger. Langer Rede kurzer Sinn, wir beide waren nicht für einander bestimmt. Nach nicht ganz sechs Monaten fuhr ich sie zu Schrott. Doch auf diese Begebenheit komme ich später noch einmal zurück.
In den letzten fast nun schon zehn Jahren, haben wir mit unserem Freundlichen schon so einiges erlebt und überstanden und fühlen uns immer noch sehr gut betreut. Reparaturen, schnelle Termine, Kaffee-Betreuung, gute Plaudereien und faire, kompetente Behandlung – Armin und sein Team sind empfehlenswerte Freundliche. Letztendlich sitzen wir jetzt beide, und das schon seit ein paar Jahren, auf zwei silbernen BMW 1150 GS, und haben auf absehbare Zeit nicht vor sie abzugeben.