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Der erste Unfall

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Der Winter war lang und kalt, und so vereinbarten wir mit einem befreundeten Paar, die nächstbeste Gelegenheit zur Ausfahrt zu nützen.

Der Karfreitag 2003 lockte mit strahlendem Sonnenschein, aber ernüchterte mit kalten Winden bei mäßigen Temperaturen. Aber wir alle, Erwachsene und Kids, hatten beste Laune, als wir durchs Altmühltal gondelten. Kurz nach dem Mittagessen, im sogenannten „Suppen-Flash“, legten Verena und ich uns ab. Wir hatten unseren ersten Motorradunfall.

Man fährt bekanntlich immer dorthin, wo man hinschaut und ich besah mir eine Wiese, anstatt der Straße mitsamt einer Kurve. Also fuhr ich in die Wiese, die Fußraste verfing sich im Boden, die Maschine überschlug sich, Mausi und ich wurden fast zeitgleich erst wieder, in der Wiese liegend wach.

Leichtes Stöhnen - „Mausi?! Lebst Du noch??“ „Jaaa... und Du?“ Dann beugten sich auch schon zwei Motorradfahrer über mich. „Liegen bleiben, ganz ruhig.“ 'Ich bin ruhig, aber so was von!' „Wo tut's denn weh?“ 'Überall, und nirgendwo,... oder Moment, vielleicht die Schulter?!' „Wir nehmen jetzt mal ganz vorsichtig den Helm ab,“

„Augenblickchen, das mach ich gleich selber, ich muss nur mal kurz ...“ „Liegen bleiben! Gaanz ruhig! Und die Augen auf!“ 'Ich darf doch wohl mit meinen Augen machen, was ich will?!' In einem kurzen unbeaufsichtigten Moment, drehte ich den Kopf zu meiner Tochter. Ich sah sie in einem Nest von Beinen und Armen liegen, die zu einer sympathischen Frau in Motorradklamotten gehörten. Sie sprach beruhigend und liebevoll auf sie ein.

Achim versuchte währenddessen verzweifelt per Handy Hilfe vom ADAC zu bekommen. Ein aussichtsloses „Buchbinder-Wanninger-Unterfangen“. Ich glaube mich daran zu erinnern, dass er völlig entnervt ins Handy brüllte: „Altmühltal!! BAYERN!“ Er war in der Notrufzentrale in Hamburg gelandet. Alexander umkreiste sorgend Mama und Schwester, hatte alles und jeden im Blick. Unsere Freunde Christoph und Karena organisierten unkompliziert und praktisch denkend alles, was ihnen notwendig erschien und speziell „multi-tasking“-Talent Karena hatte alle Sinne auf Hochleistung.

Etwas später meinte sie: „War der eine Polizist nicht ganz herzig?“ „Wo war da ein Polizist?“ „Na der, der Dir verboten hat aufzustehen.“ „Der war nicht herzig! Der Notarzt vom Hubschrauber, der war herzig.“ Ich weiß nicht, wieviele Notrufe abgesetzt wurden, auf alle Fälle rauschten zwei Rettungswagen mit „Tatütata“und Blaulicht an und gleichzeitig landete ein Notarzthubschrauber. Anscheinend kam ebenfalls eine Polizeistreife dazu, die ich aber zu diesem Zeitpunkt nicht bemerkte. Der Hubschrauber hätte nur eine Patienten nach Ingolstadt mitnehmen können, und daher beschloss ich, dass wir beide die Rettungswagen ins nähere Eichstätt nähmen, um beieinander zu bleiben. Alexander fuhr mit seiner Schwester, Achim musste sich noch um das geschrottete Motorrad kümmern, und ich wurde von einem unrasierten Arzt mit dicker Brille und rotem Strickpulli zum Sanitätswagen gebracht.

Angeblich soll ich auf dem Weg dorthin ein paar gaffenden Autofahrern in die offenen Wagenfenster gebrüllt haben. Angeblich soll es sich so ähnlich wie: „Hier fließt kein Blut! Schau dass Di schleichst mit Deim Karrn!“ geklungen haben. Ich kann mich aber überhaupt nicht mehr daran erinnern.

Es floss allerdings sehr wohl Blut, und zwar meines. Dieser munter plaudernde Notarzt in rotem Strick, blies die Blutdruckmanschette an meinem Arm auf Maximum auf, rammte anschließend eine dicke Kanüle in meine Vene und erzählte dabei angeregt aus seinem Leben.

Die linke Schulter schmerzte mittlerweile immer mehr, hingegen war mein rechter Arm taub, und aus der gestauten Ader suppte stetig mein Blut. Was soll's, schließlich war ich ja während meiner Pubertät auch schon etwas blutarm, da kam es auf ein Mal mehr nicht weiter an. Und wie man liest überlebte ich dank meiner äußerst zähen Natur, sogar diesen munteren Notarzt.

Direkt vor dem Krankenhaus sprangen drei hoch amüsierte Sanitäter aus dem Rettungswagen meiner Kinder. „Das wird bald alles wieder gut. Die beiden haben sich bereits auf der ganzen Fahrt gestritten. Zumindest am Kopf scheint soweit alles in Ordnung.“

Ja, Zuneigung kann sich zuweilen etwas ruppig anhören.

Trotz allem möchte ich diesen Unfalltag nicht missen. Das Kümmern, Sorgen und Helfen, egal von wem und in welchem Umfang, war gerade für mich, die schlecht um Hilfe bitten kann oder Verantwortung nicht gern abgibt, eine neue angenehme und beeindruckende Erfahrung.

Dennoch habe ich meiner Tochter das Handgelenk gebrochen. Auch wenn es noch so pathetisch klingt, das werde ich mir nie verzeihen.

Ich habe aber auch unsere kleine Familie in dieser extremen Situation erlebt, und es hat mich so stolz und „warm“ gemacht.

Ach ja, dass eine Polizeistreife vor Ort war, erfuhr ich einige Wochen später, als mir per Einschreiben mitgeteilt wurde, dass am soundsovielten die Anzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung an meiner Tochter zur Verhandlung kommt. Die Sachlage oder Straftat oder was auch immer wurde aber kurz darauf wegen Geringfügigkeit beigelegt. Diese Anzeige ergeht übrigens automatisch, wenn Kinder am Unfall beteiligt sind, dabei verletzt werden und Polizei dazukommt.

Ganz langsam und leise fragten wir nach der Gipsabnahme unsere Kleine, ob sie denn überhaupt nochmal 'aufsitzen' möchte. Wie soll ich sagen, ich glaube, ich hatte größere Hemmschwellen zu überwinden, wieder aufs Motorrad zu steigen als unsere Kleine.

Zwei Monate danach fuhren wir, in gewohnter Konstellation, Achim/Alexander, Verena/ich auf Achse nach Berlin.

'Oh mein Gott, sie weint!' Gleich in der ersten Stunde nach der Abfahrt. „Mausi, geht es Dir nicht gut? Hast Du Angst? Tut Dir was weh?“ „Nö, warum??“ „Du weinst doch.“ „Mamma! Ich singe!!“

Ich liebe sie!!

Prinzessin oder Räuber

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