Читать книгу Prinzessin oder Räuber - Claudia Pöttgen - Страница 13
Achim, das Bike und ich
ОглавлениеDen „Schein“ zu machen war in erster Linie alleine meine Entscheidung. Niemand hätte mir ihn schön reden oder ihn mir gar ausreden können. Trotzdem empfand ich Achim von Anfang an als meinen Mentor. Er hatte ja die Lizenz zum Fahren schon länger, ergo fuhr er bei weitem besser, hatte viel mehr Insiderwissen. Infos, die er mir nicht sofort geben konnte, lieferte er schnellstmöglich nach. Letztgenannte Eigenschaft kenne und schätze ich sehr und benutze sie ausgiebig und selbstverständlich auch außerhalb des Benzindunstes der Mopeds.
Wie bei fast allen mir bekannten Pärchen, die beide selbst fahren, ist Achim der Mann, als Navigator, vorne und ich, bzw. die Partnerin, ziehe nach. Ein Phänomen, das man auch bei anderen Motorradpärchen beobachtet. Jedes Paar hat seinen eigenen Stil, der meist vom Mann dominiert, aber von beiden geprägt ist.
Unweigerlich stellte sich nun für uns das große Thema, das Auseinanderdriften des Fahrkönnens. Dieses anzupassen ist für beide Partner eine wahre Herausforderung. Der Versierte, also meist der Mann, übt sich in Geduld und Großmut. Er gibt ausreichend Fahrtipps, übernimmt Sorge und Verantwortung. Der Anfänger übt sich in allem: Fahrstil, Können, Geschwindigkeitsaufbau, Blickführung, Demut und Erhalt eines kleinen Rests von Selbstachtung.
Man kann dieses Bild einer Fahrgemeinschaft mit der Spitze eines Eisbergs vergleichen. Der Berg einer ganz normalen Beziehungsarbeit, der nicht nur bei Motorradfahrern auftritt.
Haben sich in einer Beziehung beide nach längerer Zeit eine tolerante, gleichberechtigte Position erarbeitet, kommt mit dem Start einer gemeinsamen Freizeitbeschäftigung wieder Bewegung ins Beziehungsgeschehen. Ob man sich nun fürs Klettern, Skifahren, Mountain-Biken, Wandern, Radeln, Fotografieren, Joggen oder was auch immer entschieden hat, es eröffnen sich neue vielfältige Bereiche, in denen sich jeder Partner individuell betätigt und darstellt. Rein evolutionsbedingt, aber auch persönlichkeitsabhängig, liegen dabei die Stärken und Schwächen bei Mann und Frau sehr unterschiedlich.
Während z.B. der Mann per Internet und GPS die Wege plant und routet, informiert sich Frau über Klima und Wetter, um die richtige Kleidung einzupacken. Hat er die optimalen Weitwinkel- und Nahaufnahmeobjektive ausgesucht und besorgt, sucht sie den schönsten Blickwinkel und wartet auf den harmonischsten Aufnahmemoment. Er möchte seinen neuen Carving-Ski möglichst die ganze Tageskarte lang nützen, sie hat ihren neuen Skianzug schon genug getestet und will eine heiße Schokolade. Während er der Dame vom GPS lauschen muss, sich orientiert und den Weg findet, nützt sie die Zeit um sich die nächste Einkaufsmöglichkeit, den Bankautomaten, die Werkstatt und ein gemütliches Restaurant einzuprägen.
Durch äußere Umstände, aber auch über den normalen Wandel der Persönlichkeiten im Laufe der Zeit sind die Aufgabenbereiche und Interessen ständig im Umbruch und in Bewegung. Man spricht hier im allgemeinen von Beziehungsarbeit.
Wir beide, das ist zum einen Achim. Zirka 180 cm groß, nicht dick, nicht mager, dunkelbraune, mittlerweile schon grau melierte Haare, wache, schöne braune Augen, sportlich, attraktiv. Kein Weichei oder Warmduscher, mit einer guten Mischung aus Macho, Sturkopf, Frauenversteher und Charmeur.
Zum anderen bin da ich: zirka 170 cm, sehr eigenständig bis eigenwillig, mein Kurzhaarschnitt wechselt gerne in den Farbtönen und mein Erscheinungsbild ist wohl durchschnittlich sportlich. Und laut Achim immer mehr Räuber als Prinzessin.
Wir sind ungefähr gleich starke Persönlichkeiten, unsere Grundeinstellungen stimmen überein, nur in der Ausführung sind wir dann, doch öfter sehr verschieden. Eine Kombination, in der es sehr turbulent zugehen kann.
Er fährt, für meine Begriffe, grundsätzlich eine schöne, runde, saubere Linie, flott und souverän. Ich bin gerne sein Hintermann, kann mir viel von ihm abschauen und habe immens gelernt. Um Ebenbürtigkeit bemüht, will ich ihn nun meinerseits beeindrucken, mich beweisen und zeigen, zu was ich fähig bin und Verantwortung für uns beide übernehmen. Zugegeben, manchmal reicht es mir aber auch, cool und unabhängig zu sein und einfach meinen Spaß zu haben.
So ergaben sich schon oft Situationen, in denen Achim mir unter die Arme greifen wollte. Einfach nur aus der Sicht heraus, dass er zu diesem Zeitpunkt für seine Begriffe derjenige war, der das Nötige effektiver konnte als ich. In einem anderen Gebiet, zu einem anderen Zeitpunkt wäre dann ich der wirkungsvollere Teil für Hilfestellung. Und theoretisch ist mir das auch sonnenklar, nur der kleine Wichtel in meinem Kopf sticht und mault, 'Das muss doch aber auch selber gehen', und ich schlage durch mein forsches Auftreten meinen Mann mitsamt seiner Hilfe in die Flucht. Ich treibe Achim damit oft in den Wahnsinn.
So bin ich absolut der Meinung, wenn ich schon die „Dicke“ BMW 11150 GS fahre, dann kann ich sie doch wohl auch alleine rangieren und aufheben, und ich fahre auch mein Gepäck selbst. An meiner Maschine finde ich alleine die Batterie, die defekte Glühbirne usw. Oft zetere und plage ich mich zwar dann auch allein, aber ich habe es letztendlich selbst geschafft und niemanden dazu bitten müssen. Ich kann nicht erklären, warum das so ist. Vielleicht sehe ich es als Schwäche an, etwas nicht alleine fertig zu bringen. Komischerweise denke ich so nur über mich. Jedem anderen gegenüber habe ich nämlich ein ausgeprägtes „Helfersyndrom“. Schon so manchen erdrückte ich mit meiner schnellen und unbedingten Hilfe.
Gute 250 kg Motorrad sind schwer und aufheben kann ich sie nur, wenn ich richtig wütend bin. Das bin ich meistens über mich selbst, darin bin ich konsequent und fair.
Nur passiert es leider, dass mich gerade in dem Moment eine völlig arglose, gutmütige Person anspricht. Oft ist das Achim, oder aber auch einfach nur reizende Helfer. Ein kurz geblaffter, abweisender Satz ist noch die beste Variante, die mein Gegenüber dann als Antwort erhält.