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Ich wollte nie so wie mein Vater sein

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Es macht mich manchmal nachdenklich, traurig und auch wütend, wenn ich über Vater nachdenke. Mag sein, dass ich ihm optisch immer ähnlicher werde. Würde ich nicht so viel Sport betreiben, hätte ich wohl mittlerweile auch den für ihn typischen Bauch, der jedem in Erinnerung ist, wenn er an Hermann Kröger denkt.

Es ist für mich immer noch eine sehr emotionale Angelegenheit, über Vater zu sprechen. Ich wollte nie so sein wie er, empfand ihn als furchtbar. Er war jähzornig, dominant und verbreitete schlechte Laune. Er hatte eine Gabe, seine Familie einzuteilen und mit Dingen zu beschäftigen, die vor allem uns Kinder überhaupt nicht interessierten. Sobald er sah, dass wir spielten oder uns mit einem Buch, einer Zeichnung selbst beschäftigten, hat er uns nach seinen Maßstäben sinnvoll zwangsbeschäftigt. Ob mit Gartenarbeit oder dem Stapeln der Getränkekisten im Lager, egal. Es musste nach seinem Kopf gehen. Völlig sinnlos waren die ewig langen Autofahrten, wenn wir ihn bei der Auslieferung der Getränke begleiten mussten. Wolfgang und ich saßen einfach nur im Auto und warteten gelangweilt auf ihn. Hauptsache, er hatte uns um sich und konnte uns kontrollieren.

Die Ablehnung, die Distanzierung und schließlich der von mir gewollte Bruch mit meinem Vater hatten ihre Wurzeln in meinen Kindertagen. In vielen Gesprächen beteuerte meine Schwester zwar: „Uwe, du warst immer Papas Liebling, du hast es nur nicht bemerkt“, aber es war auch nie zu bemerken. Ich war der erstgeborene Sohn, der erste männliche Nachkomme und ein Wunschkind, wie mir Mutter immer versichert hat. Und das wird es wohl gewesen sein: simpler männlicher Stolz. Die Erhaltung der Familie, des Namens Kröger, war gesichert. Mein Vater hat praktisch gedacht, richtige Vaterliebe habe ich nie erfahren. Zwischen Wunsch und realem Leben liegen eben doch Welten, wahrscheinlich auch zwischen meiner Vorstellungswelt und jener meiner Schwester und meiner Mutter, denn der Realität, die ich erleben musste, entsprechen ihre Aussagen nicht.

Ich kann nicht einmal sagen, dass Vater sehr große Unterschiede in der Behandlung seiner Kinder gemacht hat. Jeder von uns hat einfach anders reagiert. Ich mache Annette keinen Vorwurf, aber den Jagdschein zum Beispiel hat sie ihm zuliebe gemacht. Ich habe heute noch ein riesiges Problem mit allem, was mit Weidmannsideologie zu tun hat, und Wild kann ich nicht einmal riechen, geschweige denn essen. Als Kinder wurden wir regelrecht dazu gezwungen, Wild zu essen. Aber ich kann heute ohne Rehbraten ganz gut leben, und es hat sich auch sonst im Laufe der Jahre vieles relativiert, das ich in meiner Sturm- und Drangphase kategorisch abgelehnt habe. Ich kombiniere die Modefarbe Grün zu allen möglichen Kleidungsstücken und assoziiere damit nicht mehr sofort das verhasste Jagdgrün aus Kindertagen. Als Wahl-Österreicher habe ich gelernt, eine zünftige Lederhose anzuziehen, nicht nur für The Sound of Music auf der Bühne. Ich fühle mich wohl darin und habe sie als lustiges, praktisches, österreichisches Accessoire für bestimmt Anlässe entdeckt.

Trotzdem denke ich viel lieber an meine Mutter Elisabeth. Sie war immer der ruhende Pol in der Familie, wirkte stets kalmierend, wenn es Probleme im Vater-Kind-Verhältnis gab. „Ihr müsst ihn verstehen, er hat es nicht leicht gehabt“, lauteten zumeist ihre beschwichtigenden Worte.

Ein Handbuch, das Söhnen vermittelt, wie sie mit ihren Vätern umzugehen haben, gibt es nicht. Unser Familienleben unterschied sich nicht von dem vieler deutscher Familien. Heute wie damals ist es ganz bestimmt nicht die Aufgabe der Kinder, herauszufinden, wie der Erzeuger tickt.

Es waren viele kleine Details, die mir ein normales Vater-Sohn-Verhältnis nie ermöglicht haben. Wir haben nie miteinander geredet. Weder, als wir noch unter einem Dach gewohnt haben, noch nachher. Kommunikation war für meinen Vater ein Fremdwort. Ich habe ihn nie gehasst, aber für gewisse Charakterzüge, die anderen Familienmitgliedern vielleicht nicht aufgefallen sind, verachtet. Immer hat er uns als glückliche, strahlende Familie seinen Jagdgesellschaften oder bei ausgelassenen Festen zuhause vorgeführt, es wurde gelacht, getanzt und fröhliche Stimmung verbreitet – wehe, wir waren schlecht drauf. Waren die Gäste aus dem Haus, legte er den Schalter um. Es herrschte absolute Interessenlosigkeit dem gegenüber, was wir Kinder machten.

Ich glaube, dass er mit mir nichts anfangen konnte, und ich mit ihm ebenfalls nicht. Es mag sein, dass ich bockig war, aber am Verhalten meines Vaters hat sich auch nicht viel verändert, nachdem ich weg war, selbst wenn meine Mutter heute noch beteuert: „Der Papa war sehr stolz auf deine Erfolge. Wir haben oft darüber geredet.“ Ich habe von diesen wundersamen, mir fremden Emotionsausbrüchen ausschließlich durch Erzählungen von Familienmitgliedern gehört, nie aus dem Mund meines Vaters, ebenso wenig wie ich die drei alles entscheidenden Worte gehört habe: „Ich liebe dich!“

Hat er mich geliebt, dieser hart arbeitende Hermann Kröger, der zwei Familien versorgen musste? Mag sein, dass er es nicht sagen und empfinden konnte, weil er es selbst nie erfahren hatte. Er war als Waisenkind aufgewachsen und von einer Familie in die nächste verpflanzt worden. Als Jugendlicher sah er seine Freunde an der Kriegsfront fallen, er selbst wurde schwer verwundet und stellte sich tot, um zu überleben.

Dies ist eine der versöhnlichen Sichtweisen, die Mutter stets als Entschuldigung für die Eigenheiten unseres Vaters uns Kindern gegenüber verwendet hat. Mir erschien das lange Zeit als Ausrede, denn durch Erzählungen habe ich erfahren, dass es auch noch einen ganz anderen Hermann gegeben haben muss – lange vor meiner Zeit. Damals, in der Nachkriegszeit, hat mein Vater die Gunst der Stunde genutzt und buchstäblich aus Scheiße Gold gemacht. In Hamm hat man sich erzählt, dass Vater als Kriegsheimkehrer zwar aufgrund seiner Verletzungen humpelnd durchs Leben ging, aber ein Sonnyboy war, angebetet von den jungen Mädels im Ort, auf jedem Foto lächelnd. In ihn verliebte sich meine Mutter.

Man kann alles verzeihen, was in der Vergangenheit passiert ist, aber diesen Vater habe ich nie kennengelernt, leider.

Meine Bezugsperson war und ist meine Mutter. Eine wunderbare Frau, ich liebe sie sehr. Das war schon immer so, obwohl ich nie ein Muttersöhnchen gewesen bin. Von uns Geschwistern habe ich sicher am intensivsten mit ihr geredet und diskutiert. Sie hatte immer ein Ohr für mich, egal wie müde sie war. Von ihr habe ich mein künstlerisches Interesse, sie ist sehr belesen und an allem interessiert, was in der Welt passiert. Sie hat von Anfang an verstanden, wie unglücklich mich das kleinbürgerliche Leben machte.

Ich habe bestimmt von beiden, Mutter und Vater, einige Eigenschaften übernommen. Natürlich hätte ich zu meinem Vater gerne ein anderes Verhältnis gehabt, aber es kam nie dazu.

Viel Positives bleibt nicht. Allerdings habe ich durch das Nachdenken über unsere Familienverhältnisse für mein eigenes Leben gelernt: Kommunikation ist mir extrem wichtig. Man muss die Dinge an- und aussprechen, vor allem, wenn es um Beziehungen geht. Bei Menschen, die mir wichtig sind, werde ich Kommunikationslosigkeit nicht mehr zulassen. Dass sich ausgerechnet mit Christopher, meinem Lebenspartner, in unserer Anfangszeit eine solche Situation anbahnte, hat damals bei mir die Alarmglocken läuten lassen. Christopher ist ein Mensch, der Problemen gerne aus dem Weg geht oder sie totschweigt. Gleich am Beginn unserer Beziehung habe ich ihm gesagt: „Du kannst mit mir streiten, du kannst mir Dinge an den Kopf werfen, aber bitte sprich sie aus und ignoriere sie nicht. Das kenne ich zur Genüge aus meiner Kindheit, und es führt letztendlich zu nichts oder ins Verderben!“

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