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Papa ist gestorben, als ich den Tod spielte

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Das Verhältnis zu meinem Vater hat tiefe Wunden in mir hinterlassen. Er war zwar stets als mahnende Figur, jedoch nie als Vater in meinem Leben präsent.

Krank und schwach war er schon lange. Aber es kam sehr plötzlich, als er am 1. März 1993 ausgerechnet bei seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Füttern seiner Tiere, inmitten von Gänsen, Hühnern, Schafen, Schweinen und Hunden im Garten einen Schlaganfall erlitt und starb. Vielleicht hat er sich genau so einen Abgang immer gewünscht.

So eigenartig es klingen mag, ich war weder geschockt noch übermäßig betroffen. In der Sekunde, in der ich von seinem Tod erfuhr, war eine unendliche Leere in mir, das Bewusstsein, dass zwischen mir und meinem Vater so vieles nicht ausgesprochen worden war und nun nie mehr ausgesprochen werden konnte. Vielleicht hätte man noch aufeinander zugehen können.

Etwas makaber war die Tatsache, dass ich in jenen Stunden ausgerechnet als Tod in Elisabeth auf der Bühne stand. Da macht man sich schon seine Gedanken. Es mag auch kein Zufall gewesen sein, dass ich in der Nacht davor ein ganz bestimmtes Foto meines Vaters in Händen gehalten hatte. Das hatte ich lange nicht mehr getan.

Als ich die Todesnachricht bekam, wollte ich sofort nach Hamm zu meiner Familie. Da meine Zweitbesetzung nicht aufzufinden war, blieb mir das leider verwehrt. Mein Reserve-Tod urlaubte gerade in London, habe ich später erfahren. Für mich ergab sich so eine eigenartige Ablenkung, oder womöglich eine willkommene? Ich hatte keine Zeit, um um meinen Vater zu trauern, wie an jedem Abend musste ich meine Leistung als blonder Todesengel erbringen. Mein damaliger Freund Greg ist sofort von Wien nach Hamm gefahren und hat sich um die Familie gekümmert, ich konnte erst ein paar Tage später nachkommen und Mutter, Annette und Wolfgang in meine Arme schließen.

Mit meinem Vater kam ich nicht mehr ins Reine, ihn konnte ich nicht mehr in meine Arme, in mein Herz schließen. Das brachte für lange Zeit innere Unruhe in mein Leben. Mittlerweile kann man mich aber wieder auf ihn und mein Verhältnis zu ihm ansprechen. Ich komme damit klar, habe viel daran gearbeitet und es verarbeitet. Als eine Form des Verarbeitens habe ich im Rahmen der Absolut Uwe-Tournee im Jahr 2010 das von Udo Jürgens komponierte und von Michael Kunze getextete Lied „Vater und Sohn“ gesungen.

Psychiater habe ich keine zu Rate gezogen, geholfen hat mir vielmehr einer jener vorherbestimmten Zufälle: Bei einer Premierenfeier kam eine elegante Dame, die mir vom Sehen bekannt zu sein schien, auf mich zu, gratulierte mir zum Stück und meinte dann aus heiterem Himmel: „Sie hatten wohl Probleme mit Ihrem Vater. Ich gebe Ihnen einen guten Rat, lassen Sie Ihre weibliche Seite in sich mehr zu, Sie versuchen zu hart zu sich selbst zu sein!“ Sie traf damit mein Innerstes. Wie konnte sie das wissen? Wer war sie, und was wollte sie damit sagen?

Da mir diese Begegnung keine Ruhe ließ, versuchte ich noch vor Ort mehr über sie zu erfahren. Ich erfuhr, dass es sich um eine professionelle Energetikerin handelte, und mit ihrer Analyse hatte sie recht. Wie konnte sie nur erahnen, dass ich so viel kompensiert hatte, ungemein hart geworden war, weil ich die weibliche Energie in mir verdrängt hatte? Hatte sie mir den frühen Bruch mit meinem Vater angesehen? Als wäre es gestern gewesen, weiß ich noch, wie es in genau diesem Moment „klick“ in mir gemacht hat. Die erdrückende Leere war aufgelöst, verschwunden. Als ob das Thema „Vater“ plötzlich abgeschlossen wäre.

Ich habe meinen Vater nicht wirklich gekannt, ich hatte keinen Respekt vor ihm, aber ich hätte ihn gerne besser kennengelernt. Dass uns beiden das nicht mehr gegönnt war, musste ich akzeptieren. Die Beziehung zu Papa ist für mich aufgearbeitet, und an dieser Stelle möchte ich auch jenen Gerüchten begegnen, die bisweilen aus Hobbypsychologen-Kreisen zu hören sind: Nein, ich habe nie eine Vaterfigur in meinen Freunden gesucht, und das komplizierte Verhältnis zu Papa ist sicher auch nicht der Grund dafür, dass ich schwul geworden bin!

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