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Erste Schritte im Showbusiness Saitensprung – sozialkritischer Folkrock

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„Er summte ständig irgendwelche Lieder, meist von amerikanischen Songwritern wie John Denver, Simon & Garfunkel und vielen, die ich noch nicht kannte. All das, was damals eben so in war. Er konnte wesentlich besser singen als ich.“ An die 1980er-Jahre, die mein Bruder Wolfgang hier anspricht, kann ich mich noch gut erinnern, denn wir haben nicht nur im Jagdoutfit musiziert. Ich begann damals, mich intensiv mit Musik zu beschäftigen, mutierte sozusagen vom passiven Zuhörer zum Akteur. Waren es die Gene mütterlicherseits oder einfach nur der Zeitgeist?

Es war auf einer Schullandwoche an der Ostsee, als wir beschlossen, eine Band zu gründen. Bis dahin hatte ich nur im Verborgenen, zu Hause in meinem Zimmer oder in unserer Scheune, mit meinem besten Schulfreund Frank Lahme in gemütlichen Tee- oder Glühweinrunden musiziert. Meistens nur vor ein paar Freunden.

„Ausschlaggebend war wohl das Konzert von Simon & Garfunkel im Central Park im Jahr 1981. Wir hatten die Platte gekauft und hörten sie rauf und runter.“ Frank hat oft über unsere ersten Schritte als Cover-Duo gesprochen. Musikunterricht hatten wir keinen, die wichtigsten Gitarrenakkorde brachten wir uns selbst bei, und schon legten wir los mit dem Nachspielen von Songs der zeitgeistigen US-Stars. Frank und ich waren nicht so übel, wir hatten tierischen Spaß, und so beschlossen wir, mehr daraus zu machen, in Bezug auf das Repertoire, die Häufigkeit der Probentermine und vor allem in Bezug auf die Zusammensetzung der Band. Zwei Schulkolleginnen, Gabi Möller und Petra Reichelt, kamen als Zusatzstimmen in die Band. Burghardt, der Sohn eines Pastors, gesellte sich mit seinem Cello zu uns, und Uli Pika übernahm die Percussion. Wir waren eine kleine, feine und vor allem lustige Truppe, die sich an mehrstimmigem Folkrock, angesiedelt zwischen John Denver, Crosby, Stills, Nash & Young und The Mamas and the Papas, versuchte. Von Coverversionen wechselten wir schnell zu Eigenkompositionen: kritische Lieder, die sich mit damals aktuellen Themen wie dem Nato-Doppelbeschluss, den herrschenden Ängsten im Umfeld des Kalten Krieges oder dem Wertesystem, das sich die Jugend vorstellte, auseinandersetzten.

Heute muss ich etwas schmunzeln, wenn ich an die deutschen Texte unserer Songs wie „Zerstöre meine Traumwelt nicht!“ denke, doch mit diesen Protestliedern versuchten wir, die Hoffnungen, Ängste und Gedanken einer ganzen Generation zu artikulieren. Zumindest glaubten wir das.

Wir gaben uns – typisch für die 1980er-Jahre – den Namen „Saitensprung“. Es sollte ein Gag sein, denn an Franks alter Gitarre waren ständig Saiten gerissen. Vom Seitensprung in einer Beziehung hatten wir alle noch wenig Ahnung.

Frank erzählt heute noch gerne, dass ich nicht nur mit meiner Stimme, sondern besonders durch meine kaputte Blockflöte aufgefallen bin: „Das war so eine billige, um 20 DM, und ein Ton darauf kam ganz schief rüber. Exakt nach diesem schiefen Ton von Uwe wurden letztendlich die Instrumente auf 440 Hz gestimmt und die Kompositionen geschrieben.“

Uns Anfängern war das egal, wir versuchten, unser Bestes zu geben, denn an unserer Schule gab es längst richtige Rockbands mit elektrischen Instrumenten, und das war für uns ein unglaublicher Ansporn und eine Herausforderung. Warum sollten die Saitensprung-Lieder nur in der Scheune erklingen und nicht öffentlich? Die Stars waren zwar die in Jugendkreisen etablierten Rockbands, aber mit viel Proben und Ehrgeiz schafften wir es, auch mit Saitensprung vor bis zu 200 Leuten Konzerte zu spielen. Als Rockstars fühlten wir uns dabei nicht, zu wenig schillernd und progressiv waren die Auftritte unserer Unterstufen-Musikband, die anfangs unentgeltlich, dann mit lächerlichen Aufwandsentschädigungen und später durch überschaubare Einnahmen von Eintrittsgeldern belohnt wurde.

Immerhin hatte die Band ein eigenes Sparbuch, das Frank angeblich heute noch in einer Schublade aufbewahrt: „Das Kennwort lautete ‚Carlo Rabozzo‘, und die erste Einzahlung betrug 79 Mark 68 Pfennig, datiert vom 9. Dezember 1982“, erzählt er immer stolz über die allerersten Einnahmen bei einem Konzert im evangelischen Pfarrheim von Hamm.

Zu unseren Auftrittsorten, die nie weit von unseren Probenräumlichkeiten entfernt waren, fuhren wir mit dem Fahrrad, die Gitarre und das Cello hatten wir umgeschnallt. Unser Publikum war bunt durchmischt und reichte von älteren Personen bis zur Landjugend. Im Repertoire hatten wir rund 20 Songs, geschrieben von Frank und mir – nicht schlecht für Newcomer, die das gesamte erspielte Geld natürlich sofort in Musikinstrumente und Tonanlagen investierten. Bei unseren Auftritten trugen wir alle die gleichen gestreiften Zechenhemden, eine Arbeitsbekleidung aus den Bergwerken unserer Umgebung. Keine Ahnung, warum, aber wir fanden es offensichtlich hipp. In der Freizeit rannten wir alle in Turnschuhen und selbstgestrickten Norwegerpullovern herum, es war die späte Hippie-Ära. Die Haare der Jungs waren halblang – so lange, wie es die Eltern eben erlaubten. Wir wohnten ja alle noch zu Hause. Dass man von Hamm in die weite Welt hinausgehen könnte, war noch kein Thema, und die Atomkraftwerke im Umkreis und deren Gefährlichkeit kannten wir nur vom Hörensagen. Aber wir protestierten gegen Letzere mit Aufklebern wie „Atomkraft – nein, danke!“. Man war eben alternativ unterwegs.

Dazu fällt mir ein weiterer Protestsong von Frank und mir ein: „Ich bin ein Spießer und ich denk nur an mich!“ Es hatte schon einen Sinn, gegen gewisse Umstände öffentlich zu protestieren. Gebracht hat es natürlich wenig, aber wir empfanden uns zumindest als politisch interessiert.

Eigenartigerweise haben wir in unserer Familie nie über Politik gesprochen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie meine Eltern politisch einzuordnen waren. Das war kein Thema. Ich selbst war in meiner pubertären Sturm- und Drangphase dem grünen, revolutionären Gedankengut gegenüber aufgeschlossen, dem Zeitgeist der selbstgestrickten Schals und Anti-Atomkraft-Aufkleber.

Lautstark vertraten wir diese Einstellung via Saitensprung in schätzungsweise 20 Konzerten, bis schließlich 1984 das Abitur zum gravierenden Schnitt in der Bandgeschichte wurde. Wir trafen uns nur noch selten, jeder ging seinen eigenen Weg. Ich musste den Zivildienst antreten, ebenso wie Frank. Wir verloren uns aus den Augen.

Das spürbar nahende Ende ging Hand in Hand mit meinem gesteigerten Interesse für das Genre „Musical“. Ich hatte mich losgelöst von unserem Stil, unsere Protestsongs waren nichts mehr für mich. Wir hatten uns ideologisch voneinander entfernt und unterschiedliche Ansichten in Sachen Musik entwickelt. Frank führte die Band noch einige Zeit weiter, ich dachte bereits in Richtung professioneller Gesang. Ich wollte meine Begeisterung für die Musik zum Beruf machen, nachdem ich mit Backstage Blut geleckt hatte.

Frank konnte meinen Wunsch nicht ganz verstehen, er meinte einmal: „Ich konnte das nicht nachvollziehen, dass sich Uwe plötzlich so sehr für Musical begeisterte und in diese völlig andere Richtung gegangen ist. Von mir aus hätte unsere Band noch lange weiterlaufen können. Ich zweifelte an dieser Karriere, da das Musical-Genre in Deutschland etwas völlig Neues, Unbekanntes war.“

Unsere Wege, die sich 1985 getrennt hatten, sollten sich erst Jahre später auf beruflicher Ebene wieder kreuzen. Frank arbeitete mittlerweile als Journalist, und ich war ein aufstrebender Musicaldarsteller. Es war eine Begegnung zweier völlig verschiedener Welten. Frank lebte und arbeitete immer noch in Hamm, während ich hinausgegangen war in die Welt und in jenem Genre reüssiert hatte, das er so angezweifelt hatte.

Zu Weihnachten, wenn ich mein beinahe alljährliches Konzert in meiner Heimatstadt Hamm geben werde, wird man sich wieder sehen und vielleicht über alte Zeiten plaudern, denn etwas verbindet uns immer noch: Frank ist heute mit Sigrun, einer meiner ersten Freundinnen, verheiratet, und ich freue mich immer wieder, die beiden zu sehen.

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