Читать книгу Des Orakels Richterspruch - Clemens Anwander - Страница 12
Waffenkunde
ОглавлениеSucaría zügelte ihren Schimmel, während sie den letzten Strahlen der untergehenden Abendsonne entgegen blickte. Das Tier war müde. Kein Wunder, denn nach der unangenehmen Rast zu Mittag hatten sie doch noch ein ordentliches Stück des Weges hinter sich bringen können. Und das trotz Jarihms sehr begrenzten Fähigkeiten auf dem Pferd. Zwischenzeitlich war er ihr schon etwas auf die Nerven gegangen mit seinen ständigen Forderungen nach einer weiteren Rast, doch nachdem sie sich in Erinnerung gerufen hatte, dass er ja nur ein Zivilist war, der vermutlich noch nie längere Wegstrecken geritten war, hatte sie sich eingestehen müssen, dass er eigentlich tapfer durchhielt. Die Pausen hatte sie ihm natürlich trotzdem nicht gewähren können. Einerseits, weil es ihr eine gewisses Vergnügen bereitete, ihn ein klein wenig leiden zu sehen, andererseits aber auch, weil sie einen fixen Zeitplan hatte. Morgen Abend mussten sie am Ziel ihres Ritts ankommen, da gab es keinen Zweifel.
»Wir schlagen hier unser Nachtlager auf. Binde deinen Gaul fest und such uns etwas Feuerholz. Ich werde die Pferde versorgen, und mit dem, was ich dabei habe, schon mal ein Feuer starten.«
Es amüsierte sie, wie der junge Mann erleichtert aufatmete. Steif stieg er von seinem Pferd herab und wäre dabei beinahe auf seinen Allerwertesten gefallen, wenn er sich nicht noch in letzter Sekunde am Sattel festgehalten hätte. Schnell blickte Sucaría in eine andere Richtung und bekämpfte den Wunsch laut aufzulachen. Auf ihrem Hinterkopf spürte sie seinen bohrenden Blick, mit dem er wohl überprüfen wollte, ob sie sein kleines Malheur mitbekommen hatte. Eigentlich konnte sie den Kerl sogar ganz gut leiden. Er war witzig, hatte Benehmen und war intelligent. Und trotzdem stieg in ihr die altbekannte Übelkeit auf, wenn sie daran dachte, wie er ihr im Gasthaus auf der Treppe an den Hintern gefasst hatte. Sie hatte in diesem Moment ihre gesamte Willensstärke aufbringen müssen, um ihn nicht die Treppe hinunterzustoßen. Eine Tat, zu der sie zuvor bei dem rüpelhaften Hünen nicht fähig gewesen war. Wenn sie jetzt nochmals darüber nachdachte, musste sie sich eingestehen, dass sie eventuell etwas überreagiert hatte. Doch als der Kerl seine ekelhaften Wurstfinger auf ihren Schenkel gelegt hatte, dabei zischend, dass er sie mit oder ohne ihre Zustimmung haben würde, da waren bei ihr alle Dämme gebrochen. Alte, widerliche Erinnerungen waren über sie hereingebrochen. Solche, von denen sie wusste, dass sie immer im Schatten darauf lauerten, ihr wiederum schweißtreibende, schlaflose Nächte zu verschaffen. Alleine die jetzigen Gedanken daran bereiteten ihr schon körperliches Unbehagen. Sie schluckte, um die sich rasch ausbreitende Übelkeit zu vertreiben. Wenn sie es recht bedachte, hatte der riesige Kerl es doch verdient gehabt! Jarihm war ganz anders als dieser Typ, nämlich ein Mann, mit dem sich Umgang pflegen ließ. Auch wenn seine schnelle Auffassungsgabe sie heute schon in Probleme gebracht hatte, hätte er ihre Geschichte, die sie ihm mittags aufgetischt hatte, doch beinahe auffliegen lassen. Woher hätte sie auch wissen können, dass man in Zilrags Spielschuppen nicht einfach so hineinkam? Vastor hatte etwas Derartiges nie erwähnt. Mit ihm würde sie noch ein Hühnchen rupfen, wenn die ganze Sache vorbei war. Schnell versorgte sie die Pferde, die von der langen Reise sehr hungrig waren. Während sie Feuersteine, etwas Papier und ein paar Holzspäne zum Anfeuern aus der Tasche holte, beobachtete sie, wie Jarihm in die Richtung von ein paar Bäumen trottete, um dort trockene Äste aufzulesen. Wenn sie ihn so anblickte, tat es ihr beinahe schon leid, ihn derart hinters Licht zu führen. Aber wenn sie daran dachte, was auf dem Spiel stand, musste sie es einfach tun. Oder war sie vielleicht doch vollkommen verrückt, und es handelte sich nur um ein Hirngespinst? Sie schlug die Steine aneinander, und schon nach einigen Versuchen loderte ein kleines Flämmchen. Pünktlich traf auch Jarihm mit dem Feuerholz ein. Dank der letzten paar warmen Wochen waren die Hölzer staubtrocken. Erprobt legte sie eines nach dem anderen oben auf, und diese fingen kurz darauf bereits zu brennen an. Sie lehnte sich zurück und betrachtete zufrieden ihr Werk. Das Holz knackte beschaulich und strahlte dabei eine angenehme Wärme aus. Noch war es warm und das Feuerchen beinahe überflüssig, doch die Nächte konnten zu dieser Jahreszeit schnell mal sehr kalt werden, vor allem wenn man im Freien übernachtete. Für kurze Zeit saßen sie beide friedlich da, und Sucaría genoss die Ruhe nach dem Tag voll lauter Hufschläge. Plötzlich fiel ihr wieder ein, was sie gestern Abend bereits bemerkt hatte. Das Schwert, dass sie in Jarihms Raum im „Zum Betrunkenen Elf“ an sich genommen hatte, hatte sich für wahr meisterlich führen lassen. Bis jetzt hatte sie noch keine Gelegenheit gehabt, es genauer zu inspizieren, aber der Moment war günstig. Sie zog es langsam aus der Scheide und betrachtete es im Lichte der untergehenden Sonne genau. Es war ein Gladus mit gerader Klinge, dessen Design wenig kreativ wirkte. Doch der Anschein trog, wie Sucaría nach genauerer Inspektion feststellte, denn die Waffe war alles andere als plump. Das Kriegsinstrument war nicht ganz so lang wie ihr Arm, aber das erste, was ihr ins Auge sprang, waren die beiden blutroten Rubine, welche im Griff eingelassen waren, und in denen sich das Licht des Feuers majestätisch widerspiegelte. Sucaría pfiff durch ihre Zähne. Die zwei funkelten so sehr, dass sie den Gerüchten über solchen Edelsteinen innewohnende Magie, welche die Kosten für diese Art von Kleinode so immens hoch hielten, schon beinahe Glauben schenken konnte. In dem Bereich, wo der geschmiedete Stahl in das Heft überging, waren vier, in alle Richtungen wegstehende Dornen angebracht worden, welche nach zwei fingerbreit Stahl eine Biegung nach oben machten und ebenfalls in Richtung der Schwerspitze zeigten. Sie rundeten das abschreckende Aussehen der Waffe vollends ab, und die Schildmaid konnte sich vorstellen, dass man damit ein angreifendes Schwert gut einfangen würde können, um es mit etwas Geschick dem Griff des Angreifers zu entwenden. Noch dazu kam eine Klinge, die so scharf aussah, als ob man damit den Tod selbst verletzen könnte. Sucaría wusste, dass das, was sie vorhatte, keine gute Idee war, aber sie konnte einfach nicht anders. Mit ihrem linken Zeigefinger berührte sie die Klinge so behutsam, wie sie nur irgendwie konnte. Augenblicklich begann sie zu bluten. Die Schildmaid steckte sich den Finger in den Mund. Es schmeckte metallisch, aber nicht unangenehm. Sie hatte in ihrem Leben noch kein so scharfes Schwert gesehen. Ein genauerer Blick offenbarte das Geheimnis der unglaublichen Schnittfähigkeit: Die gesamte Schneide war mit den winzigsten Sägezähnen, die man sich vorstellen konnte, bedeckt. Auffällig war außerdem die mittige, längsseitige Rille inmitten der breiten Klinge, deren Sinn sich ihr nicht wirklich erschloss. Sucaría hatte im Rahmen ihrer Ausbildung zur Schildmaid auch Waffenkunde durchlaufen, und obwohl sie darin sicher nie zu den Besten ihres Jahrganges gehört hatte, kannte sie sich jetzt zumindest mit der grundlegenden Materie aus. Sie hatte bestimmt hunderte verschiedene Schwerter gesehen, aber eines wie das hier war ihr noch nie untergekommen. Sie war sich sicher, dass hier die feinsten Materialien von einem wahren Meister seines Fachs zu einer fulminanten Klinge verwandelt worden waren. Sie blickte auf um Jarihm zu suchen und erschrak, als sie merkte, dass sein Gesicht nur hauchdünn neben dem ihren war. Sie war so vertieft in die Waffe gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie er sich neben sie gesetzt und ihr zugesehen hatte. Er grinste sie an.
»Na, genug gestaunt? Ein unheimlich schönes Schwert, nicht wahr? Ich dachte mir, dass du das hier bestimmt auch gern sehen möchtest.«
Auf seinem Schoß lag das andere und sie entschloss sich, ob des Kratzens in ihrem Hals, lediglich zu nicken. Dass er ihr so nahe gekommen war, ohne dass sie ihn bemerkt hatte, machte ihr schon genug Sorgen, aber dass seine Hüfte die ihre berührte, ließ den schon fast wieder vollkommen verebbten Brechreiz in voller Stärke zurückkommen. Sie griff sich vorsichtig das Schwert, aber nicht ohne dabei wie zufällig etwas von ihm wegzurücken. Augenblicklich ließ die Übelkeit wieder etwas nach, und sie seufzte erleichtert auf. Es erstaunte sie, wie konträr diese Waffe hier zu der anderen war, waren sie doch offensichtlich als Set an der Wand gehangen. In vielerlei Hinsicht ähnelte das in ihrer Hand einem Krummschwert, und doch war es nicht zu vergleichen mit denen, welche die Tochter des Sujcan-Clans bisher geführt hatte. Die Biegung wirkte elegant, die ganze Waffe filigran, aber dennoch nicht zerbrechlich. Wie im Gladus waren auch hier Edelsteine im Griff eingelassen, nämlich zwei giftgrüne Malachite, doch das war auch schon die einzige Gemeinsamkeit, die Sucaría erkennen konnte. Die Parierstange war zierlich, und trotzdem war sich die Schildmaid sicher, damit heftigere Schläge abfangen zu können, als mit einem kleinen, hölzernen Rundschild. Außerdem war die Waffe so perfekt ausbalanciert, dass man den Eindruck hatte, sie würde überhaupt nichts wiegen. Ohne Zweifel war auch dieses Schwert ein absolutes Meisterstück. Oh, wie gern sie diese beiden Waffen doch besessen hätte! Doch dies stand wohl weit außerhalb ihrer finanziellen Möglichkeiten. Jarihm begann erneut zu sprechen, während er das Krummschwert wieder an sich nahm und in die Scheide zurück steckte.
»Mein Vater hat die beiden vor gut drei Monaten von einem Zwischenhändler gekauft. Der eigentliche Verkäufer wollte anonym bleiben. Ich war eigentlich dagegen. Eine solche Summe gibt man nicht leichtfertig aus, aber mein Vater kümmert sich schon lange nicht mehr um das, was ich sage. Oder überhaupt um mich…«
Kurz erinnerte Jarihm sie an den Hund, der von den Kindern in ihrem Ort immer getreten worden war. Doch er hatte sich schnell wieder gefangen.
Eigentlich wollte sie nicht weiterbohren, doch letztlich siegte ihre Neugierde.
»Wie teuer waren sie denn?«
»2000 Goldstücke.«
Sucaría hätte sich beinahe an ihrem eigenen Speichel verschluckt. 2000 Goldstücke? So viel Gold würde sie wahrscheinlich nicht einmal in fünf langen Jahren verdienen. Sie hatte ja gewusst, dass sie sich solche Waffen nie leisten würde können, aber dass sie so enorm weit weg war davon, hätte sie nicht mal im Traum gedacht.
»Pro Stück«, fügte Jarihm noch wie beiläufig hinzu. Der Tochter des Zujcan-Clans schwante Übles. Sollte der Waffe irgendein Schaden entstehen, oder sollte sie gar abhandenkommen, würde sie wirklich bald in solch enormen Schulden stecken, die sie Jarihm heute Mittag noch glauben gemacht hatte. Sie stand auf und machte ein paar Schritte um das unangenehme Gefühl wieder abzuschütteln. Jarihm blickte ihr interessiert nach.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Alles Bestens«, erwiderte sie trocken.
»Aber wir sollten jetzt nur noch schnell etwas essen und uns dann schlafen legen. Morgen erwartet uns ein langer, anstrengender Ritt.«
Jarihm nickte nur, als sie ihm Brot aus ihrer Tasche gab. Kauend ergriff er wieder das Wort.
»Wie kommt es eigentlich, dass du trotz unseres überraschenden Aufbruchs alles dabei hast, was man für eine solche Reise braucht? Wasser, Nahrung, Futter für die Pferde?«
Sucaría trat der Schweiß aus den Poren. Er war wirklich cleverer als gut für ihn war.
»Als Schildmaid muss man allzeit bereit sein, lange Strecken ohne Chance auf Verpflegung von außen zurückzulegen. Darum habe ich das Nötigste immer bei mir.«
Jarihm schaute sie skeptisch an, doch offensichtlich gab er sich mit der Erklärung zufrieden. Das war knapp gewesen. Stumm dankte sie ihrem schnellen Verstand, der ihr eine plausible Ausrede geliefert hatte. Sie legte sich auf den Boden in das trockene Gras, deckte sich mit einer der beiden Decken zu, die sie abermals aus ihrer Tasche zog, warf die andere dem links neben ihr liegenden Jarihm zu, und ließ sich noch etwas vom Feuer wärmen.
»Gute Nacht«, sagte sie in die Stille der Nacht hinein, in der sonst nur noch das leise Knacken des Feuers hörbar war.
»Gute Nacht Sucaría.«
Ein Lächeln bildete sich in ihrem Gesicht, als sie seine Stimme hörte. Trotz der durch ihn ausgelösten Übelkeitsanfälle war er ihr nicht unsympathisch. Ganz und gar nicht sogar… Sie drehte sich auf den Rücken, legte das teure Schwert der Länge nach auf sich und umklammerte fest den Griff. Es war viel zu kostbar um es unbeobachtet irgendwo abzulegen. Langsam entwich sie in einen traumlosen Schlaf.
Jarihm erwachte in dämmriger Dunkelheit. Das Feuer war herab gebrannt und außer einem kleinen Haufen Glut zeugte nichts mehr davon, dass es ihnen vorhin noch hervorragend Wärme gespendet hatte. Normalerweise wachte er in der Nacht nicht auf, doch er war es auch nicht gewohnt, auf hartem Boden und nicht in gemütlichen Betten zu schlafen. Und wenn dann auch noch der unabdingbare Ruf der Natur ihn ereilte, dann war es vorbei mit der nächtlichen Ruhe. Er stand so leise wie möglich auf, um Sucaría nicht zu wecken, die friedlich atmend rechts neben ihm lag. Sein Rücken tat ihm weh und er hatte einen schmerzhaften Muskelkater auf der Innenseite der Oberschenkel, was er zweifelsfrei auf das viele ungewohnte Reiten des vorherigen Tages zurückführte. Vorsichtig schlich er auf leisen Sohlen an der Schildmaid vorbei in Richtung der Bäume, unter denen er am Abend Feuerholz gefunden hatte. Dabei dachte er über die Tochter des Zujcan-Clans nach. Irgendwie wurde er nicht so wirklich schlau aus ihr. Dafür konnte er aber auch nicht unbedingt etwas. Schließlich sendete sie sehr widersprüchliche Signale aus. Zuerst behandelte sie ihn den ganzen Tag über als wäre er Luft, oder schlimmer noch, eine Last für sie. Sie gestand ihm keinerlei Pausen zu und einmal hatte er sich auch eingebildet, dass ihre Mundwinkeln kurz zu einem amüsierten Lächeln nach oben gezuckt waren, als er beim Reiten wieder einmal schmerzgeplagt aufgestöhnt hatte. Aber dann am Abend hatte sie ihn so eingehend gemustert mit ihren tiefblauen, funkelnden Augen, dass er fast sicher war, dass sie doch Interesse an ihm hatte. Und warum auch nicht? In der Nacht, bevor sie attackiert worden waren, war sie ja eigentlich bereit gewesen, das Bett mit ihm zu teilen. Das erklärte aber nicht, warum sie wie beiläufig seiner Berührung entwichen war. Er seufzte. Nein, aus dieser Frau wurde er wirklich nicht schlau. Erleichtert kam er bei den Bäumen an und öffnete seine Hose um Wasser zu lassen. Halleluja, das war dringend nötig gewesen. Kurz blieb er noch stehen und blickte gen Himmel. Der wunderschöne Vollmond lachte herab und erhellte schwach das gesamte Gebiet rundherum. Eine leichte Brise wirkte erfrischend aber trotzdem angenehm, was vor allem daran lag, dass es zu dieser Jahreszeit noch nicht all zu kalt war. Ein leises Knacken aus Richtung ihres Lagers ließ ihn aufhorchen. Es hatte geklungen, als ob ein Ast gebrochen wäre. Angestrengt blickte er in Richtung der roten Glut. Sucaría schien immer noch friedlich schlafend dort zu liegen. Vielleicht hatte er sich auch getäuscht. Er begann zurück zu tapsen. Plötzlich sah er etwas. Ein Schatten, der sich von rechts, in geduckter Haltung, an das Lager heran schlich. Sofort ging auch Jarihm in die Knie, während er sich ebenfalls vorsichtig zu ihrem Schlafplatz bewegte. Was sollte er tun? Waren ihnen die Handlanger Zilrags etwa bis hierher gefolgt? Noch schien der Schatten ihn nicht bemerkt zu haben. Zielstrebig schlich dieser nämlich weiter in Sucarías Richtung. Nun griff er in die Tasche, und ein im Mondlicht glänzendes Etwas kam zum Vorschein. Fest hielt der Schatten es in der rechten Hand. Nun stand er auch schon vor Sucaría und holte damit aus. Panik befiel Jarihm, als er endlich realisierte, dass es sich um einen Dolch handelte.
»Achtung!« Jarihm brüllte so laut, wie es seine Stimme nur hergab. Der Schatten zuckte ob des plötzlichen Geräusches kurzzeitig zusammen, ehe er den Dolch nach unten fahren ließ. Es klirrte metallisch auf, und der Schatten war offensichtlich überrascht, denn er schien für einen Herzschlag lang nicht zu wissen, was er nun tun sollte. Erleichtert atmete Jarihm aus. Sucaría war rechtzeitig zu sich gekommen und hatte anscheinend den Dolch mit ihrem Schwert abgefangen. Wie sie es so schnell bei sich haben konnte, war ihm ein Rätsel, aber im Moment war er einfach nur froh darüber. Mit einer sensenartigen Bewegung ließ sie die Klinge, welche immer noch in ihrer Scheide steckte, in Richtung der Beine des Schattens fahren. Dieser wich augenblicklich zurück, was der Schildmaid den nötigen Platz gab um rasant ihre Knie vor ihrer Brust anzuwinkeln, die Beine danach blitzartig in die Höhe schießen zu lassen und sich mit ihrem Nacken vom Boden abzustoßen. Mit einem kraftvollen Sprung war sie auf den Beinen, riss mit der linken Hand die Scheide von ihrem Schwert und ging dann zum Angriff über. Das Ganze dauerte etwa einen Lidschlag lang, und der Schatten schien so beeindruckt zu sein, dass er kurzzeitig vergaß, ihr nachzusetzen. Trotz der Tatsache, dass die Schildmaid eben noch geschlafen hatte, war sie hellwach. Das Schwert schnitt durch die Luft, als sie den von rechts oben angesetzten Schulterschlag auf den, wie Jarihm nun erkennen konnte, schwarz gekleideten Mann herab donnern ließ. Den Dolch, den er immer noch in seiner rechten Hand hielt, konnte er nicht zur Verteidigung einsetzen, dafür war die Entfernung zu groß. Aus dem linken Ärmel des Mannes schoss jedoch ein zweiter, den er geschickt mit seiner freien Hand auffing. Mit eben diesem lenkte er die Richtung von Sucarías Hieb so weit um, dass das Schwert lediglich an ihm vorbei sauste. Mit seinen beiden Dolchen war der Mann im Zweikampf eigentlich eindeutig unterlegen, da Sucaría mit dem rubinbesetzten Gladus eine größere Reichweite besaß als er. Doch dieser Nachteil konnte sich auf nahe Entfernung sehr leicht zu einem Vorteil wandeln, wie Jarihm wusste. Die Theorie des Schwertkampfes war nie sein Problem gewesen. Der schwarz Gekleidete machte einen schnellen Satz nach vorne, was die Schildmaid in die Reichweite seiner Dolche brachte. Er versuchte mit beiden gleichzeitig, aber in zwei verschiedenen Höhen, zuzustechen, was das Abwehren für Sucaría wohl unmöglich gemacht hätte. Doch die Tochter des Zujcan-Clans war um einen Schritt schneller als der Angreifer. Genau diesen Satz nach vorne hatte sie nämlich erwartet, und noch während er versuchte zuzustechen, schoss ihre linke Faust nach vorne und ihm mitten ins Gesicht. Der Mann schrie auf und taumelte ein paar Schritte nach hinten. Blut troff ihm aus der Nase, welche in eine unnatürliche Richtung gebogen war. Sucaría ließ sich diese Chance nicht entgehen und setzte einen Stich in die Brust des Angreifers. Sehr zu Jarihms Überraschung quietschte es metallisch und das Schwert glitt wirkungslos am Oberkörper des Mannes ab. Sucaría geriet durch den ungewöhnlichen Widerstand etwas aus dem Gleichgewicht und der Angreifer, der sich von dem Schlag wieder gefangen hatte, machte einen schnellen Ausfallschritt nach vorne. Er stach mit seinem rechten Dolch zu und er hörte wie Sucaría vor Schmerz Luft einzog.
»Nein!« Jarihm schrie, während er begann, die wenigen Meter, die ihn noch von dem Kampfplatz trennten, laufend zu überwinden. Er musste ihr einfach helfen, auch wenn er fast keine Ahnung vom Kämpfen hatte. Sein Schrei hatte den Attentäter auf ihn aufmerksam gemacht, und noch während die Schildmaid zusammen brach, wandte er sich Jarihm zu.
»Du bist zu spät, deine Freundin ist des Todes.«
Jarihm griff sich hastig das Schwert, welches er an seinem Schlafplatz abgelegt hatte. Er ignorierte die Tatsache, dass er zitterte wie damals, als er nach einem heftigen Rausch in einer Seitengasse Tchiyos, im Schnee liegend, wieder aufgewacht war. Der Angreifer, dem dies offensichtlich nicht entgangen war, fuhr in seinem seltsam anmutenden Akzent seelenruhig fort.
»Du willst gegen mich kämpfen? Du zitterst wie Espenlaub und kannst nicht einmal das Schwert richtig halten. Und wofür das Ganze? Ich habe die Kleine mitten ins Herz getroffen. Und ganz abgesehen davon sind meine Dolche mit dem Gift des Jinxster-Busches versetzt. Bereits eine kleine Dosis führt zur beinahe augenblicklichen Lähmung und zum sicheren Tod innerhalb von nur 24 Stunden.«
Jarihm empfand nichts als blinde Wut für den Mann. Er warf die Scheide achtlos zu Boden und versuchte dann zu attackieren. Als der schwarz Gekleidete ihn auf sich zukommen sah, lachte er leise auf.
»Du willst es also tatsächlich versuchen? Hast du überhaupt eine Ahnung, was du da tust?«
»Dich von oben bis unten aufschlitzen.«, stieß Jarihm wutentbrannt hervor. Der Unbekannte schnalzte wiederholt leise mit der Zunge.
»Du hättest einen schnellen Tod haben können, doch jetzt wirst du leiden. Du wirst die Krallen der Eulen von Min’as am eigenen Leib spüren.«
Jarihms Angriff, ein wütend geführter Streich genau auf den Kopf des Gegners, ging ins Leere, da der Mann einfach einen Schritt zurückwich.
»Du kennst ja nicht mal die Grundlagen des Kämpfens…«
Die Stimme des Angreifers hatte sogar etwas Bemitleidendes an sich, was Jarihm nur noch mehr verärgerte. Er wollte gerade wieder angreifen, doch die beiden Dolche kamen unmittelbar auf ihn zu!
»Dein Pech, dass wir auch gegenüber Kleinkindern keine Gnade kennen.«
Jarihm riss seinen Körper nach rechts, doch ein Dolch würde immer noch sein Ziel finden. Doch schnell, wie er es sich selbst gar nicht zugetraut hätte, ließ er sein Schwert sprechen. Von rechts schlug er mit voller Wucht auf die Klinge des Dolches, das Mordinstrument segelte in weitem Bogen davon.
»Da hab ich dich wohl unterschätzt. Wird nicht nochmals passieren.«
Jarihm versuchte erneut anzugreifen, aber wieder gelang es ihm nicht. Der schwarz gekleidete Mann war einfach zu schnell. Wieder tauchte er plötzlich vor Jarihm auf und stach zu. Erneut schaffte Jarihm es irgendwie sich zu verteidigen, dieses Mal, indem er die flache Seite seine Klinge zwischen sich und die des Angreifers brachte. Klirrend trafen die Waffen aufeinander, der Dolch rutschte ab und der Angreifer schnitt sich dank der rasiermesserscharfen Klinge Jarihms am rechten Unterarm. Schnell machte dieser einen Satz nach hinten und schaute verblüfft auf den unverletzten Jarihm, sich wohl fragend, wie dieser es erneut geschafft hatte, sich seiner Haut zu erwehren. Was eine gute Frage war, denn er wusste es selbst nicht. Genau in diesem Moment tauchte von hinten eine Klinge oberhalb des Mannes auf, schoss auf dessen Kopf herab und spaltete diesen wie eine Axt ein Stück Holz. Das Ganze ging so schnell, dass der Angreifer nicht einmal mehr Zeit für einen Todesschrei fand. Der leblose Körper fiel vorne über, die Klinge steckte immer noch in seinem Halsansatz und hinter ihm kam eine schwer atmende, sich eine Hand auf ihre blutende Stelle pressende Sucaría in Jarihms Blickfeld. Ihm fiel ein Stein vom Herzen.
»Du lebst!« brachte er lediglich hervor.
»Sieht so aus, ja.«
Sie lächelte schwach, trat einen Schritt nach vorne und wollte die Klinge aus dem aufgeschlitzten Körper reißen. Als ihr dies nicht so ohne weiteres gelingen wollte, stellte sie den einen Fuß auf die Schultern des Kadavers und stemmte diese heraus. Mit einem satten Geräusch löste sich die Waffe und die Schildmaid ließ sich neben der Leiche auf den Boden fallen. Jarihm öffnete den Mund.
»Wie? Was?...«
Der Schock machte ihm mehr zu schaffen als er gedacht hatte. Jetzt stammelte er schon wie der örtliche Trunkenbold. Sucaría lächelte trotzdem zaghaft.
»Als er auf mich einstach, konnte ich gerade noch etwas in die Knie gehen. Dadurch traf mich der Stich etwas oberhalb meines Herzens und war deshalb nicht tödlich. Allerdings war der Schmerz aber so betäubend, dass ich es nicht augenblicklich wieder auf die Beine geschafft habe. Tut mir leid, dass ich dich kurz mit ihm allein lassen musste.«
Jarihm konnte nur an das denken, was der Mann über das Gift gesagt hatte. Hektik erfasste Besitz von ihm.
»Schnell, wir haben keine Zeit. Ich muss dir das Gift aus der Wunde saugen bevor es dich umbringt!«
Jarihm stürzte zu ihr, und riss mit einer resoluten Bewegung die Fetzen des sowieso durch den Kampf bereits mehr als lädierten Kleides weg. Gerade als er mit beiden Händen an das geschnürte Obergewand griff, um es ebenfalls ganz zu entfernen, stieß ihn Sucaría mit einem Fußtritt zur Seite. »So behandelt man keine Dame. In meiner Tasche ist Verbandszeug, bring mir das.«
Er war verwirrt. Es ging hier um jede Sekunde, jede einzelne davon konnte die sein, in der das Gift so weit in ihren Körper eindrang, dass er es nicht mehr entfernen würde können. »Sucaría, das Gift…«, begann er.
»Ist keine Gefahr für mich«, unterbrach die Schildmaid ihn ungeduldig, während sie ihn ernst anblickte.
»Wir Elitisten und Schildmaiden sind die Elitetruppe des Königs. Im Rahmen unserer Ausbildung werden wir gegen die bekanntesten und am häufigsten eingesetzten Gifte immunisiert. Seit meinem Jahrgang übrigens auch gegen das Gift des Jinxster-Busches. Und ich dachte immer, dass das unnötige Schmerzen waren. Das sehe ich jetzt ein kleinwenig anders.«
Erleichterung machte sich in ihm breit. Es bestand also keine augenblickliche Lebensgefahr mehr für sie. Er atmete tief aus und blickte sie an. Erst jetzt wurde ihm klar, in welchen Zustand er sie versetzt hatte. Das Kleid war an den beiden Trägern, die es bei ihren Schultern gehalten hatten, gerissen und es hing so weit herab, dass es erst ab der Hüfte wieder begann, sie zu bedecken. Das geschnürte Oberkleid hatte er in seinem Versuch, es ihr vom Körper zu reißen, zusammen geschoben, so dass ihr gesamter Bauch zu sehen war. Auf Höhe ihrer Brust war auf ihrer verletzten Seite die Verschnürung offen, vielleicht war sie durch den Dolchstich ebenfalls getroffen worden oder es war ebenfalls Auswirkung seiner Bemühungen. Auf jeden Fall verdeckte es eindeutig nicht mehr das, was es verdecken sollte. Jarihm wurde kirschrot, als ihm ihr Anblick bewusst wurde. War er bei der Rast zu Mittag noch der Meinung gewesen, fast alle verschiedenen Gründe für das Erröten durch zu haben, wusste er jetzt, dass ihm dieser noch gefehlt hatte: Wollust. »Meinst du nicht, dass du mich jetzt genug angegafft hast und mir schön langsam das Verbandszeug bringen solltest, um das ich dich gebeten habe? Ich kann nämlich immer noch verbluten, solltest du wissen.«
Jarihm wusste nicht, ob sie beschämt, verärgert oder tatsächlich in Gefahr war, aber er vermutete von allem ein bisschen. Und er hatte nicht vor, es genauer herauszufinden. Er beeilte sich zu Sucarías Tasche zu gelangen, fand schnell das Benötigte und brachte es der Tochter des Zujcan-Clans. Er setzte sich neben sie, doch sie deutete ihm sich umzudrehen, während sie sich verband. Jarihm tat wie ihm geheißen, und hörte nur Augenblicke später hinter sich, wie sie den kläglichen Rest ihres Oberteils entfernte, um die Wunde gut erreichen zu können. Während sie das tat, eröffnete er wieder das Gespräch.
»Ich kann kaum glauben, dass Zilrag uns bis hier her verfolgt hat. Und dass er solch skrupellose Mörder befehligt eigentlich auch nicht.«
»Das war keiner von Zilrags Leuten.«
»Ach nein?« Jarihm drehte sich erstaunt um, und dann sofort wieder zurück. Allerdings mit einem Grinsen im Gesicht.
»Wie kommst du darauf? Und wer sollte es sonst sein? Ich habe keine Feinde, die so weit gehen würden, du etwa?«
»Äh, nein, natürlich nicht. Du hast Recht. Es war wohl einer von Zilrags Leuten.«
Jarihm war verwirrt ob ihrer konfusen Aussagen. Was, wie er fand, aber auch verständlich war. Er hatte gerade eben zum zweiten Mal in nur etwas mehr als einem Tag um sein Leben gekämpft. Und um das Leben einer anderen. Auch wenn es nicht er gewesen war, der sie beschützt, sondern wiederum sie es war die ihn gerettet hatte. Er seufzte. So nutzlos zu sein war schon traurig. Aber immerhin waren sie beide mit dem Leben davon gekommen, und das war genau das, was er sich vor einigen Minuten noch inbrünstig gewünscht hatte.
»So, fertig, du darfst dich wieder umdrehen.«
Jarihm folgte der Erlaubnis sofort. Die Schildmaid hatte die Wunde professionell verbunden. Einige Tücher hatte sie direkt auf die Wunde gepresst und dann mit Bandagen, die den Weg um ihre Schulter nahmen, hinab zur Wunde knapp über dem Herzen und auf der Rückseite wieder empor, befestigt. Darüber hatte sie wieder das geschnürte Oberteil angelegt, das sie notdürftig ebenfalls mit Bandagen festgezurrt hatte. Jarihm hätte ihr ja ein Kompliment dazu gemacht, wie toll sie selbst mit der Verwundung noch aussah, aber die vielen dunkelroten Tücher, mit denen sie wohl die Blutung gestillt hatte, nahmen ihm die Lust zum Scherzen. Stattdessen stand er auf und ging zu der Leiche.
»Was glaubst du, wer er war?«
»Keine Ahnung, aber mich würde interessieren, warum ihn mein Stich nicht getötet hat.«
Sucaría trat an die Leiche und schnitt mit ihrem Schwert den Vorderteil seiner schwarzen Gewänder auf. Jarihm sog tief Luft ein.
»Kein Wunder, dass ich ihn nicht verletzt habe«, meinte Jarihms Gefährtin trocken. An der Stelle wo andere Menschen einen Brustkorb haben, hatte der Angreifer eine einzige, große Metallplatte. Ein tiefer Kratzer, der von der Mitte der Brust nach links abrutschte, zeugte von Sucarías Treffer.
»Wie kann jemand eine solche Metallplatte im Körper eingebaut haben und das überleben?«, fragte die Tochter des Zujcan-Clans fassungslos.
»Was aber nicht das einzige Rätsel an unserem Angreifer ist«, fügte Jarihm hinzu, während er den linken Oberarm des Toten freilegte. Eine Tätowierung vier gleichschenkeliger Dreiecke, die jeweils im 90 Grad Winkel zueinander standen, kam zum Vorschein.
»Warum wollte uns ein Mann töten, der Mik-Tar ewige Treue geschworen hat?«