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Falsche Hoffnung?

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Degaar seufzte tief und nahm dabei einen großen Schluck von dem Honigschnaps. Fünf Tage war es nun her, dass Naileen schon wie tot in ihrem Bett lag. Die Ärzte, die sich mittlerweile zu Dutzenden im Schloss tummelten, nannten das einen Tiefschlaf. Erneut nahm er einen Mund voll seines Getränkes. Es brannte seine Kehle hinunter, doch im Vergleich zu dem Schmerz, den er innerlich fühlte, war dies nicht der Rede wert. Das Ganze war absurd. Er war der König! Er befahl die berühmtesten und besten Ärzte des Landes herbei, und alles, was die ihm sagten, war Geduld zu haben. Ganz klar hörte er noch Hergals Worte, einer der Heiler, denen ihr Ruf schon so weit vorauseilte, dass man ihn auch mit dem schnellsten Pferd wohl nicht mehr einholen würde können. »Ihr Körper muss einen harten Kampf gegen diese Krankheit führen und hat sich daher in einen Zustand versetzt, in dem er sich ganz und gar auf seine Genesung konzentrieren kann. Nur die Zeit wird zeigen, wer gewinnen wird, eure Frau oder…«

Den Rest hatte Hergal unausgesprochen gelassen, doch Degaar hatte sehr wohl gewusst, was er gemeint hatte. Wut stieg in ihm auf, und mit einem lauten Krachen schmiss er die Flasche zu Boden. Der flüssige Inhalt ergoss sich über den Boden und rann dabei in die kleinen Spalten zwischen den einzelnen Bodenplatten. Sofort eilten Diener herbei, um das Chaos zu beseitigen. Mit stoischer Ruhe entfernten sie das zerbrochene Glas und putzten danach den Boden, und das nicht zum ersten Mal am heutigen Tage. Doch das war dem König egal. Er war wütend! Wütend auf diese ganzen Wichtigtuer, die nichts taten außer Blutegel an seine Frau anzusetzen, ihr kalte Wickel auf den Kopf zu legen und ihr irgendwelche Stärkungstinkturen einzuflößen. Wenn er so eine Behandlung gewollt hätte, hätte er auch weiterhin den Hofarzt sein Werk verrichten lassen können und müsste diesen Aasfressern nicht haufenweise Goldstücke in den Rachen werfen. Er war wütend auf die verdammte Krankheit, die seine Geliebte in einer erbitterten Schlacht im Land der Träume festhielt. Und Naileen kämpfte wacker, das konnte er an ihren unruhig flackernden Augen, an den Fieberkrämpfen und an ihren Schweißausbrüchen sehen. Und er war auch wütend auf sich selbst. Hätte er in dieser schicksalhaften Nacht nicht zu viel getrunken, hätte er wohl noch bemerkt, dass mit seiner Gattin etwas nicht stimmte. Er hatte Hergal vor ein paar Tagen zur Seite genommen, und ihn gefragt, ob man vielleicht etwas für seine Frau hätte tun können, wenn man sie früher behandeln hätte können. Der Heiler hatte kurz überlegt und dann gemeint, dass man das generell nicht wissen könne. Aber ihre Chancen wären wahrscheinlich besser gewesen, da seine Kräftigungstinkturen am besten wirkten, wenn sie unverzüglich nach Ausbruch der Krankheit eingenommen wurden. Daraufhin hatte sich Degaar zurückgezogen und begonnen, sich dem Alkohol zuzuwenden. Er trank normalerweise nicht viel, aber in diesen schweren Stunden war ihm der Rausch lieber als nüchtern zu sein. Da erinnerte er sich nicht mehr so genau daran, dass es sein Fehler wäre, falls seine Frau tatsächlich nie wieder erwachen würde. Er schluckte bitter. Sollte wirklich das Undenkbare eintreten… er wusste nicht, ob er dann noch weiterleben wollen würde. Naileen war sein Stern in der dunklen Nacht, der einzige, der ihm nach dem Tod seines Vaters noch verblieben war. Die neue Flasche Wein, die für ihn geöffnet worden war, sang bereits ihren Sirenengesang, doch etwas Gesellschaft könnte er trotzdem vertragen. Aber diese verdammten Ärzte konnte er schon nicht mehr sehen, und Gespräche mit seinen sich immer wieder abwechselnden Leibwachen wollte er keine führen. Seine Fürsten hatte er am zweiten Tag von Naileens Erkrankung nach Hause geschickt. Sie hatten zwar protestiert, doch er hatte gerade keinen Sinn für die Politik, mit der sie ihn immer wieder belästigt hatten. Und so waren sie allesamt, zusammen mit ihren Frauen, welche bis dahin noch an Naileens Seite gewacht hatten, wieder in ihre eigenen Städte zurück gereist. Seitdem wachte Naileens Dienerin Ruika unermüdlich an der Seite der Königin. Nein, er brauchte jemanden, mit dem er sich über Belangloses unterhalten konnte, der aber nicht so langweilig war, dass seine Gedanken erneut zurück zu seiner Frau schweifen würden. Noch während er dies dachte, geschah genau das. Seine Naileen, unschuldig, zärtlich, witzig – und jetzt dem Tode näher als dem Leben. Es formte sich ein großer, unangenehmer Kloß in seinem Hals. Er schluckte schnell und schickte einen Boten mit der Botschaft zu General Toycan, dass er sich bei ihm einfinden solle. Milo Toycan war der Befehlshaber über die gesamte Armee des Reiches und er beschäftigte sich auch mit allen administrativen Tätigkeiten, die zur Führung einer solch schlagkräftigen Truppe von Nöten waren. Der General unterstand nur noch dem König, man konnte also sagen, dass er wahrhaftig einer der mächtigsten Männer des Königreichs war, auch wenn er kaum öffentlich in Erscheinung trat. Die Befehle, welche er erteilen wollte, ließ er einmal wöchentlich zu Degaar bringen, welcher sie dann für ihn unterschrieb und somit erteilte. Dies war der einzige Weg, dies zu bewerkstelligen, da die Truppen auf Degaar persönlich als Oberbefehlshaber eingeschworen waren. Nominell galten als zweithöchste Befehlsgeber nämlich die Fürsten, aus deren Gebieten die jeweiligen Soldaten stammten. Dieses System bestand erst seit Degaars Vaters, da in dieser Zeit eine einheitliche Organisation der Truppen der verbündeten Stadtstaaten unerlässlich geworden war, um das Staatsgebiet effektiv zu verteidigen. Dieser hatte seine Fürsten nach zähem Ringen dazu gebracht, zuzustimmen, ihn persönlich als Führer der vereinten Streitmächte vor ihren Truppen anzugeloben. Ein Schwur, der seit Degaars Amtsantritt nach dem Tod seines Vaters auf ihn erneuert worden war. Die Truppen verblieben solange in den Gebieten ihrer Fürsten, bis sie für einen einheitlichen Einsatz benötigt wurden, erst dann rief der König sie zusammen. Generell fand er aber wenig Interesse am Militär, daher war er froh, in Milo Toycan einen solch fähigen Mann und Kammeraden gefunden zu haben. Außerdem war er ihm ein treuer Freund geworden. Ja, er würde den König sicherlich auf andere Gedanken bringen können. Nach einer Weile konnte er bereits die Schritte der militärischen Marschstiefel am Gang hören. Es klopfte und Milo Toycan trat ein, an seiner Seite sein Adjutant Hauptmann Paloma. Der General war ein Mann von beeindruckendem Wuchs und dank seiner prachtvollen, weißen Uniform mit den unzähligen Orden und Abzeichen, die ihn als Veteranen und besonders tapferen Kämpfer auszeichneten, und dem feuerroten Umhang, der lediglich dem General der Armee zustand, wirkte er sogar noch imposanter. Einmal mehr vermisste Degaar das Familienwappen auf dessen Brust, das sonst alle Offiziere mit Stolz trugen, doch nachdem er wusste, dass Milo es hasste, war dies durchaus verständlich. Er hatte einen ordentlich getrimmten Bart, kurzes, pechschwarzes Haupthaar, und einen strengen Blick, der aber dennoch eine gewisse Güte ausstrahlte. Einzig und allein die vollkommen vernarbte linke Gesichtshälfte, ein Andenken aus alten Schlachten, verhinderte, dass Toycan bei der Damenwelt allzu gut ankam. Degaar wusste, dass Toycan von seinen Soldaten ob seiner Strenge zwar gefürchtet wurde, er aber einen ausgezeichneten Ruf bei ihnen hatte, da er sich nicht für etwas Besseres hielt. Er verlangte viel von seinen Untergebenen, aber nie mehr als er selbst bereit war zu geben. Wenn ein Marsch anstand, marschierte er mit, anstatt hoch zu Rosse zu sitzen. Wenn im Feld übernachtet werden musste, schlief er ebenso unter freiem Himmel wie der Rest der Truppe, anstatt in dem prächtigen Zelt, das ihm zustehen würde. Er war ein Vollblutsoldat, und genau das liebten die Männer und Frauen an ihm. Aber auch Hauptmann Paloma, der als die große Nachwuchshoffnung der Armeeführung galt, genoss einen formidablen Ruf. Er wirkte alles andere als zierlich, war er doch, für sich alleine betrachtet, ein stattlicher Mann. Doch wenn er so neben dem General stand, wirkte er dennoch klein und unscheinbar, so sehr verblasste er im mächtigen Schatten Milos. Er hatte braunes, mittellanges Haar, dass ihm bis zum Kinn reichte, ein glatt geschorenes Gesicht und wenn er weiterhin so Karriere machte, dann würde er wohl, sobald Toycan in den Ruhestand ging, dessen Rang übernehmen. Geschmückt war seine Uniform einerseits durch das kleine Taubenwappen, dem Emblem der Palomas, und andererseits mit dem Orden für außergewöhnliche Tapferkeit vor dem Feind, den er mit stolz geschwellter Brust vor sich hertrug.

»Mein König, ihr habt uns rufen lassen«, begann Toycan, doch Degaar winkte ab.

»Nicht so förmlich Milo, heute seid ihr nur zum Trinken hier. Erzähl mir: Was gibt es neues in der Armee?«

Während Paloma, nicht unbeobachtet von Degaar, noch einen schüchternen, fragenden Blick zu Toycan warf, hatte dieser sich bereits aufgemacht, sich an den Tisch des Königs zu setzen. Der Hauptmann beeilte sich ihm zu folgen. Mittlerweise goss der Herrscher Sekoyas bereits großzügig Schnaps in zwei Gläser und reichte sie den beiden Offizieren.

Wortlos stürzte Degaar den Rest seines verbliebenen Glases Weines hinunter, nur um es dann mit demselben Schnaps zu füllen, mit dem er gerade noch die anderen beiden bedient hatte.

»Auf die Königin!«, gab Milo von sich, während Paloma es ihm gleich darauf eilig nachsagte. Sie leerten ihre Gläser, nur um diese gleich darauf erneut angefüllt zu bekommen.

»Nun mein König, der Statusbericht unserer Truppen ist noch ungefähr derselbe, wie jener von vor zwei Wochen, den ich euch zukommen ließ. Unsere Grenzen werden gut bewacht, doch gelegentlich kommt es zu vereinzelten Angriffen. Bisher konnten wir sie aber immer wieder zurückschlagen. Gerade zur Zeit ist es besonders still, was ich zum Anlass genommen habe, gut einem Drittel unserer Truppen Urlaub zu geben, das zweite Drittel kommt dann nach ihnen an die Reihe…«

Degaar versuchte aufmerksam zuzuhören, doch seit Naileens gesundheitlichem Niedergang interessierten ihn Staatsgeschäfte rein gar nicht. Da war er wieder, der verdammte Kloß in seinem Hals, den es mit Alkohol wegzuschwemmen galt. Degaar trank zügig, sowohl der General als auch der Hauptmann folgten ihm in Sachen Trinkgeschwindigkeit.

»… denke ich, dass es klug wäre demnächst ein Turnier auszufechten, um die Moral der Truppen…«

»Genug mit diesem öden Lagebericht Milo!«, unterbrach der König den Befehlshaber der Armee ziemlich barsch. Mit dieser Art von Gespräch würde er nie genügend Zerstreuung finden. »Erzählt mir was anderes. Was ist mit der Familie?«

Der General blickte ihn verärgert an. Augenblicklich schämte sich Degaar für seine Worte. Er hatte in seinem Kummer vergessen, daran zu denken, dass auch anderen Personen bereits Schlimmes widerfahren war. Und gerade bei seinem Freund Milo, den er höchstpersönlich vor Jahren getröstet hatte, hätte ihm dieser Fauxpas nicht passieren dürfen. Er wollte sich eigentlich sofort entschuldigen, doch der General ergriff wieder das Wort.

»Der gute Paloma hier hat eine wunderbare Familie die an der Grenze zu Mik-Tar lebt, nicht war Sario?«

Hauptmann Sario Paloma bot nach dieser Aussage einen Anblick, als ob er den General sofort zum Duell herausfordern wollte. Degaar vermutete, dass er es wohl als unangenehm empfand, vor ihm sprechen zu müssen. Dieses Phänomen hatte er schon öfters bei neuen Gesichtern am Hofe erlebt, und Paloma bildete da wohl keine Ausnahme. Obwohl der Hauptmann seit Jahren General Toycans Adjutant war, hatte dieser mit dem König bisher erst einmal gesprochen. Auch da hatte der junge Adjutant gewirkt, als ob ihm nicht recht wohl in seiner eigenen Haut gewesen wäre, was wohl für diese Theorie sprach. Der Hauptmann räusperte sich kurz, ehe er zu sprechen begann.

»Ja, mein König, es ist so wie der ehrenwerte General sagt. Ich habe eine wunderbare Frau, sie heißt übrigens Sabrina, und eine kleine Tochter im Alter von fünf Jahren, die den Namen Zora trägt. Sie wohnen in einem kleinen Haus südlich der letzten Ausläufer des Waldes von Pyurdi, und wann immer ich die Möglichkeit habe, versuche ich nach Hause zu kommen. Ich liebe die beiden von ganzem Herzen und würde wohl alles tun für sie…«

»Und genau so soll es auch sein!«, sagte Toycan und schlug seinem erstaunt dreinblickenden Adjutanten dabei auf die Schulter. Degaar schluckte. Palomas Worte hatten ihn wieder an seine Frau erinnert. Und dieses Mal halfen weder der Schnaps noch der Wein weiter. Er versuchte sie zurück zu halten, doch eine Träne bahnte sich unaufhaltsam einen Weg und rann an seiner Wange herab. Milo räusperte sich, ihm war sichtlich nicht ganz wohl in dieser Situation.

»Kopf hoch mein König. Eure Frau wird sich schon wieder erholen, ihr werdet sehen. Immerhin habt ihr hier die besten Ärzte des ganzen Landes versammelt, die sich ausschließlich um sie kümmern.«, versuchte er sein Bestes, um den Herrscher wieder aufzumuntern. Degaar war zu niedergeschlagen, um zu versuchen, seine Gefühle zu verstecken. Es war ihm egal, dass er der König war, im Moment war er einfach nur ein zu Tode besorgter Ehemann.

»Die Ärzte tun so gut wie nichts! Sie sagen alle nur, dass Naileen sich von selbst wieder erholen muss… Und schon habe ich keinerlei Möglichkeiten mehr, meiner Geliebten zur Seite zu stehen. Was nutzt es, König eines gesamten Landes zu sein, wenn man nicht einmal seine große Liebe retten kann?«

»Entgegen der landläufigen Annahme seid ihr leider auch nicht allmächtig, mein König«, sprach Toycan leise. Einige Minuten lang herrschte Stille im Raum, in denen die drei Männer wortlos an ihren Getränken nippten, und in denen Degaar in Gedanken seiner Frau beistand, solange bis der General wieder das Wort ergriff.

»Es wäre so viel einfacher, wenn man den Volksammen glauben würde können. Ein kleiner Blick in die Zukunft und das Problem wäre gelöst.«

Degaar blickte erstaunt auf. In die Zukunft zu blicken, daran hatte er noch gar nicht gedacht. Warum auch? Es war ja nur eine dumme Gedankenspielerei, allerdings faszinierte ihn daran auch irgendetwas. Auf was Toycan da wohl anspielte? Er hob seinen Kopf, der bis eben noch betrübt hinab gehangen war, wischte seine Tränen mit einer schnellen Handbewegung hinfort und blickte den General fragend an. Dieser blickte zurück, offensichtlich nicht wissend, was sein König jetzt von ihm erwartete. Degaar stellte schnell die Frage, die ihm auf der Zunge lag.

»Von welchen Volksammen sprecht ihr?«

»Ach, mein König, nehmen sie das bitte nicht ernst, das ist doch lediglich abergläubisches Gewäsch der einfachen Bevölkerung. Es ist natürlich vollkommen unmöglich in die Zukunft zu blicken, das wäre ja absurd!«

Der König Sekoyas drehte das Glas in seiner Hand nervös hin und her. »Natürlich, Milo, natürlich. Aber als König interessieren mich solche Mythen, die sich rund um mein Königreich ranken. Also wer kann die Zukunft voraussagen?«

»Ich bitte sie mein König, lassen sie es ruhen. Ich hätte niemals davon anfangen sollen. Aus solch einem Hokuspokus kann nichts Gutes erwachsen.«

Langsam kroch Wut in ihm hoch. Was erlaubte sich Toycan hier? Er war der König, und wenn der König eine Frage stellte, dann antwortete man gefälligst auch darauf.

»Muss ich dir erst befehlen, mir zu sagen, was du weißt?«,

Der General wirkte jetzt alarmiert und war sichtlich bemüht, nun doch zügig zu antwortet.

»Aber natürlich nicht mein König. Nur leider weiß ich auch nicht viel. Aber man sagt, dass nördlich der Königsstadt, etwa zwei Tagesritte entfernt, ein gigantischer Baum steht, in dessen Schatten sich Unheimliches abspielen soll. Ich selbst kann dies zwar nicht bestätigen, da ich niemals dort war, aber angeblich erfährt man dort seine Zukunft.«

Milo rollte auffällig mit seinen Augen. Er glaubte wohl wirklich nicht ein Wort davon.

»Das Ganze ist natürlich reiner Aberglaube, aber die Zivilisten denken sich nun mal gerne solche wahnwitzigen Geschichten aus.«

Zu Degaars eigener Überraschung, konnte er kaum glauben, dass er tatsächlich mit dem Gedanken spielte, sich dorthin auf den Weg zu machen. Aber wenn er an seine sterbende Frau dachte, war ihm eigentlich jedes Mittel recht, um sie davor zu bewahren. Außerdem war ein kleiner Ausritt wohl auch besser als tatenlos hier herumzusitzen und nichts tun zu können.

»Danke meine Herren, ihr dürft euch nun zurück ziehen«, hörte er sich sagen, und noch bevor die beiden, die üblichen formellen Abschiedsformeln verlautbarend, den Raum wieder verlassen hatten, erhob er sich ebenfalls. Der Alkohol ließ ihn etwas hin und her taumeln, doch das würde ihn auch nicht abhalten. Er gab einem Diener Anweisungen, das schnellste Pferd im Stall zu satteln und zum Ausritt fertig zu machen, einem anderen, Proviant für vier Tage bereitzustellen, und er selbst machte sich auf in seine Gemächer. Dort angekommen kam er nicht umhin, an Naileens Lager zu treten. Ihr Gesicht wirkte eingefallen und angespannt, sie litt Schmerzen. Er dachte daran zurück, als er seine Frau das erste Mal gesehen hatte. Er war gerade erst König geworden, und seine Fürsten hatten sich überall nach einer passenden Frau von Stand für ihn umgesehen. Doch die waren für den Herrscher alle nicht in Frage gekommen. Sie waren entweder zu oberflächlich, zu langweilig, zu hässlich oder schlichtweg geistig zu begrenzt gewesen. Aber als er eines Tages dem Landgut eines seiner Freunde seine Aufwartung machte, da sah er sie. Das hübscheste Mädchen, das ihm je unter die Augen gekommen war. Sie war im Obstgarten des Anwesens gestanden und hatte sich gerade nach einem reifen, tiefroten, hoch hängendem Apfel gestreckt. Dabei war ihr das Oberteil ihres Gewandes gerade so weit nach oben gerutscht, dass Degaar einen schnellen Blick auf ihren seidig glatten Bauch mit dem niedlichsten Bauchnabel aller Zeiten erhaschen hatte können, ehe sie die Frucht zu packen bekam. Sie hatte herzhaft hinein gebissen, und der Saft war ihr über die Lippen geronnen. Schnell hatte sie ihn mit ihrer geschickten Zunge wieder eingefangen, während ihr langes, pechschwarzes Haar sanft im Winde geweht hatte. Degaar war sofort zu ihr gegangen, sorgsam darauf achtend, dass er nicht zu laufen begann, und hatte das Gespräch aufgenommen. Sie war alles gewesen, was sich der König vorgestellt hatte. Bildhübsch, intelligent, humorvoll und charakterlich liebreizend. Er wusste bereits in diesem Moment, dass er seine Ehefrau gefunden hatte. Zwar hatte er sich in diesem ersten Gespräch nicht gerade geschickt angestellt, aber erobert hat er ihr Herz schließlich trotzdem. Degaar konnte nicht glauben, dass diese schönen Zeiten zu zweit nun ein Ende finden sollten. Erneut konnte er seine Tränen nicht im Zaum halten, während er ihre Hand in die seine bettete und sie liebevoll drückte. Er würde nicht zulassen, dass sie starb. Dafür war er auch bereit, sich an jeden Strohhalm zu klammern, den das Schicksal ihm zur Verfügung stellte. Und sei er auch noch so winzig. Er wandte sich ab von seiner Frau und stieg eilends in seine Reitkleidung, um sich Richtung Ställe aufzumachen.

Des Orakels Richterspruch

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