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Jagdfieber

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Jarihm wusste genau, was er wollte. Oder besser gesagt wen. Sie saß drei Tische weiter und nippte an dem Brandwein, den sie schon vor über einer Stunde bestellt hatte, und der sich immer noch nicht seinem Ende näherte. Sie wirkte wie ein Fremdkörper in dieser, für ihn so vertrauten Umgebung. Zwischen den immer selben, traurig dreinblickenden Gesellen, die ein Getränk nach dem anderen bestellend, an der Bar saßen und den fröhlich tratschenden Gruppen von Jugendlichen an den Tischen stach sie hervor wie der Nordstern in einer klaren Mondscheinnacht. Doch Jarihm war sie sogar schon in der kleinen Seitengasse etwas abseits des Gasthofs aufgefallen, und das, obwohl sie, wohl behütet vor neugierigen Blicken, sichtlich darauf bedacht gewesen war, dass ihre Unterhaltung, mit den zwei sich im Schatten haltenden Gestalten, unbeobachtet blieb. Doch wenn eine neue Schönheit sein Jagdrevier betrat, dann entging dies Jarihm nicht, ganz egal wie sehr sie sich auch bedeckt halten mochte. Mit wem sie dabei welche Geschäfte machte, interessierte ihn außerdem nicht im Geringsten. Entscheidend war nur, dass er sie haben wollte. Und er würde sie haben! Dessen war er sich sicher. Er wusste nur noch nicht genau, wie er es anstellen sollte… Bereits drei andere Männer hatten ihr Glück versucht und hatten sich der schönen Blonden genähert. Doch jedes Mal das gleiche Schauspiel: Sie gingen zu ihrem Tisch, die Frau blickte sie an, musterte sie mit ihren tiefblauen, funkelnden Augen und erwiderte auf die Avancen nur mit einem abweisenden Lächeln. Zwei der drei Männer waren enttäuscht wieder von Dannen gezogen. Bei einem der beiden meinte Jarihm sogar eine Träne gesehen zu haben. Der Dritte, ein Berg von einem Mann, hatte sich aber, allein durch ihre Worte, noch nicht geschlagen gegeben und hatte versucht, sich an ihrem Tisch niederzulassen. Als sie ihm das offensichtlich nicht gestatten wollte, hatte er versucht, seine Hand auf ihren linken, wohlgeformten Schenkel zu legen, während er ihr etwas ins Ohr geflüstert hatte. Was genau, das hatte Jarihm nicht verstehen können, allerdings war es ein großer Fehler gewesen. Denn, wie sich gezeigt hatte, konnte die Schöne in ihrem blauen Kleid hart austeilen. Sie hatte seine Hand gepackt und sie ihm dermaßen verdreht, dass er kurzzeitig einen Laut von sich gab, der wie das Jaulen eines brünftigen Blindarbiestes klang. Daraufhin hatte er mit seiner freien Hand eine Faust geballt, um sie ihr mit donnernder Wucht in den Magen zu rammen, doch in einer einzigen flüssigen Bewegung war sie seinem Angriff ausgewichen, indem sie aufgesprungen und einen kleinen Schritt zur Seite gemacht hatte. Den eben an ihr vorbeisausenden Arm hatte sie gepackt, eng an ihren Körper gepresst und ruckartig in eine unnatürlich aussehende Richtung gerissen. Durch das ganze Lokal hatte man es schnalzen und den anschließenden Schmerzensschrei des Hünen gehört. Jarihm war sich sicher, dass auch die Gäste, die in den oberen Stockwerken des Gastbetriebes nächtigten, davon wach geworden waren. Der Koloss war von einem seiner Gefährten gestützt, zum nächsten Heiler gebracht worden, während sich die anmutige Fremde gemütlich wieder niedergelassen hatte, um, ohne einen einzigen Tropfen Schweiß auf der Stirn, wieder seelenruhig an ihrem Getränk zu nippen. Seit diesem Zwischenfall hatte sich verständlicherweise niemand mehr getraut, sich der Dame zu nähern, und auch die Kellerinnen und der Barmann hatten respektvoll Abstand gehalten. Doch Jarihm war dank dieses Zwischenfalls nur noch mehr an der Frau interessiert. Nicht weil er Brutalität mochte, sondern weil sie anders war als die jungen, naiven Mädchen, an die er sich normalerweise ranmachte, und die nach ein paar einfachen Komplimenten schon bereit waren, das Bett mit ihm zu teilen. Er hatte schon viel zu lange keine Herausforderung mehr gehabt, und heute war diese unnahbare Schönheit seine Aufgabe. Ihr Äußeres hatte er sich inzwischen schon so gut wie nur irgendwie möglich eingeprägt, schließlich konnte er sie ja nicht die ganze Zeit anstarren, vor allem dann nicht, wenn er bedachte, dass sie ihn vorhin bereits dabei ertappt hatte. Gekleidet war sie in ein körperbetontes, um die Taille geschnürtes, sattelbraunen Obergewand, welches er aber nur deshalb erkennen konnte, weil es unter einem schlichten, azurblauen Kleid ein wenig hervorlugte, welches lediglich durch zwei dünne Träger an seinem, ihm vorbestimmten Platz, gehalten wurde. Als Schuhwerk trug sie schmucklose Lederschuhe, die so wirkten, als hätte sie darin schon etliche lange Wanderungen hinter sich gebracht. Doch auch wenn ihre Bekleidung im besten Fall als durchschnittlich beschrieben werden konnte, war ihm klar, warum sie ihn auch optisch so ansprach. Sie hatte ein hinreißendes Gesicht mit einem winzigen Muttermal am Kinn, langes blondes Haar, das sie zu einem Zopf zusammengebunden hatte, wohlgeformte Brüste und ein Hinterteil, bei dem sich Jarihm vorstellen konnte, dass man wesentlich bessere Dinge damit tun konnte, als lediglich darauf zu sitzen. Abgerundet wurde das ganze durch ihre wunderbar langen Beine und Jarihm hatte sich bereits dabei ertappt, wie er diese gedanklich über und über mit Küssen bedeckte. Doch jetzt war nicht die Zeit dazu, vor allem würde es später, wenn er es tatsächlich tun würde, viel mehr Spaß machen. Als erfahrener Schürzenjäger, wobei er sich eingestand, dass er wohl als ein solcher zu bezeichnen war, war er sich bewusst darüber, dass Ungeduld schon so manch eine Beute vertrieben hatte, doch jetzt musste er schnell handeln, denn gerade eben hatte sie in überraschend großen Schlucken ihr Glas geleert, und Jarihm konnte nur vermuten, dass sie demnächst aufbrechen wollte. Er stand auf und stolzierte so anmutig, wie er es nur fertig brachte, zu ihrem Tisch. Sie blickte auf und sah ihn fragend an. Seine Kehle fühlte sich trocken an, was er sich eigentlich nicht erklären konnte, hatte er dieses Phänomen doch nicht mehr verspürt, seit er als unerfahrener Jüngling die ersten paar Male seinen Arrest gebrochen hatte um sich davonzustehlen.

»Immer wenn ich eine hübsche Frau alleine trinken sehe, verspüre ich den unbändigen Drang, ihr dabei Gesellschaft zu leisten. Wenn ich mich vorstellen darf: Mein Name ist Jasid de Los Cuervos, zu ihren Diensten.«

Noch während er dies sprach, verbeugte er sich tief vor ihr. Was auch immer er für eine Reaktion erwartet hatte, schallendes Gelächter gehörte ganz bestimmt nicht dazu. »Jasid? Wie das unsägliche, stinkende und ungenießbare Schwein?«, brachte die Hübsche unter ihrem plötzlichen Lachanfall hervor. Jarihm hob den Blick, eben bekam sie zart rosa Backen vor lauter Lachen und hielt sich immer noch den Bauch. Verdammt! Was hatte er da eben gesagt? Jasid? War er denn inzwischen von allen, ihm noch verbliebenen, guten Geistern verlassen? Brachte er vor dieser Schönheit nicht einmal mehr seinen eigenen Namen ohne Fehler heraus? Sei’s drum. Jetzt war es ohnehin zu spät. Er hatte es tatsächlich geschafft, sich als vierter Mann an diesem Abend vor der Fremden zu blamieren. Er hätte sich die Haare raufen können. Die Gesprächspause war inzwischen unangenehm lang geworden. Er fühlte sich gedrängt, endlich wieder das Wort zu ergreifen.

»Jarihm, ich meine natürlich Jarihm.«, stammelte er. So plump und unelegant hatte er sich seine Gesprächseröffnung wirklich nicht vorgestellt.

»Ich muss wirklich sagen, dass dies mit Abstand der amüsanteste Versuch ist, meine Aufmerksamkeit zu erregen, den ich heute Abend hier gehört habe.«

Sie lächelte nun, wischte sich eine Träne, welche sich in ihrem Augenwinkel gebildet hatte weg und schob den Stuhl, auf den sie bis eben noch ihre Beine hoch gelagert hatte, hervor. »Beim Ylyrianum, diese Aufmunterung hab ich gebraucht nach dem Kerl von vorhin … Setz dich! Ich muss dich ja auch dafür belohnen, dass du aufgehört hast mich nur anzustarren und endlich den Mumm aufbringen konntest, herüber zu kommen. Und noch dazu hast du den Vorteil, gut auszusehen.«

Sie zwinkerte Jarihm zu. Eigentlich mochte er es gar nicht, wenn die Frauen einen solch aktiven Part übernahmen und ihn so direkt ansprachen, aber er hatte sich diese Herausforderung ausgesucht und er würde die Chance, die sich unerwarteterweise ergeben hatte, nicht ungenützt lassen.

»Herzlichen Dank, das Kompliment darf ich sofort zurückgeben. Übrigens habe ich nicht gestarrt, sondern bewundert. Und ich hoffe, es war nicht der falsche Zeitpunkt, um dich anzusprechen!«

Jetzt lächelte sie wieder, aber dieses Mal war es kein verletzendes Lachen, wie das vorherige, sondern ein herzliches, das ihn innerlich wärmte.

»Oh, es war genau die richtige Zeit dafür, besser als du es vermutlich zu hoffen gewagt hast.«

Jarihm lächelte, während er einer Kellnerin deutete, mehr Wein zu bringen, welche der Bestellung auch sofort nachkam. Jarihm war froh, dass er im „Zum Betrunkenen Elf“ ein gern gesehener Gast war, dem sofort jeglicher Wunsch erfüllt wurde. Was eigentlich nicht weiter verwunderlich war, wie er sich selbst eingestehen musste. Immerhin war sein Vater der Verpächter dieses Betriebes, wie von so vielen anderen auch in dieser Stadt. »Darf ich mein Glas auf deine Schönheit heben und dich fragen, ob du mir offenbarst, was der Kerl, der wohl so schnell keine Dame mehr belästigen wird, zu dir gesagt hat?« Ihr Gesicht wurde schlagartig ernst, die Spuren der vorangegangen Fröhlichkeit wie weggefegt.

»Du darfst, und obwohl es mir keine Freude bereitet, werde ich es wiederholen.«

Sie seufzte kurz auf und nahm einen kleinen Schluck ihres Getränks, ehe sie den Faden wieder aufnahm.

»Nachdem er sich mir genähert hatte, mich dabei angaffend, als ob er am Pferdemarkt von Fdajkar die neuste Ware begutachten würde, sagt er, und ich zitiere wörtlich: „Wenn deine Reitkünste ebenso bestechend sind wie dein Aussehen es vermuten lässt, dann könnte ich mir vorstellen, mit dir ins Geschäft zu kommen!“. Dabei grinste er noch auf solch pubertäre Art, schrecklich. In mir stieg dabei das Grauen auf. Mit diesem Mann wollte ich nichts zu tun haben, und darum habe ich ihn aufgefordert zu gehen. Als er sich dagegen entschied und mir noch dazu auf den Schenkel greifen wollte, so denke ich, hat jeder hier im Raum mitbekommen, was passiert ist.«

Obwohl Jarihm klar war, dass dieser Spruch genauso fehlplatziert war, wie ein Gurama-Tiger in einer Farm voller Tranjus, konnte er ihm eine gewisse Komik nicht absprechen. Doch etwas sagte ihm, dass sein Gegenüber ihm nicht alles erzählt hatte. Da die Dame aber allem Anschein nach auch nicht vorhatte, dies noch zu tun, entschied er sich, dass es schlauer wäre, diesen Kommentar für sich zu behalten und ihr Recht zu geben. Ernst drein blickend schüttelte er den Kopf und murmelte: »Schlimm wie es heutzutage mit den Sitten der einfachen Bevölkerung aussieht… Bei mir bist du sicher vor solchen Ferkeleien, schließlich geziemt sich ein solches Fehlverhalten für den Besitzer des Handelsimperiums Los Cuervos nicht.«

Eigentlich war ja sein Vater, Jadsahn de Los Cuervos, der Inhaber eben besagtes Handelsimperiums, aber diese Frau musste ja schließlich nicht alles wissen. Außerdem, so fand Jarihm, war es nur recht und billig, sich einen Titel zu geben, den er eines Tages wahrscheinlich sowieso erben würde. Was konnte schon Schlimmes passieren, wenn er hin und wieder bereits jetzt diesen Namen benutzte, um in der Damenwelt etwas mehr Eindruck zu machen, als es sonst der Fall gewesen wäre? Ganz abgesehen davon, dass er dem Titel viel gerechter wurde als sein kaltherziger Vater.

»Oh ja, bitte beschütze mich hilflose Schildmaid.«, warf sie lächelnd ein.

Jarihm schluckte und überlegte, ob er etwa schon wieder in ein Fettnäpfchen getreten war. Nun war ihm klar, warum der Hüne, mochte er auch noch so kräftig sein, nicht den Hauch einer Chance gehabt hatte in dieser Auseinandersetzung. Sein Gegenüber war eine Offizierin der Armee, welche in jahrelangem Training geschult worden war, und dies, so erzählte man sich, auf skrupellose Art und Weise. Es kursierte das Gerücht, dass nicht einmal die Hälfte diese Ausbildung überstand, und so manch einer kehrte nie zurück. Die Elitisten und Schildmaiden des Königs wurden sowohl an der Waffe als auch waffenlos ausgebildet, um in allen erdenklichen Situationen die größtmögliche Effektivität zu erzielen, was auch erklärte, warum Sucaría dem Hünen ohne eine einzige unnötige Bewegung den Arm gezielt brechen konnte. Der Erfolg dieser Ausbildung konnte sich also sehen lassen, und das auch im großen Stil: Seit das Heer von Sekoya die Elitisten und Schildmaiden als Offiziere hatte, herrschte, von kleineren Grenzscharmützel einmal abgesehen, Frieden mit den umliegenden Ländern. Natürlich gab es immer noch genügend Probleme, vor allem mit den Banditen im südwestlichen Seengebiet und mit den Räubern im Wald von Pyurdi, aber dies war nichts, dem die Armee nicht gewachsen war. Außerdem hatte Jarihm von einem der Karawanenführer, die sein Vater beschäftigte, gehört, dass sich im Herzen des Waldes von Pyurdi, dort wo die Bäume so dicht an dicht standen, dass nicht einmal mehr das Sonnenlicht den Boden berührte, unheimliche Dinge abspielten. Von Waldgeistern und Ähnlichem war da die Rede, aber Jarihm glaubte nicht ein Wort davon. Vielmehr war ihm bereits der Gedanke gekommen, dass die Banditen selbst für das Aufkommen dieser Gerüchte zuständig waren, schließlich gab es kein effektiveres Mittel, um Neugierige vom Betreten des Waldes abzuhalten, als irgendwelche Geistergeschichten. So könnten die Banditen dort in Frieden ihre nächsten Taten planen, und hätten immer wieder eine sichere Unterkunft, wo sie nicht befürchten mussten, in die Armee des Königs zu laufen. Ja, Jarihm war sich sicher, mit dieser Einschätzung vollkommen richtig zu liegen, aber ihm war es ja schließlich egal, was diese Herumtreiber taten, solange die florierenden Geschäfte des Handelsimperiums und somit, in weiterer Folge, ihn selbst, nicht betrafen.

»Verzeih mir, falls dies unhöflich gewirkt haben sollte. Ich habe lediglich versucht, dir meine Vorzüge darzustellen.«, führte Jarihm das Gespräch wieder fort.

Sie winkte mit ihrer linken Hand ab und grinste dabei wieder.

»Ich war niemals anderer Meinung. Ich stelle übrigens gerade fest, dass ich sehr unhöflich bin. Auf deine, nun ja, nennen wir es mal „einzigartige“ Vorstellung hin, habe ich vergessen, dir meinen Namen zu nennen. Ich bin Sucaría, Tochter des Zujcan-Clan.«

»Also dann, Sucaría, Tochter des Zujcan-Clan, ich darf dir herzlich zum hervorragenden Umgang mit diesem ungehobelten Kerl gratulieren, denn ein derartiges Benehmen musste eine entsprechende Reaktion hervorrufen. Ich hoffe nur, du wirst im Umgang mit mir etwas sanfter zu Werke gehen.«

Jarihm hob seinen Kelch, um mit ihr anzustoßen. Sucaría lächelte.

»Solange du dich anständig benimmst, hast du nichts zu befürchten. Außerdem muss ich dir streng genommen sogar dafür danken, dass du dich zu mir gesetzt hast und damit dem Eindruck, ich sei eine der männermordenden Hexen aus den Kluran-Geschichten, entgegenwirkst. Ich habe diese verstohlenen Blicke und das Geflüster schon kaum mehr ertragen.« Sucaría hob nun ebenfalls ihr Glas und ließ es, einen glockenhellen Klang erzeugend, gegen das seine stoßen. Jarihm freute sich innerlich, ließ aber seine Fassade nicht fallen. Sucaría hatte nicht nur eindeutig Interesse an ihm, was sie ihm auch deutlich zu verstehen gab, sie sehnte sich auch nach Gesellschaft, die sie hier nicht mehr bekommen würde. Außer natürlich von ihm. Dies galt es auszunutzen, und in Jarihms Kopf formte sich bereits ein grober Plan, wie dies vonstattengehen sollte. Er nahm das Gespräch sofort wieder auf.

»Ich bin mir zwar sicher, dass du dir dessen auch bewusst bist, aber darf ich dir nochmals meine Komplimente bezüglich deines ganzen Auftretens machen? Dein bildhübsches Antlitz und deine kecke Art haben mich vollkommen verzaubert. Ich darf mit Fug und Recht behaupten, dass du die vollkommenste Frau bist, die mir je über den Weg gelaufen ist, und ich hätte es wohl mein Leben lang bereut, wenn ich nicht den Mut gehabt hätte, dich anzusprechen.«

Obwohl Jarihm wusste, dass er mit diesen Komplimenten sehr dick aufgetragen hatte, ganz davon zu schweigen, dass auch einiges davon nicht ganz der Wahrheit entsprach, verfehlten sie ihre Wirkung nicht. Sucaría schoss das Blut in die Wangen, und sie nahm abermals schnell einen Schluck ihres Weines, um dies zu kaschieren - doch es war bereits zu spät. Jarihm hatte es genau gesehen und freute sich wie ein Kind, dass seine Bezirzungen offensichtlich genau ins Schwarze getroffen hatten. Nachdem sie das Glas wieder abgesetzt hatte, ergriff sie wieder die Initiative. »Deine Worte ehren mich, Jarihm de Los Cuervos, doch ich denke, ich sollte demnächst aufbrechen. Mein Heimweg ist lange, mein Sold beinahe verbraucht und mein Kopf auf Grund des Weines schwer.«

Dies konnte Jarihm natürlich nicht zulassen, würde ihr Weggang doch verhindern, dass er seine weiteren Pläne mit ihr, in dieser Nacht noch umsetzen würde können. Doch dies galt es vorsichtig zu tun, zu lebhaft war noch das schmerzverzerrte Gesicht des Hünen vor seinem geistigen Auge.

»Bevor du gehst«, begann Jarihm das Gespräch, »möchte ich dir noch ein Angebot unterbreiten. Sag, Schildmaid des Königs, wie viele Geld trägst du noch bei dir?«

Sucaría griff in ihre Tasche, förderte eine Handvoll Münzen zu Tage und zählte diese innerhalb eines Atemzugs ab.

»Lediglich drei Silber- und fünf Bronzemünzen, warum fragst du? Schlägst du mir etwa vor, mir meinen Sold auf horizontale Weise aufzubessern?«

Dabei zog sie ihre rechte Augenbraue in die Höhe und blickte Jarihm direkt in die Augen. Ihm lief ein Schauer über den Rücken. Er fühlte sich in diesem Moment unheimlich bedroht. Er zwang sich seinen schneller werdenden Atem zu kontrollieren.

»Aber wo denkst du nur hin? Hab ich nicht eben bereits erwähnt, dass ich zu solchen Ferkelein nicht fähig bin? Allerdings, so denke ich mir, hast du sicher schon einmal Pajam gespielt, oder irre ich mich da?«

Sucarías Grinsen wurde breiter.

»Jarihm de Los Cuervos, willst du mir im Ernst vorschlagen, mit dir um meinen verbliebenen Sold Karten zu spielen? Dann sollte ich dich nämlich warnen: In so manch langen Nächten in einer langweiligen Wachstube habe ich mir schon die Zeit mit diesem Spiel vertrieben. Bist du sicher, dass du dieses Risiko eingehen willst?«

Jarihm grinste diabolisch, während er aus einer seiner rückseitigen Hosentaschen das Kartenspiel herausfischte. Genau mit so etwas hatte er bereits gerechnet. Die Soldaten des Königs waren bekannt dafür, stundenlang Pajam zu spielen, und er war sich daher sicher gewesen, Sucaría für eine Partie begeistern zu können. Er selbst beherrschte es natürlich beinahe perfekt, doch an dem heutigen Abend hatte er nicht vor zu gewinnen. Es ging einzig und allein darum, Sucaría länger hier zu behalten und sie zu verführen. Und das würde ihm wohl gelingen, wenn er lediglich schlecht genug spielte. Aus Erfahrung wusste er nämlich, dass er für Frauen wohl zum Erbarmen aussah, wenn er verlor und sie dadurch den Drang verspürten, ihn trösten zu müssen. Kombinierte man dieses Bedürfnis noch mit deren gefüllten Taschen und somit bester Laune, dann ergab sich daraus oft genug die Art von Lust, auf die er es abgesehen hatte. Er mischte, teilte aus und nahm seine zehn Karten auf die Hand. Er hatte eine gemischte Fünfer-Zahlenkombination auf der Hand, die er im Normalfall höchstwahrscheinlich durchbringen hätte können, hätte er drei Karten getauscht. Seine Niederlage vor Augen, behielt Jarihm jedoch sein gesamtes Blatt und ließ seinen hohen Multiplikator ungeschützt, setzte jedoch trotzdem fleißig Münzen. Sucaría war eine gute Spielerin. Sie realisierte, dass er einen Fehler gemacht hatte, ließ sich aber nicht die geringste Regung anmerken. Ohne zu zögern nützte sie ihre Chance eiskalt aus und gewann die erste Runde haushoch. In der nächsten Runde, in der er eigentlich die Möglichkeit gehabt hätte, seinen Einsatz wieder zu gewinnen, passierte in etwa dasselbe. Damit hatte sie das erste Spiel gewonnen, und er schob, betrübt drein blickend, eine beträchtliche Anzahl Münzen über den Tisch. Sie nahm diese an sich und sah ihn dabei mitleidig an.

»Also für einen Hobbyspieler bist du nicht übel, doch mit mir kannst du es noch lange nicht aufnehmen. Doch ärgere dich nicht, dafür gebe ich die nächste Runde aus.«

Mit diesen Worten gab sie der Kellnerin zu verstehen, den Weinnachschub nicht abreißen zu lassen. Während die beiden so vor sich hin spielten, wurde die Nacht immer länger und als Jarihm aufblickte, stellte er zufrieden fest, dass sie inzwischen alleine waren. Er hatte zwar inzwischen über fünf Goldstücke verloren, doch das war ihm reichlich egal. Aus der Schatzkammer seines Vaters konnte er sich im Prinzip so viel Gold nehmen wie er wollte, die lächerlichen Schlösser stellten schon lange kein ernsthaftes Hindernis mehr für ihn dar. Einmal hatte er sogar über 100 Goldstücke auf einmal entwendet, und es war seinem Vater nicht aufgefallen. Jarihm hatte gerade wieder ein Spiel verloren, als Sucaría zu gähnen begann. Dies sah Jarihm als Zeichen, um endlich auch einmal auf Sieg zu spielen.

»Wie ich sehe, bist du inzwischen reichlich müde geworden?«

»Das kann man wohl sagen«, brachte sie unter einem weiteren herzhaften Gähnen hervor.

»Da ich weiß, dass du einen langen Heimweg hast, würde ich dir gerne ein Angebot machen. Ich habe im Obergeschoß dieses Hauses einen eigenen Raum, in dem ich normalerweise meine Handelsgäste unterbringe. Dementsprechend luxuriös ist er natürlich auch ausgestattet. Ich biete dir ein letztes Spiel. Wenn du gewinnst, darfst du, natürlich kostenlos, dort nächtigen. Wenn ich gewinne, darfst du ebenfalls dort nächtigen, doch wirst du dann nicht alleine sein, wenn du verstehst, was ich meine.«

Sie zog erneut eine Augenbraue in die Höhe, offensichtlich überlegend, was sie nun tun sollte. Jarihm zwang sich ruhig zu atmen. Das Gefühl, das er hatte, wenn er solche Fragen stellte, erinnerte ihn immer daran, wie es war, wenn man im Hochsommer in eine eiskalte Quelle sprang. Ungewiss, ob es einen umbringen, oder ob man danach erleichtert weiterziehen würde. Plötzlich ging ein Ruck durch die Schildmaid und sie erhob sich von ihrem Stuhl. Jarihm rutschte das Herz in die Hose, doch er zwang sich ebenfalls aufzustehen. Gewiss würde sie ihm Ähnliches antun wie diesem anderen Kerl, vielleicht sogar etwas noch Schlimmeres. Sie trat auf ihn zu bis sie so knapp vor ihm stand, dass er ihren Atem auf seinem Gesicht spüren konnte. Er konnte sehen, wie sie sich anspannte. In blinder Panik schloss er die Augen. Wartete auf die Schmerzen. Doch nichts passierte. Vorsichtig blinzelte er mit seinem linken Auge. Sie hatte sich nach immer nicht wegbewegt, ihr verführerisch fruchtiges Parfüm, das sie nach Cassis duften ließ, fand den Weg in seine Nase. Sie beugte sich zu seinem Ohr, hauchte mehr als sie sprach.

»Und ich dachte schon du würdest überhaupt nicht mehr fragen!«.

Sanft drehte sie sich von ihm weg und zog ihn an seiner Hand in Richtung Treppe.

Des Orakels Richterspruch

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