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5. Das Mantra

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Eine ausgefallene Philosophie nützt nicht mehr viel, wenn der Gerichtsvollzieher an die Tür pocht und die Miete eintreibt:

„Ach, Entschuldigung, ich muss eben noch meine tägliche Unterredung mit den Sternenwesen zu Ende führen, dann habe ich Zeit für Sie – nehmen Sie sich doch einfach ein Kissen und meditieren Sie ein, zwei Stunden für das Wohlergehen der Orangenbäume in Kalifornien …“

Nein, ich glaube nicht, dass das so geht.

Um Freude an unserem eigenen Dasein zu haben und um gut für uns zu sorgen, müssen wir Enttäuschungen in den Griff bekommen, auch Ärger, Leiden, das durch Täuschungen und Illusionen entsteht, sowie all die eingebildeten Verletzungen, die wir von der Wiege bis zur Bahre herumschleppen, … alles, was schließlich die Realität ist! Das zauberhafte Leben gelingt uns nur, indem wir kopfüber in das Durcheinander springen, das die meisten von uns vernünftiger Verstand nennen.

Dummerweise gleicht der noch nicht neu geordnete Verstand einem Schwalbenschwarm im Frühling: Alle Vögel flattern am Himmel herum, jeder schießt einzeln herab, steigt wieder auf und schnappt im Flug nach winzigen Leckerbissen. Jedes einzelne Tier gibt sich ganz der Aufgabe hin, sein Nest des letzten Jahres für eine neue Familie zu renovieren. Jedes konzentriert sich auf seine eigenen unmittelbaren Bedürfnisse. Eine übergeordnete gemeinsame Aufgabe ist nicht im Blick. Im Laufe des Sommers verlassen die Jungvögel das Nest und fliegen zum ersten Mal allein.

Allmählich richtet sich der bisher zerstreute „Geist“ aller Vögel auf eine einzige Absicht:

Wenn der Winter naht, fliegen sie die enormen Strecken von Stuttgart nach Sydney, von Amsterdam nach Adelaide, von Belgrad nach Brisbane. Um das zu schaffen, müssen sie als eine Einheit unterwegs sein, wie ein Kopf handeln, verbunden und zielgerichtet.

Genau wie die Schwalben im Herbst sind wir selbst mit zig Milliarden Gedanken gesegnet; der Trick besteht darin, dass wir ihnen den Formationsflug beibringen.

Denn wenn man um die halbe Welt fliegen will und nicht größer als eine Handfläche ist, muss man alle seine Absichten und Körperkräfte darauf konzentrieren.

Und das führt uns zu einem der größten Widersprüche des zauberhaften Lebens.

Buckminster Fuller (1895 – 1983, ein amerikanischer Architekt und Erfinder) beschreibt ein Phänomen aus der Natur, das er „Präzession“ nennt; es besagt, dass wichtige Ereignisse oft im rechten Winkel (90 Grad) zur Richtung der wirkenden Kraft geschehen.

Erklären können wir die Präzession am Königreich (eigentlich Königinnenreich) der Bienen. Die Arbeitsbiene richtet ihr ganzes Leben darauf aus, Nektar zu sammeln. Doch daran denkt sie nicht: Während sie mit ihrem Kopf alle möglichen Verrenkungen macht, um das köstliche Zeug tief in der Blüte herauszusaugen, wischt sie den Pollen ab, der an ihrem Hinterteil klebt. Das bedeutet, die Blumen werden bestäubt, was wiederum bedeutet, dass nächstes Jahr wieder Blumen blühen, und so weiter …

Wenn wir uns auf ein einziges Konzept versteifen, um dadurch unsere Träume zu verwirklichen, dann bekommen wir vielleicht den Nektar, doch wir verpassen die Bedeutung des Pollens. Er kreuzt unseren erwünschten Weg sozusagen im rechten Winkel. Wir haben keinen Raum gelassen für diese natürliche Präzession. Wenn wir unsere Ambitionen an der kurzen Leine führen und alle anderen Optionen ausschließen, dann hören wir den Telefonanruf nicht, wenn er aus einer Richtung kommt, aus der wir ihn nicht erwarten. Wenn das Telefon tatsächlich klingelt – und das wird es immer tun –, stellen wir den Anruf meist derart zaghaft und misstrauisch infrage, dass die Natur beim Warten die Geduld verliert und auflegt.

Es ist wirklich so, dass die meisten von uns so konditioniert sind, dass uns der Zauber des Lebens entgeht, die freudige Erkenntnis, dass die Wünsche von uns einfachen Sterblichen immer noch geringer sind als das, was uns alles zugedacht ist!

Die gleiche Gefahr besteht, wenn wir uns zu eng auf unsere Wünsche konzentrieren.

Um das zu vermeiden, empfehle ich eine Jahrtausende alte Methode. Mit ihr können wir den Verstand von diesen zig Milliarden schwirrender Gedanken erlösen, ohne 19 000 Kilometer nach Australien reisen zu müssen, ja, wir müssen uns dafür nicht einmal aus unserem Polstersessel bequemen. Was für ein Glück!

In Esoterikkreisen heißt diese Übung Mantras rezitieren. Ein Mantra ist ein kurzer Spruch, so etwas wie ein Buch in Kurzform für faule Leser. Oder vielleicht eine bequeme Art, wie „Erleuchtete“ Kurzschrift miteinander reden.

Nichts hilft Ihnen besser, sich an etwas zu erinnern, als die Wiederholung. Das ist ganz einfach die Kunst der Gehirnwäsche.

Das hat gar nichts mit Religion zu tun.

Nehmen wir doch mal an, Sie wollen Mantras rezitieren, dann können Sie mit einem ganz bekannten beginnen, dem tibetischen Om Mane Padme Hum. Dieses Beispiel zeigt sehr schön, wie eine endlose Wortwiederholung einen Rhythmus aufbaut, der nach und nach den ganzen Verstand in Anspruch nimmt und ausfüllt.

→ Es steht Ihnen völlig frei, die tibetischen Worte zu verwenden oder, für den Anfang vielleicht noch besser: Suchen Sie sich irgendein Wort, das auf einen Vokal endet; das könnte auch Ihr Name sein. Setzen Sie sich ruhig hin und wiederholen Sie das Wort eine halbe Stunde oder länger.

Sie werden merken, dass die Bedeutung des Wortes bedeutungslos wird.

Sprechen Sie Ihr Mantra laut aus! Dann passieren zwei kraftvolle Dinge: Der Verstand ist auf nette Weise gezwungen, zu enträtseln, womit Sie ihn gerade füttern, und gleichzeitig kommt Ihnen die Vorstellung Ihrer eigenen Wichtigkeit abhanden. Was ist das wert?

Eines meiner Lieblingsmantras murmelte ein tibetischer Mönch vor sich hin, mit dem ich von Hongkong nach Lhasa reiste. Aus verschiedenen Gründen hatten wir zwei Tage lang nichts Richtiges gegessen. Die letzte Etappe der Reise war die Fahrt vom Flughafen zur Stadt, 90 Kilometer in einem überfüllten Zwölfsitzer-Bus.

Weil ich neben ihm saß, hörte ich ihn ein Mantra flüstern. „Was“, so fragte ich müde, hungrig und ein wenig respektlos, „ist denn das Mantra für heute?“

Mit breitem Lächeln sprach er lauter: „Om lunch. Om lunch. Om lunch.“ Auf Deutsch: Om Mittagessen. Om Mittagessen. Om Mittagessen.

Das Mantra hält unseren Verstand beschäftigt, während das Leben stattfindet.

John Lennon sagte einmal „Leben ist das, was geschieht, während man eifrig andere Pläne schmiedet.“

Es ist nicht wichtig, unbedingt eine vollständige, wissenschaftliche Beschreibung für unseren wirkenden Verstand zu finden. Lassen Sie uns für unsere Zwecke einfach sagen: Er ist der Teil von Ihnen, der Ihnen mitteilt, dass Sie Hunger haben, schwitzen oder frieren, wütend oder gelangweilt sind … oder irgendwelche andere Überlebensmechanismen, die meist ohne unsere bewusste Zustimmung mit uns geschehen. Man könnte sagen, er hat seinen eigenen Kopf und regt sich mächtig auf, wenn Sie ihn bitten, die Klappe zu halten und Ihnen ein wenig Ruhe und Frieden zu lassen.

Es geht darum, den ruhelosen Verstand zu überflügeln. Wir müssen ihn von einer anderen Seite packen.

Wie ein Spion in der Nacht schleichen wir uns am besten an und geben ihm etwas, was seine Aufmerksamkeit ablenkt, während wir zum Kern unserer Wünsche vordringen.

In den folgenden Kapiteln kommen wir auf die Verwendung von Mantras zurück.

Bis dahin ist hier eines, das nicht nur gut ist fürs Gehirn, sondern auch unglaublich nützlich, um Unsicherheit zu überwinden, Selbstzweifel und das ständige Gefühl der Erfolglosigkeit. (Das klingt jetzt aber beinahe wie die Verschreibung eines bekannten Bach-Blüten-Mittels!)

Es lautet:

„Ich tue mein Bestes, so gut ich kann.“

Wenn immer ich das Gefühl habe, etwas nicht so gut gemacht zu haben, wie ich es gern gemacht hätte, sage ich mir: „Ich tue mein Bestes, so gut ich kann“, im Flüsterton (damit mich niemand hört – ich möchte ja nicht, dass man mich für völlig gestört hält!).

Egal, was Sie jetzt dazu sagen, Sie werden Ihren Alltag anders erleben.

Hier ist noch ein Mantra zum Aufschreiben und Üben. Probieren Sie es unbedingt aus:

„Ist das nicht interessant?!“

Beobachten Sie, wie es sofort seine Wirkung entfaltet, wenn Sie einen Streit schlichten wollen oder wenn Sie sich wundern, warum das Pech gerade wieder Sie Unglücksraben ereilt.

„Wie interessant, dass ich auf meinen besten Freund wütend bin.“

„Wie interessant, dass mein Chef nicht sieht, wie wertvoll meine Arbeit für die Firma ist.“

In meinen Seminaren schlage ich den Teilnehmern vor, diese nützliche Übung regelmäßig zu verwenden. Ja, ich habe auch schon oft gesagt, ich hätte gern diesen Spruch „Ist das nicht interessant“ auf meinen Grabstein gemeißelt.

Loslassen ... und heilen

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