Читать книгу Herzschweißen - Niki Lauda, Conny Bischofberger - Страница 11
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ОглавлениеIsabella spürte etwas Feuchtes an ihrer Wange. Sie öffnete langsam ihre Augen und wusste nicht, wer und wo sie war. In dieser ersten Sekunde nach dem Aufwachen gab es keine Zeit und keinen Raum, sie schwebte noch in der Traumwelt, es war ein Moment größter Verletzlichkeit. Prinzessin hatte sie angestupst und aufgeweckt, wie jeden Morgen. Schlaftrunken streichelte Isabella ihr zartes Fell, während die Tigerkatze sich wohlig an ihren Körper schmiegte und laut schnurrte. In der »Zeit« hatte sie gelesen, dass eine schnurrende Katze sich nicht immer wohlfühlt. Dass Schnurren oft eine Methode sei, mit der sich Katzen in stressigen Situationen selbst beruhigen. So selig, wie Prinzessin neben ihr lag, und ihr noch ein paar Minuten Dösen vor dem Füttern gönnte, konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie gerade Stress abbaute. »Ich steh ja schon auf«, murmelte Isabella, als Prinzessin erneut die feuchte Nase an ihre Stirn rieb. Mogli streckte sich, er wusste, das Katzenfrühstück war nah.
Irgendetwas war anders an diesem Morgen. Geträumt hatte sie nicht, das machte den Start in den Tag schon mal leichter. Wenn sie geträumt hatte, versuchte sie immer, der Bedeutung des Traumes sofort auf den Grund zu gehen. Das beschäftigte sie oft den halben Vormittag, mitunter ohne Erfolg. Auf dem Weg in die Wohnküche horchte Isabella in sich hinein. Sie spürte eine leise Aufregung, eine undefinierbare Erwartung, als sie zum Kühlschrank ging, um Topfen zu holen. In einem tiefen Teller zerquetschte sie eine Banane mit der Gabel, mischte den Topfen, Honig und geschrotete Leinsamen dazu und gähnte. Während die elektrische Kaffeemühle surrte, fiel ihr das E-Mail ein, das um 0.08 Uhr in ihrem Posteingang aufschien. Christoph Regner. Sie hatte ein Rendezvous, das war es!
Nach dem ersten Kaffee wurde ihr das Ausmaß der nächtlichen Vereinbarung so richtig bewusst. Der Mann, der sie mit seinem Fernsehauftritt aus ihrem Dornröschenschlaf gerissen hatte, wollte sie treffen. Seine E-Mails hatten von Anfang an eine sehr persönliche Note gehabt. Es schwang in ihnen noch etwas anderes mit als bloßes Interesse. Etwas, das sie sehr nervös machte. Auch wenn es noch eine Ewigkeit war bis zum 20. Januar, fühlte Isabella jetzt schon Panik. Wozu das Ganze? Sie suchte keinen Mann, sie hatte eigentlich für so etwas gar keine Zeit. Sogar wenn sie sich mit Bekannten treffen wollte, kam meistens etwas dazwischen. Deshalb war es kompliziert, mit ihr befreundet zu sein. Außerdem hatte sie Angst.
Isabella schlüpfte in ihre Jogging-Pants, schnappte sich ein weißes Thermoshirt und suchte ihre Laufschuhe. Bewegung würde ihr guttun. Sie rannte hinunter zum Donaukanal, sah aus den Augenwinkeln das grüne Wasser fließen, sie und der Fluss bewegten sich in dieselbe Richtung. Der gefrorene Boden knirschte unter ihren schnellen Schritten, die kalte Luft fraß sich in ihre Lunge.
Auf ihrer kurzen Strecke begegnete sie zwei Ratten, die den Weg zum Wasser kreuzten, und einem schwarzen Raben, der sie neugierig anstarrte. Es war 6.45 Uhr. Auf dem Rückweg würde sie frisches Grahambrot mitnehmen, dafür klebte immer ein Fünfeuroschein in ihrem BH. Grahambrot erinnerte sie an ihre Bandscheibenoperation vor sechs Jahren. An den Morgenschmerz, der damals wochenlang ihr Begleiter war. Durch Bewegung wurde er immer schwächer und schließlich besiegte sie ihn. Danach gab es in der Klinik Grahambrot mit Butter und Honig und Malzkaffee.
Beim Aufgang zur Brücke sah sie Brigitte mit ihrem Beagle »Giovanni«. Brigitte spielte die lustige Alte in einer TV-Vorabend-Serie, verkörperte den Prototyp Frau jenseits der 50, die noch Spaß an Sex hat. Privat sah das anders aus.
»Hey!«, rief Isabella und drosselte das Tempo, Brigitte winkte ihr zu. Die beiden Frauen gingen ein Stück des Weges gemeinsam.
»Du siehst gut aus«, sagte Brigitte und musterte Isabella von der Seite. »Irgendwie verändert.«
Isabella erschrak. Sie war innerlich aufgewühlt, aber konnte man das äußerlich wirklich sehen?
»Ich habe eine Konversation mit einem Mann begonnen«, sagte Isabella. »Hab ihm ein E-Mail geschrieben, und er hat sofort geantwortet.«
Brigitte horchte auf. »Ich bewundere deinen Mut«, sagte diese starke, erfolgreiche Frau, »ich glaube, ich könnte das nicht.«
»Es war ein innerer Impuls«, erklärte Isabella. »Ich bereue es mittlerweile schon fast.«
Dann erzählte Brigitte von einem Regisseur. Sie sei aber nicht sicher, ob ihre Gefühle für ihn auf Gegenseitigkeit beruhen würden. Außerdem sei der Typ verheiratet.
Isabella hatte dieses Argument schon so oft gehört. Und nie verstanden. Ihrer Ansicht nach konnte man sich mit jedem Menschen unverbindlich treffen und austauschen, unabhängig von dessen Geschlecht oder Beziehungsstatus. Alles andere würde ja bedeuten, dass der Austausch mit einem Hintergedanken stattfände. Der Hoffnung oder Absicht, eine romantische oder sexuelle Beziehung einzugehen. Isabella schien es logisch, dass am Anfang höchstens Interesse stehen konnte. Gefühle kamen erst später, mitunter auch gar nicht.
»Ist es nicht unehrenhaft, ihm zu schreiben?«, fragte Brigitte leise.
»Unehrenhaft?« Isabella sah in den sich klärenden Morgenhimmel. »Was soll daran unehrenhaft sein? Lerne ihn doch erst einmal kennen!«
Und dann hielt sie ein zorniges Plädoyer über Frauen, die sich viel zu viele Gedanken machen. Über das, was Männer über sie denken, über Fesseln und Konventionen, über Freiheit und Emanzipation, »sogar über Ehefrauen, die wir gar nicht kennen, machen wir uns Gedanken«, ließ Isabella ihrem Ärger Luft. »Und wer macht sich bitte Gedanken über uns?«
Brigitte lachte. »Du hast mich ermuntert«, meinte sie, »vielleicht frage ich ihn, ob er Lust hat, einen Kaffee mit mir zu trinken.«
Auf dem Rückweg in ihre Wohnung überlegte Isabella, was Christoph Regner jetzt wohl gerade machte. Ob er Kaffee oder Tee trank zum Frühstück? Wo er wohnte und wie. Wahrscheinlich fuhr er mit der U-Bahn ins Büro. Sie fragte sich, nicht das erste Mal, warum er ihr am 6. Dezember schon frohe Weihnachten gewünscht hatte.
Isabella verspürte große Lust, ihm zu schreiben, entschloss sich aber, diesem Verlangen nicht nachzugeben.