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Noch fünf Tage bis zum Heiligen Abend, mit Weihnachtsstress hatte Isabella schon vor vielen Jahren Schluss gemacht. Die Gans bestellte sie immer Ende November bei einer Bäuerin im Waldviertel, die Milz für die Suppeneinlage beim Fleischer in Ottakring, er bot auch hausgemachte Knödel an. Das Menü war bis auf das kleinste Detail immer gleich, ihre Kinder und deren Freunde wollten das so. Rindssuppe mit Milzschnitten, ein Gansl aus dem Rohr mit gebratenen Maroni, Erdäpfelknödel und Rotkraut à la Mama. Zum Dessert Crème Brûlée. Zur Hauptspeise tranken sie Merlot Reserve vom burgenländischen Weingut »Iby« und danach eine Spätlese von »Kracher«.

Weihnachten war lange Zeit ein wunder Punkt in ihrem Jahresablauf gewesen. Im elterlichen Wirtshaus hatte das Fest vor allem Stress und harte Arbeit bedeutet. Bella musste vierzig Gäste allein bedienen, vom Lachsröllchen bis zum Mousse au Chocolat. Den Heiligen Abend empfand sie als einzigen, peinlichen Kniefall vor den Touristen. Sie und ihre Geschwister schmückten den Baum für die Gäste, es wurde gekocht und gebacken für die Gäste, es wurden Weihnachtslieder gesungen für die Gäste. Erst »Ihr Kinderlein kommet, oh kommet doch all«, später dann »Schnaps, das war sein letztes Wort, dann trugen ihn die Englein fort«. Für Bella und die Brüder gab es nie Geschenke, für die Kinder der Gäste aber schon.

Also hakte sie Weihnachten irgendwann ab. Redete sich ein, dass es ohnehin nicht so wichtig sei. Statt sich die Kränkung einzugestehen und die Eltern als Urheber zu benennen, ignorierte sie einfach den Auslöser dafür.

Erst als sie selbst Mutter wurde, sah Isabella ein, dass ihre Kinder ein Recht auf Weihnachten hatten und so schufen sie sich mit den Jahren ihre eigenen Rituale. Buken gemeinsam Zimtsterne, legten dem Christkind Nachrichten ans Fensterbrett, zündeten abends Kerzen an, sangen alte Lieder, diskutierten über den religiösen Hintergrund des Festes. Isabella und ihre Kinder waren katholisch getauft und sie glaubte an Gott, auch wenn er in ihrer Vorstellung kein Mann war, sondern eine höhere Macht, die letztlich, was sicher eine naive Vorstellung war, für Gerechtigkeit sorgte. Geschenke gab es unzählige, die Pakete hatten unter dem Drei-Meter-Christbaum kaum Platz. Vieles, was Bella in ihrer Kindheit vermisst hatte, gönnte sie sich als Erwachsene im Übermaß.

Auf dem Weg in die Redaktionskonferenz sah Isabella an diesem Freitagvormittag eine Nachricht von Thomas Prinz. »Unfall« stand im Betreff. Sie hatte den Zwischenfall schon wieder vergessen gehabt. Unfall schien ihr jedenfalls maßlos übertrieben. Im Anhang befand sich der ausgefüllte Unfallbericht, den sie unterschreiben sollte. Im Mail stand: »Sehr geehrte Frau Mahler! Ich hoffe, Sie erinnern sich noch an unser issue. Bitte rufen Sie mich bez. weiterer Vorgangsweise asap an. Best, TP.«

Sie wollte ihn später googeln, er musste ein Investmentbanker oder Immobilienhai oder so etwas sein. Das mit dem Anruf konnte er jedenfalls vergessen.

Für die Weihnachtsausgabe wünschte sich der Herausgeber von Isabella ein Interview mit dem Bundespräsidenten, der sich selbst als Agnostiker bezeichnete, mit dem Glauben und der katholischen Kirche und dem Jesuskind in der Krippe also nichts anfangen konnte. Eine Art paradoxer Protagonist. Isabella schickte seinem Sprecher gleich eine WhatsApp-Nachricht. Die Kolumne für den Heiligen Abend würde sie auch noch beschäftigen. An diesem speziellen Tag musste sie die Stimmung ihrer Leserinnen und Leser treffen, der Politik eine besinnliche Note geben.

Als Isabella später mit ihrer Freundin Kathi und ein paar Kollegen in warme Decken gehüllt im Wintergarten des »Rochus« saß, Aperol Sprizz trank und sich die Finger abfror, dachte sie an das Mail, das Christoph Regner um 23.04 Uhr noch geschickt hatte. »Für mich waren und sind Sie Isabella Mahler, ehemals aus Vorarlberg. Ich bin einfach gespannt, wer Sie sind, was Sie ausmacht.«

Kathi fiel sofort auf, dass sie in Gedanken weit weg war.

»Hat er wieder geschrieben?«, fragte sie.

Isabella nickte.

»Du strahlst richtig.« Kathi lächelte und nahm Isabellas Hand. »Hast du ihn eigentlich mal gegoogelt?«

Sie schüttelte den Kopf. »Bei ihm habe ich das Gefühl, einfach nur ich selbst zu sein. Für ihn ist meine Position nicht wichtig. Deshalb will ich auch nicht journalistisch vorgehen. Sondern einfach abwarten, was zwischen uns passiert.«

»Na ja«, warf Kathi ein, »ein wenig Recherche könnte nicht schaden.«

Aus der Hofburg kam gegen 20 Uhr noch das Okay für ein Interview mit dem Staatsoberhaupt in der Feiertagsausgabe. Ob Regner es wieder lesen würde?

Auf dem Nachhauseweg fiel Isabella ein Gedicht von Kurt Tucholsky ein. Sie sagte es leise vor sich auf, nicht ahnend, dass es eine große Angst vorwegnahm, die in ihr schlummerte.

Man spaziert in der Stadt

die Millionen Gesichter hat

und plötzlich: Zwei fremde Augen,

ein kurzer Blick,

die Braue, Pupillen, die Lider -

Was war das?

vielleicht dein Lebensglück …

vorbei, verweht, nie wieder.

Herzschweißen

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