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An Interview-Tagen war Isabella trotz jahrzehntelanger Routine und perfekter Vorbereitung noch immer aufgeregt. Sie stellte sich den Worst Case vor, dass sie zu spät kommen, ihren Interviewpartner vor den Kopf stoßen würde, wichtige Aspekte übersehen haben könnte, dass sie ihrem Gegenüber sprachlich unterlegen wäre, dass sie sich von seiner Sympathie davontragen ließe, dass das Ergebnis blamabel sei, in den sozialen Netzwerken ein Shitstorm losbrechen würde und ihr Herausgeber sich zu keiner Bemerkung hinreißen ließe. Es gab so einen Spruch in der Redaktion. Ned gschimpft is gnua g’lobt – kein Tadel bedeutet bereits Lob, das einzige Lob.

All diese schrecklichen Vorstellungen endeten jeweils damit, dass sie zu sich selbst sprach: »Du hast das hunderte Male gemacht und es ist fast immer gut ausgegangen. Sehr gut sogar. Es gibt keinen Grund, dass es diesmal anders sein sollte. Du weißt genau, wie es geht. Deine Gesprächspartner vertrauen dir. Sie öffnen sich und erzählen dir Dinge, die besonders sind. So, und jetzt lässt du deine Angst los.«

Isabella stellte sich Angst blau vor und atmete die blaue Luft wie einen schweren Seufzer aus. Dann atmete sie frische, goldene Luft ein. Ihr Körper entspannte sich, sie spürte Respekt und Demut, auch vor sich selbst. Eine Haltung, die jedes Gespräch von Grund auf veränderte.

Die Schreckensvorstellungen waren nicht gänzlich unbegründet. Immer noch quälten sie die Erinnerungen an ein Interview, das ihr damals, knapp vor ihrem dreißigsten Geburtstag, völlig misslungen war. Jeanne Moreau, die Isabellas Meinung nach das französische Kino des 20. Jahrhunderts wie kaum eine andere Künstlerin geprägt hatte und noch dazu ihre Lieblingsschauspielerin war, sagte vor einem Wien-Besuch zwei Interview-Anfragen zu. Eine Zusage betraf Isabellas Tageszeitung.

Sie war so stolz, diesen Termin wahrnehmen zu dürfen, dass sie vollkommen unvorbereitet nach Paris flog. In der AUA-Maschine blätterte sie noch in der Biografie Die verwegene Jeanne Moreau. »Wenn andere Schauspielerinnen das gewisse Etwas hatten, so hatte die Moreau das gewisse Alles«, stand auf der Rückseite.

Verwegen war auch Isabellas Unprofessionalität. Auf der Fahrt vom Flughafen Charles de Gaulles in die Innenstadt zog sie im Taxi ihre Lippen nach und überlegte, was ihr Fotograf wohl für ein Typ Mensch sein würde. Besonders phlegmatische und hyperaktive Fotografen machten Isabella wahnsinnig. Ihr eigenes Phlegma fiel ihr nicht auf.

In der Rue de l’Université empfing Jeanne Moreau an diesem Juninachmittag um 17 Uhr Isabella und Michel, die Journalistin aus Wien und ihren Pariser Fotografen. Sie sprach – welche Überraschung – französisch. Daran hatte Isabella gar nicht gedacht. Und ihr Sony-Aufnahmegerät hatte sie auch vergessen.

Das Interview – nein, ihr Gestammel verdiente diese Bezeichnung wahrlich nicht – wurde zu einem Desaster. Jeanne Moreau weigerte sich, wie viele Franzosen, wenn man ihre Sprache nicht spricht, ins Englische zu wechseln. Isabella wusste, dass Michel ihre einzige Rettung war. Er berichtete ihr später, was die zunehmend unwillig werdende Moreau auf ihre Fragen geantwortet hatte.

Damals schämte sich Isabella so sehr, dass sie stundenlang weinte. Aber es war auch ein Schlüsselmoment für ihre spätere Karriere. Ihr wurde bewusst, dass Interviewführung nichts war, was einfach so gelang. Sondern eine ganz eigene Disziplin des Journalismus, mit zahlreichen Regeln und noch mehr Fallstricken. Diese Regeln eines Formats, das viele für die Königsdisziplin des Journalismus hielten, wollte sie sich akribisch aneignen und zur Perfektion führen.

Isabella stieg aus der Dusche, trocknete sich ab und massierte Birkenöl in die Dellen ihrer Oberschenkel. Es war 11 Uhr, der Termin mit Paulo Coelho war in vier Stunden. Sollte sie den schwarzen Hosenanzug von Max Mara tragen oder das rote Jil-Sander-Sakko? Dazu konnte sie auch Jeans kombinieren, das sah nicht so übertrieben elegant aus. Sie entschied sich schließlich für ein grünes Wollkleid mit Stiefeln. Im Sommer trug sie meist Weiß oder Gelb. Gelb war ihre Lieblingsfarbe. Gelb wie die Sonne und die Maisfelder im August.

Isabella föhnte ihre Haare, rollte die Strähnen um ihren Finger und steckte sie mit Clips fest. Das gab natürliche Locken. Sie trug Make-up auf, dazu ein bisschen Erdpuder, braunen Lidschatten und roten Lippenstift. Sie mochte die Fältchenlandschaft um ihre Augen und den Mund, nichts schlimmer als botoxgeglättete Gesichter.

Dann setzte sie sich an den Tisch in der Küche, vor sich ein paar Blätter Papier. Sie dachte an Paulo Coelho, führte sich seine Lebensleistung vor Augen, und versetzte sich dann in die Lage ihrer Leserinnen und Leser. Was wollten sie vom »König der Sinnsuche« wissen? Es spielte überhaupt keine Rolle, ob sie selbst die Romane von Coelho gerne las oder sie für Kitsch hielt. Sie war immer Anwältin ihres Publikums, musste jene Fragen stellen, die sich auch ihre Leser stellen würden – Coelho-Freunde und Coelho-Feinde. Diese Fragen notierte sie sich, frech formuliert, in einer Art Dramaturgie. Eine Einstiegsfrage, um die Stimmung zu lockern. Empathische und kritische Fragen in Wellenbewegungen. Die gewagteste Frage am Schluss. Sonst konnte es passieren, dass die Stimmung kippte.

Das Allerwichtigste: Sich selbst nicht so wichtig nehmen. Das fiel Isabella nicht schwer, weil sie in Wahrheit ein scheuer, tief in ihrem Innersten auch ein unsicherer Mensch war. Eine gute Interviewerin nimmt sich zurück, erklärte sie den Studenten ihrer Interview-Seminare gerne, sie hört lieber zu als zu reden, ihr Instrument sind die Fragen. Darüber hinaus registriert sie auch, was nicht gesprochen wird.

Sie erfasst die sogenannte Metaebene. Isabella erzählte dazu gerne die Geschichte von der Fliege. Stellt euch vor, dass ihr aus der Perspektive einer Fliege, die an der Decke des Zimmers sitzt, das Gespräch verfolgt, das unter euch stattfindet. Was sieht die Fliege? Die Körperhaltungen, die Blicke, die Sprechpausen, den Ausdruck der Gesichter, das Spiel der Hände. Die Fliege versteht nicht, was gesprochen wird, dennoch nimmt sie wahr, was die beiden Gesprächspartner ausdrücken.

Als sie um 14.45 Uhr ihren Mini im Regierungsviertel parkte und fünf Minuten später die »Blu Style« betrat, fühlte Isabella sich gut. Bereit, sich einem fremden Menschen in kürzester Zeit emotional zu nähern, darüber zu schreiben, um sich dann genauso schnell wieder von ihm zu entfernen.

Das Interview verlief angenehm und professionell. Paulo Coelho gefiel ihr ehrliches Interesse und ihre akribische Vorbereitung. Mit der Frage nach der »geheimen Formel« seines Erfolgs hatte sie etwas in ihm berührt. Noch während sie seinen Worten lauschte, tauchten bereits die herausgehobenen Zitate des gedruckten Interviews vor ihrem inneren Auge auf.

Ein Mensch darf nie aufhören zu träumen. Der Traum ist für die Seele, was Nahrung für den Körper bedeutet.

Ich schreibe nicht gern in der Einsamkeit. Ich brauche Geräusche um mich herum, Geschäftigkeit. Ja keine Stille! Meine Bücher entstehen mitten aus dem Leben heraus.

Und Glück, meinte Coelho, sei langweilig.

Besser hätte es nicht laufen können. Als der Schriftsteller sich verabschiedete und zurück in seine Suite ging, bestellte Isabella noch zwei Espressi für sich und ihren Fotografen. Die Lampe in Form eines Filmscheinwerfers tauchte die Bar in ein zartes, mattes Licht.

Über die weihnachtlich geschmückte Herrengasse brach der Abend herein. Als Isabella zu ihrem Auto ging, fühlte sie sich beschwingt und hungrig. Beim Ausparken hörte sie ein lautes Knirschen. Oh mein Gott, dachte sie, hab‘ ich jetzt wirklich dieses Angeber-Auto vor mir gerammt?

Im silbergrauen Aston Martin saß ein Mann und telefonierte bei laufendem Motor. Er drehte sich um und gestikulierte mit der rechten Hand. Sollte wohl »Sind Sie verrückt geworden?« heißen.

Schließlich kletterte er aus dem Sportwagen und näherte sich mit langsamen Schritten. Er warf Isabella einen feindseligen Blick zu. Sie saß noch immer seelenruhig am Steuer ihres Minis und kramte geschäftig in ihrer Handtasche herum.

»Prinz!«, stellte sich der Typ mit dem 150.000-Euro-Wagen vor.

»Mahler, angenehm. Leider kann ich im Moment weder Führerschein noch Zulassungspapiere finden …« Isabellas Finger fischten Lippenstifte, Notizhefte, Schlüssel, Nagelfeilen und Pfefferminz-Lutschbonbons aus der Tasche.

Prinz seufzte. Zu seinem Ärger gesellte sich offenbar eine gewisse Verwunderung. Vielleicht war er irritiert darüber, dass diese Frau nicht einmal wissen wollte, wie schlimm der Schaden an seinem Auto war. Ja, dass sie nicht einmal die Kratzer an ihrem Mini, den er sicher komisch fand, zu interessieren schienen.

»Tut mir leid, das mit dem Buserer«, sagte Isabella. Buserer. Auch so ein Wiener Ausdruck der liebevollen Verharmlosung. Wie Pantscherl für Affäre, oder safteln, wenn eine Wunde nicht aufhörte zu bluten.

»Ja, mir auch«, erwiderte Prinz, der einen Unfallbericht in der Hand hielt, »ich hoffe, Sie sind gut versichert.«

Schließlich schob Isabella eine Visitenkarte durchs offene Fenster, registrierte seine dunkelblonden Haare, die grünen Augen. »Füllen Sie das doch bitte für uns beide aus«, bat sie, dann startete sie ihren Wagen und fuhr davon.

Prinz schaute ihr ungläubig nach. Im Rückspiegel sah Isabella, dass er winkte.

Herzschweißen

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