Читать книгу Herzschweißen - Niki Lauda, Conny Bischofberger - Страница 16
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ОглавлениеPingpong. Wie leicht und fröhlich das klang. Seit drei Wochen bestimmte dieses Spiel nun schon Isabellas Alltag. Wie kleine Bälle flogen E-Mails zwischen ihr und Regner hin und her, mal in atemberaubendem Tempo, da ging es um Minuten und Sekunden, dann wieder gönnten sie sich Pausen. Spielregeln gab es bei ihrem Pingpong keine. Ihr Austausch basierte auf Freude, Fantasie und Freiwilligkeit.
Als kleines Mädchen waren die Abenteuer eines Tischtennisballs namens »Pong« der Inhalt ihres Lieblingsbuchs gewesen, sie hatte es Jahrzehnte später in einem Antiquariat entdeckt und nachgekauft. Der kleine Tennisball hatte ein Gesicht, ein Smiley, wie es viele Jahre später hieß. Er hüpfte auf Dächer, schwamm auf Flüssen, versteckte sich im Gras und fuhr als blinder Eisenbahn-Passagier in fremde Städte. Seine Reisen lösten bei Bella Sehnsucht nach der Ferne aus. Und nun fühlte sie beim Gedanken an »Pong« wieder etwas Abenteuerliches in ihr.
Ein Tischtennis-Weltmeister, der in China wie ein Gott verehrt wurde und mit dem sie ein Interview geführt hatte, vertraute ihr in dem Gespräch an, dass er als Kind Pingpong üben musste. Stundenlang Pingpong, jeden Tag. Er wurde dazu gezwungen. Mit seelischer und körperlicher Gewalt. Diese Passage strich sie aus dem Originaltext, aus Rücksicht auf den Vater, der damals noch gelebt hatte. Der Spitzensportler war ihr dafür sehr dankbar gewesen. Obwohl sie dafür bezahlt wurde, das zu veröffentlichen, was sie erfuhr, war es manchmal richtig, Dinge nicht zu schreiben. Isabella hatte den Tischtennis-Spieler schließlich gefragt, ob das Leben ein Pingpong-Spiel sei. Seine Antwort: »Ich weiß nur, dass Pingpong mein Leben ist.«
Dieses Gefühl hatte Isabella auch. Pingpong war jetzt zumindest Teil ihres Lebens. Sie freute sich über jeden Ball, jede Nachricht, jedes neue Detail, das sie über Regner erfuhr, und empfand es stets aufs Neue als großes Geschenk. Die kleinen Missverständnisse, ihre Zahlenspiele, das Atmosphärische, das zwischen den Zeilen spürbar wurde, zu erleben – auch für sie »das erste Mal« – war ein schönes, nie gekanntes Gefühl. Es gab ihrem Leben das gewisse Etwas, aber eigentlich das gewisse Alles.
Es flößte ihr aber auch Angst ein. Jedes Spiel endete einmal. Konnten sie es dann zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufnehmen? Ein zweites Mal so leicht und fröhlich drauflosspielen? Wurde es irgendwann langweilig? Verlor es seinen Charme? Blieb einer von ihnen nach dem letzten Ping zurück und wartete vergeblich auf das Pong? Sie wollte sich das gar nicht vorstellen.
Außerdem hatte sie an diesem Freitag noch ein Rendezvous mit dem ranghöchsten Politiker des Landes. Die Journalistin Isabella Mahler wurde in dessen Amtssitz, der Hofburg, erwartet, durfte über den roten Teppich des Leopoldinischen Traktes schreiten. Im ehemaligen Schlafgemach von Kaiserin Maria Theresia würde sich die legendäre Tapetentür öffnen, der Bundespräsident heraustreten und sie freundlich empfangen. Das Zeremoniell war ihr bereits vertraut, der Mensch hinter dem Amtsträger ebenso. Sie hatte den Präsidenten schon interviewt, als er noch barfuß an seinem Froschteich im Südburgenland saß – als Bundessprecher der »Grünen«.
Auch seinem Vorgänger in der Hofburg war Isabella Mahler oft gegenübergesessen. In dessen Sommersitz auf der Hohen Wand, einem beliebten Wiener Ausflugsziel, blickten sie an einem Augustmorgen auf die Berge, das Gespräch hatte durch das private Ambiente eine sehr persönliche Note angenommen. Der Ort, an dem ein Interview stattfindet, beeinflusst nicht nur die Atmosphäre, er bestimmt oft auch den Inhalt wesentlich mit.
Isabellas Söhne waren damals noch im Volksschulalter, weshalb sie im Sommer, wenn keine Schule war, zu ihrer Interviewserie »Politiker im Urlaub« oft mit einem von ihnen anreiste. Ihr Herausgeber hatte nichts dagegen, »wir sind eine Familie«, sagte er oft, und deshalb war es selbstverständlich, dass man seine Kinder in die Arbeit mitnehmen konnte, oder, wenn die Interviewpartner einverstanden waren, zu den Terminen. Die Anwesenheit eines Kindes lockerte die Stimmung von Beginn an auf. Wie es auch die Anwesenheit von Katzen oder Hunden vermag. Und es kam dabei immer zu lustigen Situationen.
Als der Bundespräsident Isabellas Sohn ganz stolz sein damals neuestes Nokia-Handy mit Foto-Funktion zeigte, zog der Kleine sein Telefon aus der Hosentasche und sagte: »Cool! Aber mein Handy kann filmen!«
Irgendwie kamen sie an jenem Vormittag auf Ameisen zu sprechen. Der Bundespräsident zeigte Isabella und ihrem Sohn seinen Ameisenhaufen, er bewunderte diese Tiere über alles. Ihre Geschäftigkeit, ihre Gabe, immer auf dem kürzesten Weg ans Ziel zu kommen, ihre dezentrale Organisationsform, die Schwarmintelligenz. »Ein Mensch ist intelligent, aber niemand ist so dumm wie alle Menschen zusammen« – diese Regel galt nicht für Ameisen. Außerdem, erklärte der Präsident, könne man durch das Verhalten dieser Tiere das Wetter voraussagen. »Im Moment laufen sie emsig und nervös herum, das heißt, es könnte heute noch regnen.«
»Ich habe zuhause drei Meerschweinchen«, sagte Isabellas Sohn, der aufmerksam zugehört hatte, schließlich.
»Da kannst du vielleicht ein bisschen Heu brauchen«, meinte der Präsident und ging mit dem Kind in einen Schuppen. Dort stopften sie gemeinsam Heu in einen Jutesack.
»Und was mach ich dann mit dem Sack?«, fragte das Kind. »Den bringst du mir in die Hofburg«, lachte der Präsident und so war es auch.
Auf gemeinsame Erinnerungen aufbauen zu können war jedenfalls eine optimale Voraussetzung für das Gelingen eines Gesprächs. Die vertrauensvolle Atmosphäre war bereits da, Isabella musste sich darum gar nicht mehr bemühen. Das war auch bei ihrem Feiertagsinterview ein großer Startvorteil gewesen.
Als sie eineinhalb Stunden später die Hofburg verließ und in der Ferne das weihnachtlich geschmückte Burgtheater und Rathaus sah, war sie dankbar und auch ein bisschen stolz. Sie konnte jetzt die Früchte jahrzehntelanger Arbeit ernten. All die Anstrengungen, das Festhalten an Prinzipien, das Ringen um Qualität, die eiserne Disziplin hatten sich bezahlt gemacht.
Sing us a song, you’re the piano man.
Sing us a song tonight.
Wie sie dieses Lied von Billy Joel liebte. Isabella hatte die AirPods angesteckt und bewegte sich zu den Takten der Musik Richtung Burgring. Dort stieg sie in die Straßenbahn, Linie eins, Richtung Prater Hauptallee.
Well, we’re all in the mood for a melody.
And you’ve got us feeling alright.
Es war 16 Uhr, als sie in der Löwengasse ausstieg und ihre Wohnung betrat. Ihre Söhne waren gekommen, sie hatten Freunde mitgebracht, tranken Bier und schmückten die Nordmanntanne mit Kugeln, Strohsternen, Engeln und Lichterketten. »Hey Mum!«, riefen die großen Kinder und schlossen Mama in ihre Arme. Es gab nichts Schöneres als eine feste Umarmung ihrer Söhne, den zwei wichtigsten Wesen in Isabellas Kosmos.
Sie musste, nein, sie wollte auch noch die Kolumne für den 24. Dezember schreiben, den Text würde sie von zuhause aus durchgeben. Es war ein großes Privileg, dass sie überall schreiben konnte. Im Büro, zuhause, im Zug, im Flugzeug oder im Park. Alles, was sie dafür brauchte, war ein Notebook und ein WLAN, notfalls genügten aber auch Bleistift und Notizblock. Sollte es tatsächlich einmal keine Internetverbindung geben, konnte man einen Text auch im 21. Jahrhundert immer noch telefonisch durchgeben.
Alles andere war in ihrem Kopf. Die Ideen und Zugänge. Die Gabe, sich in neue Problematiken, Situationen und Menschen hineinzuversetzen. Empfinden und nachempfinden.
Schließlich führte sie die Politik, die Kinder und den Heiligen Abend in Gedanken zueinander und schrieb: »Wenn die Kinder wie Zugvögel aus allen Himmelsrichtungen nach Hause fliegen, dann ist Heiliger Abend. Zuhause ist dort, wo die Menschen und Tiere sind, die man liebt. Zuhause ist Wärme und Nähe. Wie kalt sich elektronische Schneeflocken und Küsse dagegen anfühlen.«
Dachte sie auch beim Schreiben schon an ihn?
»Stille Nacht. Da schweigt die Politik, da versammeln sich auch der Bundespräsident, die Parteichefinnen und -chefs«, da würde sie wieder viele Leserbriefe von erbosten Gender-Gegnern bekommen, »die Funktionäre und Abgeordneten mit ihren Familien unter dem Christbaum.«
Sie überlegte, wie Regner, der sich vom Antikapitalismus angesprochen fühlte, wohl Weihnachten feiern würde. Sicher nicht im katholischen Sinn.
»Wie gut es tut, leisezutreten nach diesem schrillen, lauten Jahr, die kostbaren Momente der Stille zu finden. Vor allem den Kindern tut das gut. Rituale und Traditionen rund um das Weihnachtsfest geben kleinen und großen Kindern ein lebenslanges Gefühl von Geborgenheit. Die große, chaotische Welt kommt in Ordnung.«
Isabella genoss den Flow, den der ungarische Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi als Zustand definierte, in dem Menschen voll in ihrer Aufgabe aufgehen, Raum und Zeit vergessen und nur noch tun. So fühlte sie sich, wenn sie schrieb. Im Flow formulierte sie die Pointe.
»Denkt in der Politik eigentlich irgendwer an die Kinder, Familien und Freunde der Politikerinnen und Politiker? Daran, dass mediale Hinrichtungen, Dauerbeschuss und Häme, Angriffe und Spott, Kritik, und sei sie noch so notwendig und berechtigt, immer auch die Menschen im nahen Umfeld treffen und verletzen können? Deshalb, nicht nur am Heiligen Abend: Egal, was Politiker sagen, tun wollen oder wirklich tun, welche Fehler sie machen, beim Urteil sollte immer auch an die Kinder gedacht werden. In diesem Sinne, Ihnen allen Frohe Weihnachten!«