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»Meine Nerven möchte ich haben«, seufzte Isabella und strich sich eine goldblonde Strähne aus dem Gesicht. Eine Stunde vor der Deadline um 19.30 Uhr haderte sie noch immer mit dem Einstieg in ihre Kolumne. »Die ersten Worte sind entscheidend«, hörte sie ihre Lehrmeisterin Nana Paulischek sagen, »mit denen fängst du deine Leser wie mit einem Lasso. Sind sie überraschend, witzig oder berührend, dann folgen sie dir.«

Ein Foto auf Isabella Mahlers Schreibtisch, goldgerahmt, und ein Aschenbecher aus dem Café de Flore in Paris St. Germain erinnerten an die legendäre Journalistin. »Wenn ich einmal nicht mehr schreibe, bin ich tot«, stand in einem von Nanas letzten Mails aus dem Wiener Allgemeinen Krankenhaus. Zwei Tage, nachdem sie ihre letzte Kolumne übermittelt hatte, starb sie an Lungenkrebs.

Nur Nana hatte hier im sechsten Stock des Media Quarter Vienna rauchen dürfen. Einmal fiel in der brütenden Julihitze die Klimaanlage für zwei Tageszeitungen und einen privaten Fernsehsender aus, weil sich Nana eine Marlboro Rot nach der anderen angezündet hatte und Isabella das Fenster aufreißen musste, um nach Luft zu schnappen. »Mon dieu«, murmelte Nana, sie hatte ihren Wohnsitz an die Seine verlegt und erwies der Redaktion nur noch selten die Ehre des persönlichen Erscheinens, »darf man hier eigentlich gar nichts mehr?«

Isabella hatte ihre letzte Zigarette ausgedämpft, nachdem ein Schwangerschaftstest sich clearblue verfärbt hatte. Das war jetzt auch schon ein Vierteljahrhundert her.

Zehn Jahre nach Nanas Tod war diese Frau in Isabellas Leben noch immer präsent. Ihre Liebe zur Sprache, der mädchenhafte Trotz, ihr herber Charme. »Wem gilt deine Sehnsucht?«, wollte sie von Isabella einmal ganz unvermittelt wissen. Sie fragte nie etwas ohne Grund. »Eigentlich niemandem mehr«, hatte Isabella wahrheitsgetreu geantwortet.

Sie war glücklich ohne Partner. Stolz auf zwei fantastische Söhne, der Kindesvater war ihr irgendwann abhandengekommen. Ein späterer Prinz taugte nicht. Sie vermisste nichts. Und außerdem, wann hätte sie bitteschön Zeit für Rendezvous und Romantik oder, Gott behüte, mehr als das?

In ihrem Kopf begannen sich die einzelnen Gedanken langsam dem Hauptstrang zuzuordnen. Ihr Blick fiel auf das Zitat, das wie eine Mahnung an der Tür zu ihrem Büro klebte. »Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige« – Voltaire.

Dann war sie so weit.

»Wer schon bisher wenig Hoffnung in den Ibiza-Untersuchungsausschuss gesetzt hatte, dessen Erwartungen wurden diese Woche noch untertroffen«, tippte sie in ihren Computer, Calibri, 12 Punkt, 1400 Anschläge inklusive Leerzeichen. Mehr als einen Gedanken zu Ende spinnen konnte man da nicht. Aber das in allen Farben und Facetten. Sie spürte die Wut der Fernsehzuschauer, die am Abend zuvor ein unverschämter Ministerauftritt ausgelöst hatte und sie kleidete diese Wut über die Ignoranz gegenüber dem demokratischen Instrument eines U-Ausschusses in Worte.

Für dein Publikum schreiben, nicht für die asozialen Netzwerke. Auch so ein Stehsatz von Nana. In alle Richtungen denken, nicht nur in die eine, vermeintlich richtige. Oberstes journalistisches Prinzip. Schreiben war immer Lust und Qual zugleich. Isabella ging darin vollkommen auf. Meistens jedenfalls.

Dann flossen die Gedanken, die Worte folgten einem inneren Takt. Mit dem letzten Satz ließ sich Isabella wie immer besonders viel Zeit. Nichts fand sie ärgerlicher als Texte, die am Schluss einfach ausrannen, abrupt endeten, das Publikum enttäuscht zurückließen.

»Das Geschwafel war einfach unerträglich«, brachte sie die Story schließlich auf den Punkt.

Sie ließ den Fluss der Worte noch einmal auf sich wirken, den Bogen zwischen Anfang und Ende, machte die Klammer fest, die alles zusammenhielt, und fühlte den Rhythmus. Gute Texte sind wie Musik, sie spielen dir beim Lesen eine Melodie vor.

Die Wanduhr zeigte 19.15 Uhr. Sie wartete bis 19.19 Uhr, Isabella hatte ein Faible für schöne Zahlen, und stufte die Kolumne elf Minuten vor der Abgabefrist auf Korrektur.

Dann packte sie den Stoß Zeitungen und Magazine, die sie noch lesen wollte an diesem 28. November, und die Mappe mit den Briefings für ihr nächstes Interview in ihre leicht strapazierte, roséfarbene Tasche und stieg in den Lift.

Herzschweißen

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