Читать книгу Kamasutra reloaded - Cora Schmidt - Страница 6
§ 3. Die Darlegung des Wissens.
ОглавлениеDer Mann soll das Lehrbuch der Liebe und dessen Nebenzweige studieren, ohne die richtigen Zeitpunkte für die Wissenschaften des Dharma und Artha, sowie deren Nebenzweige zu verpassen.
Die Frau vor der Jugendzeit, und, wenn hingegeben, nach der Meinung des Gatten. - Da die Frauen ein Lehrbuch nicht erfassen können, ist auch der Unterricht der Frauen in diesem Lehrbuche hier unnütz, sagen die Lehrer.
Starker Tobak, aber die Einschätzung, dass Frauen sowieso zum Lesen zu blöd sind, wird später wenigstens noch im Bezug auf die Hetären relativiert. Doch man sollte dem Verfasser zugestehen, dass er natürlich nur in dem Maße formulieren konnte, wie es seine Umgebung und Philosophie ihm vorgab, und das patriarchische System betrachtet Frauen der jeweiligen Kaste als unterwürfig. Aber es kommen noch 'bessere' Sprüche als das.
Immerhin fügt er an, dass es nicht seine Meinung, sondern die der Lehrer ist. Und dass es Vātsyāyana die Schamesröte ins Gesicht getrieben hat, so etwas zu behaupten, korrigiert er daraufhin, ohne die Aussage zu revidieren:
Aber die Praxis können sie erfassen; die Praxis aber beruht auf dem Lehrbuche. - So lehrt Vātsyāyana.
Das geschieht nicht nur hier: denn überall in der Welt gibt es nur wenige, die das Lehrbuch kennen; die Praxis aber gehört allen Menschen.
Nicht jeder konnte lesen und sich noch weniger Manuskripte leisten oder sich ihnen in Bibliotheken widmen, aber wie es mit dem Kama geht, wissen ja praktisch alle von den Tieren (§2).
Auch ist für die Praxis selbst ein fernstehendes Lehrbuch noch die Ursache.
Es gibt Grammatik: dabei wenden die Kenner des Opfers, die doch keine Grammatiker sind, bei den Opferhandlungen den ūha an.
Es gibt Astrologie: und doch vollbringen an den geeigneten Tagen (auch Nichtastrologen) ihre Werke.
Ebenso verstehen Rosse- und Elefantenlenker, die doch die Lehrbücher darüber nicht studiert haben, mit Pferden und Elefanten umzugehen.
Ebenso gibt es Könige: aber selbst weit entfernte Völker überschreiten die Schranken nicht: das ist ebenso.
Das erinnert an eingespielte Straßeninterviews in Nachrichtensendungen: damit wir erfahren, dass die ganz normalen Leute auch eine Meinung zu den Themen des Tages haben.
Es gibt freilich auch Frauen, deren Geist von dem Lehrbuche getroffen wird: die gaṇikā(-Hetären), die Töchter von Königen und die Töchter von hohen Beamten.
Von einer solchen Vertrauensperson lerne die Frau heimlich die Praxis, das Lehrbuch oder nur einen Teil.
Man gestatte zumindest diesen ausgewählten Frauen, an dem dritten Lebensziel zu kosten. Gaṇikā werden als besondere Hetären später noch in diesem und weiteren Paragraphen behandelt.
Als Mädchen lerne sie die zu den vierundsechzig Künsten in Beziehung stehenden und wiederholt anzuwendenden Werke in der Einsamkeit und allein.
Langsam wird’s knackig. Die 64 Künste kommen übrigens gleich. Hier erhalten die Mädchen erstmal einen Freibrief zur Erforschung ihrer eigenen Lust, von Selbstbefriedigung - aber nur im stillen Kämmerlein - ist aber noch keine Rede.
Die Lehrer aber der Mädchen sind: die zusammen aufgewachsene Milchschwester, die sich bereits mit einem Manne fleischlich vermischt hat; oder eine ebensolche Freundin, mit der man gefahrlos reden kann und eine gleichaltrige Tante; an deren Stelle eine vertraute alte Dienerin oder eine von früher her bekannte Bettelnonne und eine Schwester, wenn man ihr trauen kann.
Wie freundlich den Mädchen, die das Buch ja selbst gar nicht lesen können, mitzuteilen, wie sie erfragen dürfen, was das Kāma betrifft.
Gesang, Instrumentalmusik, Tanz, Zeichnen, das Einritzen von Zeichen, Verfertigen mannigfacher Linien aus Reis und Blumen, (kunstgerechtes) Blumenstreuen, Zähne und Gewänder zu färben, Auslegen des Bodens mit Juwelen, Herstellung des Lagers, Wassermusik, das Schlagen mit Wasser, wunderbare Kniffe, die verschiedenen Arten Kränze zu winden, die Anordnung von Diademen und Kronen, Toilettenkünste, die verschiedenen Arten die Ohren zu schmücken, das Mischen von Wohlgerüchen, das Anlegen von Schmucksachen, Zauberei, die Kniffe des Kucumāra, Geschicklichkeit der Hände, die Verfertigung der verschiedenen Arten von Gemüse, Brühen und Speisen, die Herstellung von Getränken, Fruchtsäften, Würzen und Likören, die Arbeiten des Webens mit der Nadel, das Fadenspiel, das Musizieren auf der Laute und der Trommel, Rätselspiel, Versespiel, das Hersagen schwerer Worte, das Vorlesen von Büchern, Kenntnis des Schauspieles und der kleinen Erzählungen, Ergänzung eines gegebenen Verses eines Gedichtes, die verschiedenen Arten, Zeug und Rohr zu flechten, Drechslerarbeiten, Behauen, Baukunst, Prüfen von Silber und Edelsteinen, Metallurgie, Kenntnis des Färbens und der Herkunft der Juwelen, Anwendung der Lehre von der Pflege der Bäume, Einrichtung der Kämpfe von Widdern, Hähnen und Wachteln, Sprechenlehren der Papageien und Predigerskrähen, Erfahrung im Frottieren, Massieren und Frisieren des Haares, das Erzählen vermittelst der Fingersprache, die verschiedenen Arten verabredeter Sprachen, Kenntnis der Dialekte, die Kunst der Blumenwagen, Kenntnis der Vorzeichen, Alphabet der Diagramme, Kenntnis des Abc der Gedächtniskunst, Zusammendeklamieren, Geistspiel, Anfertigung von Gedichten, Kenntnis des Lexikons, Kenntnis der Metrik, Kenntnis der literarischen Arbeit, Vortrag von Liedern unter Gestikulationen, das Verstecken in Kleidern, die verschiedenen Glücksspiele, das Würfelspiel, die Spiele der Kinder, und die Kenntnis der Wissenschaft des guten Tones, der Strategie und der körperlichen Übungen: das sind die vierundsechzig einzelnen Nebenzweige des Lehrbuches der Liebe.
Toll, oder? Es ist beruhigend zu wissen, dass das Schminken und Frisieren, Gedichteschreiben, Kenntnis der Dialekte, Musizieren, Metallurgie (wohl eher, um zu erkennen, ob Schmuck echt ist) und Blumenstreuen schon vor 60 Generationen zu den Künsten gehörte, mit denen Männer verführt werden. Und an 'Liebe geht durch den Magen' hat sich auch nichts geändert. Dass ein gutes Gedächtnis, Gestikulieren und Veranstalten von Tierkämpfen auch dazu gehört, ist heute wohl eher als exotische Nebenerscheinung zu sehen.
Die Vierundsechzig nach Pāñcāla sind anders. Deren Anwendungen werden wir in dem Abschnitte über den Liebesgenuß besprechen, indem wir ihnen nachgehen; denn die Liebe besteht ihrem Wesen nach aus ihnen.
Wir sind schon sehr gespannt.
Eine Hetäre, die sich durch diese auszeichnet und mit Charakter, Schönheit und Vorzügen begabt ist, bekommt den Titel gaṇikā und eine hohe Stellung im Kreise der Leute.
Geehrt ist sie stets bei dem Könige und bei den Trefflichen gepriesen; begehrenswert ist sie, des Besuchens würdig und ein Vorbild.
Der Berufsstand der Hetären war schon erwähnt. Es erschließt sich daraus, dass eine gut ausgebildete Konkubine ein hohes Ansehen genoss. Die beschriebenen freiberuflich Tätigen in Indien waren mit Kurtisanen vergleichbar und hatten nicht das Image, wie es Prostituierte pauschaliert heute haben. Vielleicht ist es besser verständlich, den Vergleich mit Geishas in Japan heranzuziehen. Die Maikos (Geisha-Schülerinnen) werden fünf Jahre lang in traditionellen Künsten ausgebildet, Zeremonien, Tanz, Gesang, Instrumente - wie bei den 64 Künsten. Gaṇikās waren meist an der Seite von Königen (derer es viele gab, daher würde 'Fürsten' zu unserer Vorstellung Adeliger besser passen) in deren Harems.
Die Tochter eines Königs und ebenso eines hohen Beamten, die sich auf (jene) Praktiken versteht, macht den Gatten sich geneigt, auch wenn er tausend Frauen im Harem hat.
Hört, hört. Merket auf, liebe Frauen, macht euch die 64 Künste zueigen, um Erfüllung für euch und euren Gatten zu erlangen.
Ebenso kann eine Frau während der Trennung von dem Gatten und wenn sie in schweres Mißgeschick geraten ist, sogar im fremden Lande von (diesen) Wissenschaften bequem leben.
Ein Mann, der in den Künsten erfahren, gesprächig und Schmeichler ist, findet das Herz der Frauen schnell, auch wenn er nicht bekannt ist.
Wenn man fremd ist, öffnen sich einem damit also Tür und Tor.
Infolge der Erlernung der Künste eben entsteht das Glück; je nach Ort und Zeit aber soll ihre Anwendung stattfinden oder nicht.
Aufdrängen soll man sich deshalb aber nicht.