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2. Teil - Über den Liebesgenuss § 6. Darstellung des Liebesgenusses nach Maß, Zeit und Temperament.

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Die verschiedenen Arten der Liebhaber sind mit Rücksicht auf das Geschlechtsglied: Hase, Stier, Hengst; die der Liebhaberinnen dagegen Gazelle, Stute, Elefantenkuh.

Das Maß hätten wir schon mal; jedem obliegt für sich selbst, das Zutreffende zu wählen. Auch wenn wir die Metapher insbesondere für Frauen befremdlich finden, diese Tiere waren hoch angesehen.

Hierbei gibt es, bei entsprechender Vereinigung, drei gleiche Liebesgenüsse.

Infolge von Vertauschung ergeben sich sechs ungleiche Liebesgenüsse. Wenn bei den ungleichen der Mann der stärkere ist, gibt es bei der engen Vereinigung zwei hohe Liebesgenüsse, bei der weiten einen höheren. Ist es aber umgekehrt, dann gibt es zwei niedrige Liebesgenüsse und bei der weiten einen niedrigeren.

Unter diesen sind die gleichen die besten, die zwei durch den Komparativ bezeichneten die schlechtesten, die übrigen die mäßig guten. Auch bei Gewöhnlichkeit ist der mit ›hoch‹ bezeichnete (Liebesgenuß) vorzüglicher als der mit ›niedrig‹ bezeichnete.

Alles klar? Da ist ja ein Mathebuch einfacher. Mit 'enge Vereinigung' ist die nächstgrößere/-kleinere Tierart gemeint, mit 'weit' die entferntere. So eine Tabelle kannte man damals nicht:

LiebesgenussHaseStierHengst
Gazellegleich/hochmäßig/hochschlecht/höher
Stutemäßig/niedriggleich/hochmäßig/hoch
Elefantenkuhschlecht/niedrigermäßig/niedriggleich/hoch

– Das sind die neun Liebesgenüsse, mit Rücksicht auf die Maße.

Wer zur Zeit der geschlechtlichen Vereinigung gleichgültige Liebe und schwache Kraft besitzt und Schläge nicht verträgt, der besitzt geringes Feuer.

Im Gegensatz dazu stehen die Mittleren und die Feurigen; ebenso ist es bei der Liebhaberin.

Auch hierbei gibt es neun Liebesgenüsse, ganz wie (bei der Betrachtung) nach den Maßen.

Interessant ist das für das spätere Zusammenzählen der Anzahl an Vereinigungen. Wer also nicht gut drauf ist, sollte sich 'feurige' Stellungen (er)sparen.

Ebenso ergeben sich, mit Rücksicht auf die Zeit, drei Arien Liebhaber: schnelle, mittlere und langsame.

Hier ist ein Streit über die Frau.

Auddālaki: Die Frau gelangt nicht in den Zustand wie der Mann.

Fortwährend aber wird von dem Manne ihre Geilheit gestillt.

Das kommt später noch mal.

Sie erzeugt, wenn sie von der Wonne des Selbstbewußtseins begleitet ist, einen ganz besonderen Genuß. Dabei hat sie Erkenntnis der Wonne. Da nun die Erkenntnis des Mannes das nicht erfassen kann, da er nicht fragen kann: »Worin besteht deine Wollust?« – wie wird das dann also ergründet?

Immerhin dürfen wir feststellen, dass man darüber hinaus gelangt ist, tatsächlich kann der Mann die Frau heute fragen, was sie anmacht.

Nun, wenn der Mann nämlich die Liebeslust genossen hat, hört er nach Belieben auf, ohne auf die Frau Rücksicht zu nehmen; die Frau aber macht es nicht so, sagt Auddālaki.

Hier kann jemand einwenden: »Bei einem Liebhaber von mattem Temperamente haben die Frauen Genuß, bei einem feurigen erlangen sie den Zustand der Wollust nicht und sind unwillig, wenn er auf hört: das alles ist das Kennzeichen der Erlangung oder Nichterlangung jenes Zustandes.«

Was jemand so alles einwenden kann … Das bezieht sich eher auf die Zeit als auf das Temperament - wie wir im Verlauf feststellen werden.

Es ist nicht an dem! Auch die Befriedigung der Geilheit nämlich ist willkommen, wenn sie lange Zeit gebraucht. Das ist ganz natürlich.

Mit 'sie' ist die Geilheit gemeint, nicht die Frau. Also horchet auf, Weibsvolk. Wenn euer Kerl zu früh schlapp macht, macht es euch selbst.

Darum ist das, bei der Zweifelhaftigkeit, kein Merkmal.

In der geschlechtlichen Vereinigung wird von dem Manne die Geilheit der Frau vertrieben; und das nennt man, wenn es mit Selbstbewußtsein gepaart ist, Wonne.

Beständig, von Anfang an, empfindet die Frau jenen Zustand, der Mann wiederum nur am Ende. Das ist durchaus natürlich. Denn gerade bei der Erlangung des Zustandes findet die Empfängnis statt. So lehrt die Schule des Bābhravya.

Also wusste schon Bābhravya, dass beim Orgasmus die Empfängniswahrscheinlichkeit steigt - es gilt zu bedenken, dass der Koitus mit der gleichgesinnten Frau der richtigen Kaste dem Zwecke der Zeugung eines Stammhalters dient.

Auch hierbei sind jene beiden wieder keine Zweifelbeseitiger.

Hier könnte einer einwenden: Wenn ununterbrochen die Erlangung der Liebeslust stattfindet, so ist es (nicht) in der Ordnung, wenn zur Zeit des Beginnes Gleichgültigkeit und die Unmöglichkeit des Aushaltens, im weiteren Verlaufe außerordentliche Leidenschaft und Mißachtung gegenüber dem Leibe und am Ende das Verlangen nach Aufhören vorhanden ist.

Was die Leute im alten Indien wohl sonst so getrieben haben, wenn sie aus Langeweile Sex hatten. Es kommt aber noch besser mit einem nahezu fantastischen Vergleich:

Es ist nicht an dem! Wenn auch bei der Töpferscheibe oder dem Brummkreisel die Zurüstung des Drehens eine gleichartige ist, so ist es doch ganz richtig, daß sie, in der Drehung begriffen, zu Anfang nur eine mäßige Geschwindigkeit zeigen und dann (erst) im weiteren Verlaufe den Höhepunkt der Schnelligkeit erreichen. Das Verlangen nach dem Aufhören entsteht infolge Mangels an Stoff. – So ist das also kein (stichhaltiger) Einwand.

Am Ende des Liebesgenusses empfinden die Männer Wollust, die Frauen aber ununterbrochen; und das Verlangen aufzuhören entsteht wegen des Mangels an Stoff.

Die Ejakulation ist der Höhepunkt beim Mann, danach ist nichts mehr zu machen. Schade, aber die Frau ist ja unentwegt geil und empfängt den Mann begeistert - ja, so wollten das die Brahmanen jeder Zeit.

Darum also muß man wie bei dem Manne, so auch bei der Frau das Kundwerden des Wollustgenusses ansehen.

Vielleicht ein verklärter Gesichtsausdruck? Setzt voraus, dass sich die Liebespartner dabei ansehen.

Denn wie könnte wohl bei Gleichheit der Art und wenn beide ein und dasselbe Ziel anstreben Verschiedenheit des Ergebnisses eintreten? (Vielleicht) infolge der Verschiedenheit der Mittel und der Verschiedenheit des Bewußtseins.

Ein Unding, er kommt und sie guckt in die Röhre …

Woher aber die Verschiedenheit der Mittel? Von Natur! Denn der Mann ist der aktive, die Frau der passive Teil. Der aktive Teil nämlich vollbringt eine andere Tat als das Objekt. Darum findet auch infolge der Verschiedenheit der Mittel von Natur eine Verschiedenheit des Bewußtseins statt: Der Mann empfindet Befriedigung, indem er denkt: »Ich will ganz auf sie bedacht sein«; die Frau, indem sie denkt: »Ich bin von ihm ganz erfaßt«. – So lehrt Vātsyāyana.

Ja, das mit der weiblichen Hörigkeit hatten wir schon, aber gut, dass Vātsyāyana das nun als seine eigene Erkenntnis ausgibt.

Hier könnte einer einwenden: »Warum soll es nicht eine Verschiedenheit des Resultates geben, wie es eine Verschiedenheit der Mittel gibt?« – Dem ist nicht so! Die Verschiedenheit der Mittel ist wohlbegründet: wegen der Verschiedenheit der Merkmale des aktiven und passiven Teiles; eine nicht begründete Verschiedenheit des Resultates aber wäre unangemessen, da kein Unterschied in der Art besteht.

Was macht der Hase in der Elefantenkuh? Das kann ja nichts geben. Wie gut, dass Vātsyāyana sagt: es geht schon, solange beide wissen, was sie tun.

Hier könnte einer einwenden: »Durch Vereinigung wird von dem Handelnden eine Sache vollendet: dagegen vollbringen jene beiden einzeln jeder seine Sache: (daher) ist das unrichtig!«

Das kennen wir nur zu gut. Jeder macht sein Ding, aber dank Vātsyāyana gibt es ein Happy End:

Dem ist nicht so! Man sieht auch, daß zu gleicher Zeit mehrere Dinge vollbracht werden: z. B. bei dem Anprall zweier Widder; dem Aneinanderwerfen zweier Holzäpfel; bei dem Kampfe zweier Ringer. Da ist kein Unterschied der Handelnden? Allerdings, aber hier ist auch kein Unterschied des realen Inhaltes! Oben heiß es: die Verschiedenheit der Mittel kommt von Natur: darum also erlangen alle beide ähnliche Wonne.

Da kein Unterschied der Gattung besteht, werden die beiden Gatten eine ähnliche Wonne empfinden; darum ist die Frau so zu bedienen, daß sie die Wollust zuerst erlangt.

Na, endlich mal etwas Nachvollziehbares. Wenn die Frau eigentlich später kommt, muss der Mann länger durchhalten, bis sie soweit ist. Das war damals gewiss schwieriger als heute, wenn sie nicht sagen durfte: 'ich komme gleich … ich bin kurz davor' um noch eine halbe Stunde zu brauchen.

Da die Ähnlichkeit bewiesen ist, so ergeben sich wie bei den Maßen auch rücksichtlich der Zeit neun Liebesgenüsse.

Genuß, Wollust, Liebe, Zuneigung, Leidenschaft, Aufregung und Vollendung sind die Synonyma von Wollust, Geschlechtliche Vereinigung, Koitus, Geheimnis, Beischlaf und Betäubung sind die Synonyma von Koitus.

Eine wirklich nützliche Zusammenfassung der Begriffe. Hier hätte man jetzt ein zwinkerndes Smilie für die Ironie setzen können. Wichtig ist aber, dass Vātsyāyana an dieser Stelle vorgreift, dass entgegen jeder Kritik alle Kombinationen von 'Größe' (wir erinnern uns, der Tiervergleich) zusammen funktionieren.

Da die nach Maß, Zeit und Zustand (Temperament) sich ergeben den geschlechtlichen Vereinigungen jede einzelne neunfach sind, so kann man bei einer Mischung derselben die Zahl der Liebesgenüsse nicht angeben, da sie außerordentlich groß ist.


Der Kommentar des Yaśodhara zählt an dieser Stelle zusammen - von wegen 'kann man nicht angeben' - matt, mäßig feurig und feurig, kombiniert mit schnell, mäßig schnell und langsam jeweils in drei Ausführungen (rein und vermischt: Gazelle, Stute oder Elefantenkuh) macht erstmal 27, aber der Gegenpart obliegt ja auch diesen Prinzipien, also 27 x 9 ergibt 243 'Liebesgenüsse'. Das Ganze nun wieder mal Drei, denn es gibt ja Hasen, Stiere und Hengste - so kommen wir auf die ominöse Zahl 729, die beim Überfliegen der mittelalterlichen Kommentare - anstatt zu lesen - als Anzahl der Stellungen fehlinterpretiert wird. Aber jetzt ging es nur um Maß, Zeit und Zustand, die Stellungen kommen erst noch.

Bei diesen wende man die Liebesbezeugungen nach Gutdünken an, lehrt Vātsyāyana.

Beim ersten Koitus zeigt der Mann feuriges Ungestüm und Schnelligkeit; das Umgekehrte bei den späteren; bei der Frau hinwiederum ist es gerade umgekehrt. Bis zur Erschöpfung des Stoffes. Vor der Erschöpfung des Stoffes der Frau tritt nach der gewöhnlichen Redeweise die des Mannes ein.

Die Frauen erlangen infolge ihrer Zartheit von Natur oder auch infolge der Reibung schnell Befriedigung. So lehren die Meister.

Der Satz 'so lehren die Meister' ist super - Frauen sind von Natur aus zart und Männer rammeln sich beim ersten Mal die Seele aus dem Leib ...

So weit nur ist die Lehre vom Liebesgenuß für die Geschickten angedeutet worden. Für die Belehrung der Unerfahrenen wird nun eine ausführliche Darstellung vorgetragen werden.

Kamasutra reloaded

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