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Prolog - Janus

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Krieg ist das absolut Böse. Das ist insbesondere hierzulande die einhellige Meinung. Was aber trieb Männer jahrtausendelang dazu, immer wieder und oft auch noch voller Begeisterung in den Krieg zu ziehen - und die Frauen, ihnen zu applaudieren? Die Menschen - das absolut Böse? Oder, auch nicht besser, eine Herde Verblendeter? Ausgebeuteter, Benutzter, hinters Licht Geführter?

Krieg ist keine Folge eines menschlichen Aggressionstriebes. Dazu hat er zu viel mit sozialen Institutionen zu tun. Krieg ist aber auch keine bloße kulturelle Erfindung - dazu ist er zu tief verwurzelt in der Menschheitsgeschichte. Vor allem aber: Das Gefährliche am Krieg ist nicht, dass er das absolut Böse wäre. Das Gefährliche ist seine Doppeldeutigkeit. Er weckt die Bestie - und das Beste im Mann. Er verbindet Altruismus und Opferungsbereitschaft: mit höchster Aggression. Er lässt die Liebe zu den einen in das Töten der anderen münden. Er ist Sakrament und Vernichtungswut in einem. Er ist die Bewegungsform des Patriarchats - und zugleich das Ergebnis eines uralten Geschlechtervertrags.

Wer Krieg verstehen will, muss die positiven Gefühle begreifen, die er erweckt - und die ihn antreiben. «Durch Gefühle bekommt der Krieg uns in die Klauen», sagt Barbara Ehrenreich. Und diese Gefühle reichen tief zurück in die Menschheitsgeschichte. Sie knüpfen an das an, was man das «Urtrauma» der Menschheit nennen könnte: nicht die Jäger, sondern die Gejagten, die Beute, zu sein. Krieg ist eine Re-Inszenierung dieser «Ur-Szene» und gewinnt an ihr seine Macht. Die ältesten Mythen der Menschheitsgeschichte erzählen nicht nur von den Heldentaten der Krieger, sondern auch vom Menschenopfer, mit dem das Raubtier beschwichtigt werden sollte. Dieses Menschenopfer ist der Kern, um den alle Weltreligionen kreisen. Und in diesem Kontext erhält auch der Krieg seine Heiligung.

Das erklärt, warum es im Krieg stets um mehr und um anderes ging als um die möglichst effiziente Vernichtung einer möglichst großen Masse von Menschen. Er ist auch rituelle Konfrontation, theatralisches Messen der Kräfte gewesen, ein Spiel, bei dem die eine Kultur auf Blutvergießen ganz verzichten konnte, während in der anderen das Blut in Strömen fließen musste. In Kulturen, in denen Krieg stark ritualisiert ist, lässt er sich tatsächlich als eine Art von Geschlechtervertrag lesen: Die Männer tragen Konflikte stellvertretend für alle aus, damit das Gewebe der Gesellschaft selbst nicht gestört oder zerstört wird. Das Maß für die Schrecklichkeit von Kriegen ist das unterschiedliche Ausmaß, in dem sie die Gesellschaft selbst erfassen. Von welchen Faktoren aber hängt es ab, ob Kriege mäßig sind oder entgrenzt, ja total?

Dieser Frage wird im folgenden in der Untersuchung unterschiedlicher Kriegskulturen nachgegangen - sozusagen vom Miozän bis zum Ersten Weltkrieg. Eine Geschichte des Krieges ist dabei nicht angestrebt, das wäre ein völlig unmögliches Unterfangen. Im Gang durch die Geschichte wird versucht, den Gefühlen nachzuspüren, die sich offenbar seit Urzeiten mit Krieg verbinden: Begeisterung, Altruismus, Gemeinschaftsgefühl, Opferbereitschaft. Es sind diese Gefühle, die Krieg gefährlich machen - in einem den Verstand überwältigenden Rausch. Kaum einer hat das besser ausgedrückt als Stefan Zweig in seiner Erinnerung an den Beginn des Ersten Weltkriegs: "So gewaltig, so plötzlich brach diese Sturzwelle über die Menschheit herein, dass sie, die Oberfläche überschäumend, die dunklen, die unbewussten Urtriebe und Instinkte des Menschtiers nach oben riss ( ... ) Vielleicht hatten auch diese dunklen Mächte ihren Teil an dem wilden Rausch, in dem alles gemischt war, Opferfreude und Alkohol, Abenteuerlust und reine Gläubigkeit, die alte Magie der Fahnen und der patriotischen Worte - diesem unheimlichen, in Worten kaum zu schildernden Rausch von Millionen, der für einen Augenblick dem größten Verbrechen unserer Zeit einen wilden und fast hinreißenden Schwung gab.» 1

Krieg appelliert an mächtige, tiefsitzende, archetypische Gefühlswelten. Das macht ihn schier unwiderstehlich. Zugleich aber bestand die «Kultur» des Krieges immer wieder in der Bändigung dieses Rausches. Die Männerkultur Krieg lenkt und kanalisiert Gewalt. Krieg ist die Geschichte der Entfesselung von Gewalt - und ihrer Mäßigung. Dieser «Paradoxie» des Krieges folgt das Buch von den Bürgersoldaten der Hoplitenphalanx des alten Griechenland über die Kriegereliten der mittelalterlichen Ritter bis zum ersten Medienkrieg, dem Dreißigjährigen Krieg. Es setzt sich mit den Kabinettskriegen der Zeit vor Napoleon auseinander, mit Clausewitz und den Folgen, mit den neuen Massenheeren, mit dem Ersten Weltkrieg. Es untersucht die unterschiedlichen Bewegungsformen des Männerbundes - und die Rolle, die die Frauen dabei spielen. Es untersucht die Bedeutung, die Krieg für Gemeinschaft und Gedächtnis hat. Es setzt sich mit den Gefahren einer «Moralisierung» des Krieges ebenso auseinander wie mit der Frage, ob Demokratien friedlicher sind.

«Handwerk des Krieges» ist der neueren Richtung der «Mentalitätsforschung» eher verbunden als der Militärgeschichte im strengen Sinn, in der es um Kriegsursachen, Strategie und Taktik und ums Kriegsergebnis geht. Dennoch wird in diesem Buch versucht, die Gefühlswelten mit den materiellen Voraussetzungen des Krieges in Verbindung zu setzen. Mäßigung gelingt nur dort, wo es handfestere Beweggründe dafür gibt als bloß ein Ideal.

Wird es immer Kriege geben? Vielleicht nicht. Muss Krieg geächtet werden? Besser nicht. Die Ächtung des Krieges sorgt höchstens dafür, dass er sich umso regelloser entwickelt.

Die Geschichte des Krieges zeigt, dass seine Zivilisierung immer wieder, wenn auch vielleicht nur für eine Generation, gelang. An diese Geschichte von Einhegung und Mäßigung knüpft sich eine viel bescheidenere, aber vielleicht realistischere Hoffnung als die auf das Ende jeden Kriegs: die Menschen haben sich auch für den schlimmsten aller Fälle ein Regelwerk erfunden, das sie nicht immer, aber immer wieder eingehalten haben. Wir können es uns nicht leisten, auf diese schwankenden Inseln des Humanen inmitten eines so unzivilen Geschehens wie Krieg zu verzichten.

Frankfurt, im Mai 1998

Das Handwerk des Krieges

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