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1 - Krieg und die Testosteronhypothese
ОглавлениеDer Menschenverstand wehrt sich dagegen, Krieg als unabänderliches Schicksal der Menschheit hinzunehmen, zumal wir seit dem Zweiten Weltkrieg zu wissen glauben, dass ein dritter uns alle vernichten wird. Wenn Krieg indes zu den Universalien gehört, die Menschen ganz unabhängig von ihrer je unterschiedlichen Kultur entwickeln, scheint es schlecht um die Hoffnung auf Frieden zu stehen - jedenfalls sofern sie sich auf die Vorstellung stützt, Krieg sei «Kultur»10, ja eine «Erfindung » (Margaret Mead).11 Was also, wenn unsere «primitiven» Vorfahren nicht friedfertig gewesen sind, wenn der Krieg nicht erst mit dem Patriarchat oder der westlichen Zivilisation in die Welt gelangt ist?
Was macht Krieg zu einem Phänomen, das allen menschlichen Kulturen gemein ist? Eine Antwort der vielen lautet: der Mann. Die «Testosteronhypothese» schließt aus der Tatsache, dass die meisten Kriege von Männern geführt werden, auf männliche Natur und männliche Triebausstattung als Ursache von Krieg. Eine scheinbar einfache Erklärung - aber tatsächlich spricht alles gegen die These, dass Krieg im biologischen Programm der männlichen Angehörigen unserer Spezies fest verankert sei, weshalb es bloß ein bisschen «Entmännlichung» oder gar «Entmännerung» brauche, um ihn aus der dann weiblich-friedlich gewordenen Welt zu verbannen.
Krieg war in der Menschheitsgeschichte stets eine überwiegend männliche Betätigung. Das aber ist den Männern nicht in die Wiege gelegt - man sehe ihn nur an, den Mann: er ist ganz offenkundig für den Krieg nicht gemacht. Unsere Vorfahren wirken im Vergleich zum Säbelzahntiger oder Mastodon erschreckend untauglich für die Aggression: sie haben weder mächtige Reißzähne noch Klauen, noch Hörner oder Geweih, also natürliche Waffen, mit denen sie Gegnern drohen können. Ausgerechnet dem Menschen, dem tödlichsten Raubtier, das die Welt kennt, sieht man dieses Talent nicht an. Auch ein gehöriger Triebschub würde daran wenig ändern: der individuelle Zornesausbruch wäre in der von Raubtieren besiedelten Savanne wahrscheinlich das letzte Lebenszeichen unseres Vorfahren gewesen.
Krieg hat mit den individuellen Voraussetzungen, die Männer dafür mitbringen, erstaunlich wenig zu tun. Er unterscheidet sich von individueller Gewalt durch seinen kollektiven Charakter - niemand zieht allein in den Krieg. Erst die organisierte Gewalt macht Menschen zu einer Bedrohung - es ist die Gruppe, der Männerbund, die eine Kraft erzeugt, die weit größer ist als die Summe dessen, was jeder einzeln zustande bringt.
Krieg ist ein kollektives Geschehen, mehr oder weniger durchdacht und kalkuliert, in dem Menschen, Material, Transport und Versorgung in ein organisiertes Verhältnis zueinander gebracht werden.12 Die Ausstattung, die Männer dafür mitbringen müssen, ist im Laufe der Jahrtausende unterschiedlich gewesen - mal war individueller Heldenmut erforderlich, mal besonderes Geschick im Umgang mit der Waffe, mal unendliche Duldsamkeit und Opferbereitschaft, mal kühles Kalkül. Mal brauchte Krieg den Haudegen, mal leidensfähiges «Menschenmaterial».13 Stets aber sind Aggression und berserkerhafte Wut eher der Störfall im Geschehen Krieg. Das Wüten des betrogenen AchilI gegen seinen geschlagenen Gegner Hektar erzürnte die Götter, widersprach also den kriegerischen Sitten und Gebräuchen auch schon in der Zeit, die durch Homer überliefert ist.14 Erst recht in der Phalanx zur Zeit der griechischen Polis bedeutete das heldenhafte Vorpreschen eines einzelnen aus dem Verband der vielen den Untergang aller - das war nicht der Beweis für Tapferkeit, sondern für Dummheit und Egoismus.15
Auch den fränkischen Rittern - eine Kriegerelite, in der Mut an oberster Stelle stand - sagt man zu Unrecht nach, sie seien nicht viel mehr als eine Horde disziplinloser Individualisten gewesen. Falsch: das Reiten im geschlossenen Verband verlangte gemeinsames Manövrieren, also Disziplin und Geschick anstelle blinder Emotion. In der ritterlichen Kultur waren «Krieg» und seine Formen vielmehr das probate Mittel, die in der Gesellschaft endemische Gewalt abzulenken, zu kanalisieren und in weniger schädliche Formen zu gießen.16 Auch das spricht nicht für die «natürliche» Verbindung zwischen männlicher «Aggression» und Krieg.
Die Soldaten, die am 25. Oktober 1415 bei Agincourt stundenlang in Kälte und Schlamm und mit Durchfall auf die Schlacht warteten17, die Infanteristen, die am 11. Mai 1745 in der Konfrontation bei Fontenoy die erste Salve ihrer Gegner regungslos über sich ergehen lassen mussten - sie waren allesamt keine reißenden Wölfe. Wahrscheinlich hatten sie Angst – mit Sicherheit aber bewiesen sie eine quälende Duldsamkeit, die zur Vorstellung von der triebgesteuerten männlichen Gewalttätigkeit nicht passt. Angst vor der Schlacht ist etwas, wovon Krieger und Soldaten aller Arten und Zeiten berichten - nicht nur das «Kanonenfutter» der Fürsten und Feldherren, das sich sein Schicksal nicht aussuchen konnte, sondern auch selbstbestimmte Elitekrieger oder Bürgersoldaten.18 Und Generationen von Generälen – von Maurice de Saxe über Wellington bis Friedrich II. - haben geklagt, wie schwer es sei, den Männern richtigen Kampfesgeist einzuflößen, kurz: ihnen ihre Tötungshemmung – wenigstens vorübergehend - abzugewöhnen.
Wenn man nach den Antworten geht, die amerikanische Infanteristen im Zweiten Weltkrieg regierungsamtlichen Historikern gegeben haben, dann muss diese Tötungshemmung auch beim bislang größten Krieg der Menschheitsgeschichte erstaunlich präsent gewesen sein. Mehr als drei Viertel der amerikanischen Soldaten wollen in der Kampfsituation von den Waffen keinen Gebrauch gemacht haben.19 Das «Rätsel der 24 000 Gewehre von Gettysburg» spricht ebenfalls für wenig ausgeprägte Lust am Töten: 90 % aller nach der dreitägigen Schlacht von 1863 auf dem Schlachtfeld gefundenen Gewehre waren noch geladen, also nicht abgeschossen worden - bei vielen fand man den Lauf mit bis zu zehn Ladungen vollgestopft. Offenbar haben die meisten Soldaten zwar die Bewegung des Ladens vollzogen, aber nicht schießen wollen.20
Dass in der Geschichte des Krieges keineswegs stets die neueste und effizienteste Waffe begeistert angenommen und eingesetzt wurde; dass sich Soldaten gegen Waffen mit dem Argument wehrten, sie seien tödlich21, ist bekannt. Selbst das, was wir heute, nach der Erfahrung zweier Weltkriege, für gesichert halten, dass es nämlich im Krieg um das möglichst effiziente Töten einer großen Anzahl von Männern gehe, ist also nicht gewiss. Nicht nur die Soldaten erwiesen sich in der Geschichte immer wieder als mäßig blutrünstig - sie erkannten im anderen selten den schrecklichen Feind, sondern einen ebenfalls leidenden Menschen. Im 18. Jahrhundert bestritten auch die berühmtesten Feldherren der Zeit die Notwendigkeit der Schlacht.22 Und so unterschiedliche kriegerische Kulturen wie die Azteken, die Hopliten und die Ritter zogen sich den Zorn der Militärhistoriker zu, weil sie sich nicht an die Effizienzkriterien der modernen «Entscheidungsschlachttheoretiker» hielten - etwa, indem sie einen Vorteil nicht bis zur völligen Niederlage oder Aufreibung des Gegners verfolgten, sondern sich mit der Schlachtentscheidung zufriedengaben. Womöglich aber kam es ihnen auf den «Entscheidungssieg» gar nicht an - Atahualpa, der mächtige Herrscher der Inka, hatte, als er 1532 ein paar entschlossenen Spaniern unter Pizarro unterlag, wahrscheinlich gar keine Vorstellung davon, dass die Spanier keinen Raubüberfall, sondern den völligen Sieg und die Unterwerfung der Inka beabsichtigten.23
Dass es eben ein Merkmal des «primitiven Kriegs» sei, auf entschiedene Überwältigung des anderen zu verzichten und es bei einer wenig mehr als symbolischen Konfrontation zu belassen, dass aber «wirklicher» Krieg derlei Rücksichten nicht kenne, wäre ein Fehlschluss - nicht nur aufgrund der oft hohen Todesraten dieser bloß «symbolischen» Kämpfe.24 Selbst ein so erfolgreicher und durchsetzungsfreudiger Feldherr wie Friedrich der Große blieb, auch wenn er hart an dessen Grenze operierte, im Rahmen des Kriegskodex, der Mäßigung gebot.25 Sogar Napoleon und seine Massenheere verletzten keineswegs alle geltenden Regeln. Spezifisch männlicher Blutrünstigkeit, muss man daraus schließen, bedarf es also nicht für den Krieg. Weshalb in der Geschichte des Krieges die passiven Männer dominieren - Männer, die erdulden, statt aggressiv zu kämpfen. Sklaven, Söldner, zum Dienst gepresste Soldaten bevölkern die Armeen der Vergangenheit. Sie waren erst recht nicht zu allem zu bewegen - vor allem nicht zu besonderer Grausamkeit denen gegenüber, die ihr Schicksal teilten.
Sie, nicht die Kriegereliten, entsprechen dem Bild von Krieg, das ihn als ein Instrument der Macht zeichnet - ein Instrument von machthungrigen Häuptlingen und korrupten Fürsten, von wahnsinnigen (Ver-)Führern, von den Kapitalisten, Imperialisten oder vom Patriarchat.26 Gegen diese Vorstellung von Krieg als Instrument der Herrschenden spricht, dass es auch in vorstaatlichen Gesellschaften keinen friedlichen «Urzustand» gibt - auch ohne feste Machtstrukturen gibt es Krieg. Auch lassen sich Menschen nicht über ein bestimmtes Maß hinaus manipulieren - zum effizienten Kriegführen gehört Freiwilligkeit: mal mehr, mal weniger. Deshalb gelten Söldner- und Sklavenheere in der Geschichte des Krieges als notorisch unzuverlässig und als ein schier unlösbares Problem für die Logistik - sie würden, nahm man an, sofort das Weite suchen, schickte man sie nach Lebensmitteln oder Futter für die Pferde.
In der Tat: am zuverlässigsten - und damit oft auch am fürchterlichsten - ist in der Geschichte des Krieges der mit seinem Gemeinwesen identifizierte Soldat, der Bürgersoldat eines Volksheeres. Dass Soldaten im Krieg nicht für «Fürstenwillkür», sondern für die eigene Sache kämpfen, entspricht sicherlich am ehesten modernen Vorstellungen von Legitimität – zumal dann, wenn es eine Demokratie ist, mit der ihre Soldaten sich identifizieren. Doch gerade diese Kriege, wo es ums Edelste zu gehen schien, kosteten weit mehr Menschenleben als manch kleine Plänkelei um Geld, Gut oder Land. Die Kriege, in denen das «Volk» in Waffen steht, entfalten einen Sog, der nicht nur die Armeen, sondern auch die Gesellschaften der Kriegführenden zu erfassen droht. Krieg macht sich selbstständig. Er ist kein Instrument.
Wenn Krieg nicht der männlichen Triebstruktur entspringt, dann bleibt immer noch zu fragen, warum er bis heute eine überwiegend männliche Angelegenheit ist. Zu Aggression und Gewalt sind Frauen ebenfalls fähig, und spätestens seit der Weiterentwicklung der Muskete zu modernen Distanzwaffen bedarf es keiner besonderen Körperkraft und keines männlichen Heldentums mehr, um in den Krieg zu ziehen. Zur passiven Duldung sind auch Frauen in der Lage - manche meinen: im Übermaß. Dennoch sind Frauen selten Kriegerinnen gewesen, es wird, über die uns bekannten Beispiele hinaus27, wohl auch keinen Kriegerinnenstamm mehr zu entdecken geben. Völlig unbeteiligt sind sie dennoch selten. Oft sind sie die Zuschauerinnen - und diejenigen, die darüber entscheiden, wer heldenhaft und wer ein Feigling ist. Sie sind die Nutznießerinnen - und die Trauernden. Die Köchinnen, Wäscherinnen und Bordellbetreiberinnen im mittelalterlichen Tross. Die Damen, für deren Ehre die Ritter kämpfen. Und sie sind immer wieder das Objekt wie das Opfer von Raub- und Kriegszügen.
Bei den nordamerikanischen Indianern wurden die Gefangenen den Frauen übergeben - zum Foltern.28 Bei anderen Stämmen - wie bei den besonders kriegerischen Yanomami – wird der weibliche Nachwuchs getötet, damit mehr Krieger nachwachsen.29 Frauen sind in den Krieg einbezogen - auch, aber nicht nur als Opfer. Bis heute stellen die meisten Opfer von Kriegen nicht die Frauen, sondern die Männer selbst.30
Was treibt sie dazu, sich wieder und wieder in ein tödliches Spiel hineinzubegeben, das sie doch offenbar so ungern betreiben - und für das sie noch nicht einmal die Entschuldigung haben, dass ein unerbittlicher Trieb sie dazu zwinge?