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3 - Der Männerbund

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Die weitverbreiteten kriegerischen Initiationsriten, mit denen Jungen in den Männerbund aufgenommen werden, zeigen, dass erst durch den Krieg der Mann zum Mann wird - und die Frau zur Frau. Krieg ist die Bewegungsform des Männerbundes. Auch dafür haben die Materialisten unter den Kulturanthropologen eine Erklärung - und überraschendes Anschauungsmaterial: die Schimpansen, unsere, wie wir heute wissen, engsten Verwandten.58

Auch Schimpansen ziehen in den Krieg gegen ihresgleichen. Schimpansen begehen Genozid. Schimpansen vergewaltigen.59 Und - sie bilden Männerbünde. Zwei amerikanische Primatenforscher, Richard Wrangham und Dale Peterson, entdeckten schon bei den Schimpansen etwas, das wir für rein menschlich halten: das Patriarchat. Schimpansenmännchen, so lautet kurz gefasst ihre These, verbünden sich deshalb miteinander, weil sie mehr Zeit als die Weibchen miteinander verbringen. Und: sie sind gewaltätig, weil Aggression sich im sozialen System der Affen auszahlt. Die Weibchen der Fleckenhyäne jagen gemeinsam. Primatenweibchen aber hindert an weiblichen Allianzen das, was unseren Vorfahren die Menschwerdung erlaubt hat: die lange Entwicklungsphase und damit Abhängigkeit des Nachwuchses. Bei zunehmendem ökologischen Druck werden Allianzen überlebensnotwendig. Gruppen bieten einen besseren Schutz vor Raubtieren und erlauben die Suche nach einem breiteren Nahrungsspektrum. Die Weibchen brauchen, in Abwesenheit von verbündeten Weibchen, die Männchen - die dominanten Männchen, denn just deren Aggressivität scheint die Gewähr dafür zu bieten, dass die Schimpansinnen und ihr Nachwuchs nicht nur von Räubern, sondern vor allem von anderen aggressiven Männchen verschont bleiben. Männchen und Weibchen kooperieren in einem Zirkel von Gewalt.60

Diese Szenerie ist der menschlichen erstaunlich nah. Mag also sein, dass der Männerbund sich aus ähnlichen Gründen lohnt. In der Geschichte des Krieges wird er evident - ja man könnte sogar behaupten, dass erst der Krieg den Männerbund zusammenschweisst und dass erst im Krieg den Frauen ihre Rolle zugewiesen wird: sein Grund und sein Ziel zugleich zu sein.

Grund: weil es sie zu schützen galt. Ziel: weil sie die Beute waren.

Krieg ist die Bewegungsform des Männerbundes. Und es ist diese «Bewegung», so unterschiedlich ihre Formen auch jeweils sein mögen, die ihm seine Intensität verleiht. Dass unerbittlicher Drill zur Entpersonalisierung von Soldaten führe, so dass sie hernach nur noch wie ein Rädchen in der Maschinerie funktionierten, wird oft zur Begründung dafür angeführt, dass Soldaten etwas durchhalten, was wir für eine unmenschliche Qual halten. William McNeill hat eine andere Hypothese entwickelt: es sei die gemeinsame Bewegung der Männer, das Marschieren oder Exerzieren, Seite an Seite - nach einem Rhythmus, im gleichen Takt, im Einklang -, was einen Zustand hervorrufe, der die individuellen Gefühle wie Angst oder Feigheit - oder auch egoistischen Heldenmut - transzendiere.61 Mit «Abgestumpftsein» wäre dieses Gefühl nicht richtig beschrieben. Mit Trance womöglich schon eher.

Wie wichtig die gemeinsame rhythmische Bewegung ist, zeigen die Kriegstänze der primitiven Stämme, über die Anthropologen berichten. Tanzen, in Verbindung mit Drogen oder Alkohol, erzeugt Trance und Euphorie. Das macht Mut und bannt die Angst. Und von Angst auch der tapfersten Krieger ist in der überlieferten Geschichte immer die Rede - der spartanische

Dichter Pindar spricht davon ebenso wie Ernst Jünger. Männer betäubten sich vor der Schlacht mit Wein - oder, wie die Azteken, mit Pulque. Die alten Skythen sollen Hanf geraucht haben.62

Womöglich war der «Rausch der Gemeinschaft» jedoch wichtiger - das Gefühl, Teil eines größeren zu sein, als man selbst es war. Die Kraft einer Phalanx ist mehr als die Summe dessen, was jeder einzelne vermag - und dieses Gefühl in Verbindung mit dem Einfluss, den Tanz oder Marschieren, also die gemeinsame Bewegung im gleichen Rhythmus, auf Menschen ausübt, scheint einen Zustand positiver Erregung, ja von Erhebung zu erzeugen - ein positives Gefühl von Gemeinsamkeit, Stärke und, wie Soldaten immer wieder behaupten: Liebe.63 Der Männerbund der Krieger dient also nicht nur der Kontrolle der einzelnen, das auch - die Hopliten haben die Mutigsten in die vorderste und die hinterste Linie gestellt und die Ängstlichen in die Mitte genommen, dorthin, wo es kein Entrinnen gab -, er verschafft seinen Teilnehmern offenbar auch eine positive Gestimmtheit, wie eine Endorphinausschüttung nach langer körperlicher Anstrengung. Dazu scheint der Rhythmus der Bewegung in Gleichklang wesentlich beizutragen.

Diese Wirkung der gemeinsamen rhythmischen Bewegung und ein anderes Phänomen, das Militärpsychologen seit dem Zweiten Weltkrieg gezielt untersucht haben64, ist Teil des paradoxen Befundes, dass Männer positive Gefühle entwickeln bei einem Handwerk, das doch, wenn man die Untersuchungen über die Tötungshemmung von Soldaten ernst nimmt, eher Widerwillen in ihnen hervorruft. Das zweite Phänomen ist, dass Männer nicht aus Angst vor den Vorgesetzten oder vor Strafen im Feld und bei der Schlacht bleiben, sondern ihrer nächsten Kameraden wegen - um der zwei, drei Männer linker und rechter Hand willen, die sie glauben nicht verlassen zu dürfen.

Offenbar ist diese Bindung unter Stress wichtiger und naheliegender als die ferne Familie und das, was in der existentiellen Situation des Kampfes als Abstraktion erscheinen muss: die Gemeinschaft, die es zu verteidigen gelte. «Der Krieg», sagte Henry de Montherlant über den Ersten Weltkrieg, «war der einzige Ort, wo man Männer leidenschaftlich lieben konnte.»65 Mit Homosexualität hat dieser Männerbund nichts zu tun, er entspringt nicht aus ihr, und er befördert sie wahrscheinlich nicht - wenngleich es über die «Heilige Schar» von Theben heißt, diese Elitetruppe habe sich aus 150 Liebespaaren zusammengesetzt.66 Soldaten aller Zeiten jedenfalls berichten von der «Hingabe» an die Kameraden, von einer Verbindung, die mindestens so intensiv sei wie die zwischen Liebenden.67 Die «Produktivkraft » des Krieges, ja Krieg selbst, scheint von diesem Männerbündnis abzuhängen, das sich im gemeinsamen Erleben, im gemeinsamen Bewegen und im gemeinsamen Ritual bestätigt.

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