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Kapitel I Der Heilige Krieg

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Warum Krieg? Und wie kam er in die Welt? Wer «wirklichen» Krieg erst mit der Staatenbildung beginnen lässt oder auf materielle Interessen mächtiger gesellschaftlicher Gruppen zurückführt, hat es leicht. Krieg ist dann eine mehr oder weniger riskante, aber doch weitgehend rationale Tätigkeit mit begrenzten Zielen und Zwecken.1 Die archaischen Riten und seltsamen Gebräuche, die ihn bis in die heutige Zeit begleiten – feierliche Schwüre und Fahnenappell, Paraden und Zapfenstreich, Uniformen und Lametta -, lassen sich dann als überkommene Verschrobenheiten behandeln; sie tun, scheint's, nichts zur Sache. Sie sind lediglich Dekorationen einer «Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln», wie in diesem Zusammenhang gern Carl von Clausewitz zitiert wird; Garnitur einer kriegsförmig verlaufenden kalkulierten Interessenpolitik.

Auch die gegenteilige Sicht der Dinge macht es sich leicht. Ihr zufolge lässt sich Krieg aus den individuellen Neigungen von Männern zu Gewalt erklären, aus «irrationalen» Motiven also, die von den rationalen Interessen anderer Männer ausgebeutet würden. Frauen sind in diesem Schema edle Seelen und unschuldiges Publikum, das aus unerklärlichen Gründen dem Männerspektakel auch noch applaudiert.

Beide Erklärungen, noch immer beliebt, vermögen die Fülle von Erkenntnissen (und Spekulation) längst nicht mehr zu integrieren, die Archäologen oder Anthropologen2 heute über Krieg in der Menschheitsgeschichte aufzubieten haben. Insbesondere, dass «wirklicher» Krieg streng vom «primitiven» Krieg zu unterscheiden sei, hat sich als falsch erwiesen. Diese Vorstellung entspringt einer Mystifizierung und Verharmlosung «primitiver» Kriegführung, der zufolge sich edle Wilde rein rituelle Schaukämpfe geliefert hätten - mäßig ernsthaft und mäßig tödlich. Davon aber kann nicht die Rede sein. Nicht nur lieferten sich unsere Vorfahren wahrscheinlich Gefechte mit einer Beteiligung der männlichen Bevölkerung und mit Todesraten, wie sie noch nicht einmal der Zweite Weltkrieg zu bieten hat.3 Auch die Rituale, das «Theater» des Krieges sind mitnichten nur ein Rudiment aus alter Zeit, das uns heute nichts mehr zu sagen hätte. Noch im Ersten Weltkrieg tauchen Topoi des Krieges auf - die Liebe, das Opfer, die Gemeinschaft -, die wenig mit rationaler Kriegführung, dafür aber viel mit einem Menschheitserbe zu tun haben, das tief in die Vorgeschichte zurückreicht.

Nein, Krieg ist kein Sündenfall der jüngeren Menschheitsgeschichte, über die wir heute immerhin einiges zu wissen glauben, sondern reicht so weit zurück, dass gesicherte Erkenntnisse über die Ursprünge des Ur-Übels nicht leicht zu haben sind. Dreierlei zumindest scheint gewiss: Krieg gehört, wie die Religion, zu den Universalien, die alle Menschheitskulturen unabhängig voneinander entwickelt haben. Er ist in den meisten uns bekannten Kulturen auf den Männerbund beschränkt.4 Und er ist ein ritualisiertes Geschehen, das sakrale Züge hat, ja nachgerade als religiöser Akt zu verstehen ist.5 Um eine These von Walter Burkert abzuwandeln: Wir müssen von der Präsenz des Heiligen inmitten des Tötens ausgehen.6

Für die Verbindung des Krieges mit tiefverwurzelten Menschheitserfahrungen, für seine Verankerung in Gefühl und Instinkt spricht, dass all diese Aspekte nicht nur dem sogenannten «primitiven» Krieg eigen sind. Sie sind auch in seinen «modernen» Formen noch aufzuspüren. Beispiele für die «Heiligung» des Krieges müssen nicht in der islamischen Form des «Jihad» gesucht werden. Sie sind für den Ersten Weltkrieg nachweisbar7 - und sogar noch für den Zweiten Weltkrieg dokumentiert.

Eine angemessene These über den Krieg - ganz zu schweigen von seiner «Theorie»8 - muss für alle drei Aspekte des Krieges eine plausible Erklärung bieten. Dabei wird man sich womöglich von alten Kontroversen verabschieden müssen - etwa, ob Krieg der Natur oder der Kultur zuzuschlagen sei. Auch die Unterscheidung zwischen «wahrem» und «primitivem» Krieg, zwischen «rationalen» und «irrationalen» Kriegsformen, greift dann nicht mehr. Tatsächlich gehört Krieg - als kulturunabhängige Universalie - weit mehr der «Natur» an, als uns behaglich ist. Tatsächlich ist er kein rationales Instrument, das man, je nach Tageszeit und Machtbedürfnis, einsetzen und, wie man dann ja hoffen dürfte, wieder ausschalten kann. Zu seinen «irrationalen» Momenten, zu seinen Gefühlsanteilen gehört indes nicht nur das schreckliche Gesicht des Krieges: die enthemmte Gewalttätigkeit des «Primitiven», von der man annimmt, dass sie noch heute in jedem Mann stecke. Krieg mobilisiert nicht nur die Bestie - sondern auch das Beste im Mann. Das «Gute» ist es, was ihn so gefährlich macht.

Krieg ist und bleibt eine Sache der Gefühle, die moderne Menschen ebenso in den Bann ziehen können wie ihre kaum den Urwäldern entwachsenen Vorfahren. «Durch Gefühle», noch einmal Barbara Ehrenreich, «bekommt der Krieg uns in die Klauen.»9 Und diese Gefühle speisen sich aus den edelsten Regungen, zu denen Menschen fähig sind. Zu Recht ist Janus, der Gott, den die Römer vor Kriegsbeginn anriefen, ein Herr mit zwei Gesichtern - einem finsteren. Und einem freundlichen.

Das Handwerk des Krieges

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