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Epiphanie von Sinn

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Rituale gehören, wie später genauer auszuführen sein wird, als „eigenständige symbolische Gebilde“ in den Bereich „symbolischer Orientierung und symbolischer Ordnung.“20 Die Bemühungen sowohl zeitgenössischer als auch heutiger Interpreten, die in den symbolischen Handlungen verschlüsselten Inhalte, ihren spezifischen Sinn und somit ihre ‚Aussage(n)‘ zu explizieren, setzen dabei zumeist stillschweigend einen Punkt voraus, der von dieser Außenperspektive auf das Ritual zunächst zu trennen und deshalb hier eigens zu erörtern ist: die unmittelbare und unreflektierte Erfahrung der Sinnträchtigkeit ritueller Handlungen durch die Beteiligten selbst.21

Das Sinnpotential eines Rituals kann in unterschiedlicher Form zutage treten: Sinn kann zunächst einmal von den Beteiligten unabhängig von den konkreten Bedeutungen eines Rituals oder einzelner ritueller Handlungen ganz unspezifisch erfahren oder unterstellt werden.22 Das bekannteste Beispiel dafür ist wohl die mittelalterliche Messe, v. a. die Eucharistiefeier, deren Heilswirksamkeit auch von den Laien, ohne daß sie die genaue Bedeutung oder den Ablauf des Rituals durchschauen mußten, grundsätzlich erfahrbar war – als jener berühmte ‚Hokuspokus‘, zu dem die Konsekrationsworte hoc est corpus meum im Volksmund mutierten.23 Nahegelegt oder vermittelt wird die Sinnhaftigkeit eines Rituals etwa durch eine zwar unverständliche, aber ‚heilige‘ Sprache, durch dingliche Symbole, deren Bedeutung – mitunter auch aus anderen Kontexten (vgl. die von den Lodesen vor Barbarossa getragenen Kreuze) – bekannt ist, oder durch die elaborierte Formalität der Handlungen insgesamt, durch ihre zeitliche und räumliche Situierung oder durch ihre Träger. Vor allem ihre Wiederholbarkeit und ihr traditioneller Vollzug können Ritualen Bedeutsamkeit, Legitimität und Autorität verschaffen: Gerade wenn Rituale älter sind als ihre Teilnehmer, ermöglichen sie das Eintreten in eine vorgegebene Tradition und Sinnstruktur. Der Sinn eines Rituals ist damit, unabhängig von Explikationen seiner konkreten Bedeutung von außen, auch selbstgeneriert und selbstreferentiell.

Epiphanie von Sinn kann aber auch konkret benennbar sein, wenn neben einem nicht unmittelbar durchsichtigen Sinnpotential und einer unspezifischen Aura des Rituals seine Sinnsubstanz selbst erfahrbar wird. Dies deutete sich bereits im vorigen Abschnitt an, in dem Rituale als Handlungen beschrieben wurden, die sich auf etwas ‚Heiliges‘ beziehen: Wie im religiösen Ritual die Gottheit oder das Heil selbst ‚erfahrbar‘ wird, so ‚erscheint‘ in der Versammlung (konkreter Personen zu konkreten Zwecken) auf dem Reichstag das Reich selbst, so bringt das Gerichtsritual (neben der Entscheidung konkreter Rechtsfälle) das Recht selbst zum ‚Vorschein‘, so treten im Empfang und in der Begrüßung (über die konkrete soziale Interaktion hinaus) Macht, Rang und Hierarchie ‚zutage‘, so wird im Friedensschluß (neben konkreten Vereinbarungen) der Friede selbst ‚erfahrbar‘.

Ritualexegesen und die Erfahrung von Sinnhaftigkeit sind somit zwei verschiedene Modi, einem Ritual Bedeutung zuzuweisen; jene sind dieser nachgeordnet und gründen in ihr. Beiden Deutungsmodi sind zwei grundsätzliche Perspektiven beigeordnet, aus denen ein Ritual betrachtet werden kann: eine Außenperspektive,24 aus der eine Handlung als ‚Ritual‘ klassifiziert oder interpretiert werden kann, und eine Innenperspektive, aus der ein Ritual eher unreflektiert als ‚natürlich‘-sinnhafte Handlung erfahren wird. Rituale besitzen somit eine Sinnstruktur, in die ihre Akteure eintreten, und zugleich – wie gleich auszuführen sein wird – einen Spielraum für ihre konkreten Deutungen.

Poetik des Rituals

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