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Rituale als symbolische und instrumentelle Handlungen

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Daß Rituale grundsätzlich als sinnträchtige und bedeutsame Vorgänge erfahren werden, beruht wesentlich auf der Symbolizität, die Ritualen in der Forschung zumeist zugeschrieben wird.25 Dies erscheint notwendig, um Rituale von (Alltags-)Routinen, Typisierungen und Habitualisierungen abgrenzen zu können.26 Neben der in der Regel ausgeprägteren Formalität und Bewußtheit soll also die Symbolizität Rituale kategorial von Routinen oder Habitualisierungen unterscheiden.

Zwei Aspekte lassen es dabei jedoch ratsam erscheinen, zwischen beiden Handlungstypen fließende Übergänge anzusetzen. Zum einen stellen Rituale und Routinen weder in ihrem Vollzug noch in ihrer Funktionalität Gegensätze dar, denn

jede Gesellschaft, so klar und fest sie auch strukturiert sein mag, lebt ebenso in ihren Bräuchen, Übergängen und Grenzüberschreitungen (von einem Lebensalter zum anderen und den damit verbundenen sozial definierten Statuspassagen, von einem Geschlecht zum anderen, von einer Gruppe zur anderen etc.) wie in ihren Routinen. Ja, wir benötigen die Routinen gerade, um diese Brüche einigermaßen gesichert und kollektiv zu kitten.27

Zum anderen, und dies besonders im Blick auf das Mittelalter, hängt die Unterscheidung eben an der Zuschreibung der Symbolizität, die sich mit dem Wandel des Standpunktes durchaus verändern kann: „Vieles, was in historischer Perspektive als Ritual erscheint, war möglicherweise für die Zeitgenossen nur eine Routine.“28

In diesen Zusammenhang gehört weiterhin die mit dem Symbolbegriff verbundene Problematik, verschiedene Arten des Handelns zu differenzieren, an erster Stelle die Unterscheidung von instrumentellen und symbolischen Handlungen: Rituale seien – so etwa ARGYLE – Handlungen, denen eine „hauptsächlich symbolische statt einer instrumentellen Bedeutung“ zugesprochen werden müsse,29 wobei letztere den zweckgerichteten Charakter der Handlung meint.30 Daß diese Unterscheidung nicht absolut zu setzen ist, zeigt sich bei ARGYLE schon in der Verwendung von relativierenden Adverbien.31 Die strikte Opposition beider Begriffe erscheint zumal dadurch fragwürdig, daß ‚eher instrumentell‘ zu verstehende Handlungen durch eine entsprechende Rahmung ritualisiert werden können,32 so wie umgekehrt Rituale verschiedenen Instrumentalisierungen offenstehen. Gerade im Mittelalter, in dem – wie in Kapitel 3 weiter auszuführen sein wird – Rituale wichtige Funktionen erfüllten, die heute von kommunalen, staatlichen oder anderen Institutionen wahrgenommen werden, können beide Handlungstypen nicht als Alternativen betrachtet werden. So hat ALTHOFF in seinen Arbeiten auf den bewußten Umgang und den gezielten Einsatz von Ritualen im Mittelalter aufmerksam gemacht und den pragmatischen Aspekt rituellen Handelns herausgestellt; er gebraucht deshalb die Begriffe „rituell“, „zweckorientiert“ und „zweckrational“ teilweise synonymisch.33

Weil Herrschaftsrituale im Mittelalter immer auch in einem politischen (Konflikt-)Feld plaziert sind, ist von einer Integration der ‚instrumentellen‘ und ‚symbolischen‘ Aspekte auszugehen und davon, daß ihre jeweilige Gewichtung sich mit dem Ritualtyp und dem Kontext des aktuellen Vollzugs verschieben kann. Während Rechtsrituale z. B. per definitionem stark zweckgerichtet und gleichwohl ebenso von symbolischen Gehalten geprägt sind, kann bei anderen Ritualen der Akzent mehr auf dem symbolischen als auf dem pragmatischen Gehalt liegen.

Zu verabschieden sind deshalb auch die im Zusammenhang mit einer postulierten Zweckfreiheit ritueller Handlungen einseitig gebrauchten Gleichsetzungen rituellen Handelns mit ‚irrationalen‘ Handlungen.34 Auf die Problematik der Anwendbarkeit dieses Begriffs auf das Mittelalter hat bereits LEYSER aufmerksam gemacht: „Für den Historiker […] wirft dieser sehr postcartesianisch ausgerichtete Unterschied die beunruhigende Frage auf, ob und, falls ja, wieweit die Teilnehmer an einem Ritual in der Vergangenheit zwischen rationalen und irrationalen Handlungen unterschieden.“35 Im positiven Sinne verweisen solche Bestimmungen jedoch auch auf das, was oben als unspezifische Erfahrung von Sinn, als Epiphanie von Heiligem und Eintreten in eine traditionell vorgegebene Sinnstruktur bezeichnet wurde. Rituale können deshalb zugleich als zweckgerichtete, instrumentelle, daher auch ‚rationale‘ und als sich in ihrer Symbolik potentiell der Rationalität entziehende Handlungen begriffen werden.

Poetik des Rituals

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