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Der gut gekleidete Mann an der Bar des Hotels Frankfurter Hof blickte versonnen in sein Glas. Der Whisky, ein 25 Jahre alter Talisker Single Malt, verströmte ein dunkles, torfiges Aroma. Er trank ihn immer pur, ließ nun den schweren Tumbler kreisen und betrachtete die öligen Schlieren, in denen die Flüssigkeit sich innen am Glas entlang bewegte. Die in dunklen Tönen gehaltene Bar war zu dieser frühen Abendstunde kaum besucht. Leise Musik untermalte halblaut geführte Gespräche und das Klirren der Eiswürfel, wenn der Barkeeper einen Drink mixte.

»Herr Rohloff. Guten Abend.« Er blickte hoch. Vor ihm stand Bertram von Hagen. Der Frankfurter Polizeipräsident war hochgewachsen, asketisch schlank und trug das ergraute Haar kurz und dicht an den schmalen Kopf gekämmt.

Wie immer war er tipptopp gekleidet. Grauer Anzug mit Weste, ein bisschen zu dick der Stoff für die bereits milden Temperaturen, burgunderrote Krawatte, Manschettenknöpfe aus Weißgold.

Er erklomm den Barhocker neben Gerd Rohloff.

»Den Talisker kann ich empfehlen.«

»Danke, ich trinke selten Alkohol.« Von Hagen wandte sich dem Barkeeper zu und bestellte ein stilles, ungekühltes Wasser.

Die beiden Männer musterten sich gegenseitig. Sie kannten sich, wenngleich sie sich viele Jahre so gut wie nie begegnet waren.

»Es ist lange her«, brach von Hagen das Schweigen.

»Fünf Jahre. Das letzte Mal sahen wir uns bei einer Vernissage in der Kunstgalerie meiner verstorbenen Frau.« Ein leichter Schmerz durchzog ihn. Wie immer, wenn er von Marie sprach, auch jetzt noch, fast vier Jahre nach ihrem Tod.

»Sie ziehen sich zurück?« Von Hagen war gut informiert.

»Ja. Es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen.« Er meinte es nicht nur geschäftlich, aber das ging sein Gegenüber nichts an. »Trotzdem habe ich noch einen Finger am Puls einer gewissen Szene.«

Von Hagen antwortete nicht. Er blickte in sein Wasser. Wartete. Schließlich hatte Rohloff um dieses Treffen gebeten.

»Ich will Ihnen ein Geschäft vorschlagen«, fuhr dieser nun fort. »Es wird gerade etwas eingefädelt in einem der Milieus, in das Sie mit Ihren Leuten nicht vordringen.«

Von Hagen hob den Kopf und wollte etwas sagen. Rohloff bedeutete ihm mit einer Handbewegung, noch kurz zu warten.

»Ich habe Verbindungen zu jemandem, der aussteigen will. Eine Frau, die die Machenschaften ihres Clans nicht mehr erträgt. Besonders die im Rotlicht. Sie traut den deutschen Behörden nicht. Würde nie mit einem ihrer Beamten sprechen. Sie sucht einen Mittelsmann, dem sie vertraut.«

Die Miene des Polizeipräsidenten zeigte höchste Konzentration. »Der wären Sie?«

»Ja. Sie hat Verbindung über einen meiner langjährigen Mitarbeiter aufgenommen. Also, jetzt Ex-Mitarbeiter.«

Von Hagen trank langsam das ganze Glas leer und schenkte sich den Rest aus der kleinen Flasche nach. »Was ist der Deal?«

Rohloff beugte sich nach vorne und senkte die Stimme. »Es wird ein Treffen geben. Alles hochrangige Clanmitglieder. In einem Haus am Stadtrand von Frankfurt. Man fühlt sich unbeobachtet. Unantastbar. Über dem Gesetz stehend. Aber das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Dort herrscht daher ein gewisser Übermut. In dem Haus findet sich belastendes Material gegen die Köpfe des Clans.«

»Haben Sie etwas für mich dabei?«

Rohloff war auf diese Frage gefasst. Er griff in die Innentasche seines Jacketts, nahm ein Blatt Papier heraus und legte es auf den Tresen.

Von Hagen beugte sich über das Schriftstück. »Immobilien«, murmelte er.

Rohloff nickte. »Die Familie wäscht einen Teil der Einnahmen aus illegalem Glücksspiel im sogenannten Speckgürtel von Frankfurt.«

»Nun ja, das ist noch kein Beweis, dass die Häuser und Grundstücke mit Schwarzgeld erworben wurden.«

»Die finden Sie in dem besagten Haus. Schwarze Buchhaltung, Kanäle, Auslandskonten. Dazu Bargeld, der ganze Keller ist voll davon, gefälschte Papiere, Waffen und vermutlich auch ein Arsenal an Drogen. Da war sich meine Informantin nicht ganz sicher.«

Von Hagen schwieg, in seinem Gesicht arbeitete es.

»Es wird ein Notruf über die 110 eingehen. Eine Frau wird um Hilfe bitten. Es wird von mehreren bewaffneten Männern die Rede sein. Damit hätten Ihre Leuten guten Grund, in das Gebäude einzudringen, die Räume und alle Anwesenden zu filzen.«

»Wie belastbar ist das Ganze?«

»Die Zeugin weiß, dass sie unter Druck geraten könnte. Sie wird aussagen, aber sie will einen Deal. Kronzeugenregelung. Eine neue Identität für sich und ihre Tochter, mit der sie zukünftig im Ausland leben wird. Das müssen Sie mit den zuständigen Stellen klären, das ist mir klar. Aber die Frau will raus da. Zwangsverheiratet, unglücklich, hat Angst um ihre Tochter, die wohl nach Meinung des Clanältesten mit 14 Jahren bereits im heiratsfähigen Alter ist.«

Keiner der beiden verzog eine Miene, sie wussten beide schon zu lange Bescheid.

Von Hagen hatte sein Wasser ausgetrunken. »Was ist Ihr Preis für diese Art von Überzeugungsarbeit?«

Rohloff richtete sich auf und atmete tief durch. Dann griff er erneut in sein Jackett und entfaltete einen Zeitungsartikel.

»Der tote Junge aus Dietzenbach?«, murmelte der Polizeipräsident, während er las. Sein Blick verriet, dass er sich darauf keinen Reim machen konnte.

»Ich will wissen, was ihm geschehen ist. Alles. Welcher Art die Misshandlungen waren, denen er ausgesetzt war, wie er gestorben ist. Jedes Detail.«

Von Hagen blickte sein Gegenüber irritiert an. »Das fällt nicht in meine Zuständigkeit. Diese …«

Rohloff schnitt ihm das Wort ab. »Der Junge wurde in der Rechtsmedizin Frankfurt obduziert. Als Polizeipräsident haben Sie kein Problem, an den Bericht zu kommen. Geben Sie ihn mir, dann bekommen Sie die Aussage der Zeugin, den Termin, den Ort, die Sicherheitsvorkehrungen und einen Keller voller Beweismaterial. Alles, was Sie benötigen, um einen Coup für die Frankfurter Polizei zu landen, bevor das BKA übernimmt. Ein Deal, von dem Sie mehr profitieren als ich. Wesentlich mehr.«

Von Hagen schaute einen Moment ins Leere.

»Gut. Ich sehe, dass Ihnen die Sache wichtig ist. Auf welchem Weg möchten Sie die Unterlagen übermittelt haben?«

»Auf dem guten alten Papier.«

Van Hagen lächelte leicht, das erste Mal, seit er da war.

»Geben Sie es in einem verschlossenen Umschlag mit dem Vermerk persönlich bei Marek in der Kinky-Bar ab, er wird mich informieren.«

»Haben Sie den Club denn noch?«

Rohloff schüttelte den Kopf. »Gerade verkauft. In ein paar Tagen wird der neue Besitzer dort einziehen. Aber dem Personal kann ich vertrauen.«

Sie erhoben sich gleichzeitig. Nach kurzem Zögern reichte von Hagen Rohloff die Hand. »Eigentlich schade. Mit Ihnen verlässt einer der letzten Geschäftsmänner vom alten Schlag das Bahnhofsviertel. Sicherlich werden meine Leute Ihre ehemaligen Clubs in Zukunft wesentlich häufiger filzen müssen.«

Er ging, aufrecht und mit langen Schritten. Rohloff blickte ihm hinterher und trank seinen Whisky. Er wusste, dass er sich auf von Hagen verlassen konnte. So, wie der sich auf ihn.

Leise Wut

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