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Lena trank bereits den dritten Café con leche, während sie ihre Tour für den heutigen Tag plante. Sie war in einer Pension unweit des Hafens untergekommen. Ein kleines, weiß gekalktes Gebäude, die Zimmer luftig und sauber. Die Pensionswirtin hatte ein üppiges Frühstück serviert. Sie sprach nur ein paar Worte Deutsch und schien nicht neugierig zu sein, warum Lena alleine unterwegs war. Es gab nicht viele Alleinreisende in diesem Ort. Allerdings vermietete man nicht für eine Nacht, sie hatte drei Übernachtungen buchen müssen. In Anbetracht des Umstands, dass sie einen guten Standort darstellte, um die nähere Umgebung auszukundschaften, und sie keine Ahnung hatte, wie lange sie benötigen würde, um ihre Informationen zu sammeln, war das kein Problem für sie.

Lena sah auf die Uhr. Es war kurz vor neun. Sie schob ihre Sachen zusammen und hatte sich bereits halb erhoben, als sie sich doch noch einmal auf den Stuhl des Cafés sinken ließ. Ihre Fingerspitzen schwebten über der Tastatur des Handys. Sie kämpfte mit sich, ob sie die aktuelle deutsche Tagespresse lesen sollte oder nicht.

Das Thema war jedenfalls noch nicht durch.

»Schreckliche Details. So qualvoll musste Toby sterben«, kündigte das Krawallblatt an. Lena schüttelte sich. Was, um alles in der Welt, war in diese Journalisten gefahren? Als sie sah, dass die seriöseren Blätter ebenfalls leicht spekulative Artikel veröffentlicht hatten, biss sie die Zähne zusammen. Einmal wurde sogar die Frage formuliert, ob die zuständige Sozialarbeiterin – hier war ausnahmsweise mal kein Name genannt – überfordert gewesen sei. Ein anderer Journalist berief sich auf Quellen, die nicht genannt werden wollten, sich aber herausnahmen, über Lenas Lebenswandel zu spekulieren. »Man hatte das Gefühl, sie sei auch im Dienst oft mit Dingen beschäftigt gewesen, die nichts mit ihrer Arbeit zu tun hatten«, wurde jemand aus dem »beruflichen Umfeld« zitiert.

Norbert Müller, dachte Lena. Nur ihm waren solche Äußerungen zuzutrauen. Niemand aus dem Team würde derartig dreist lügen. Angesichts dieses Berichtes konnte die Maibaum noch so sehr behaupten, Lena stünde nicht im Mittelpunkt. Solange sich andere über angebliche Verfehlungen ereiferten, ungeachtet der Tatsache, dass sie gar nicht mehr zuständig gewesen war, würden diese an Verleumdung grenzenden Artikel nicht aufhören. Sollte sie auf der Insel nichts erreichen, musste sie nach Hause fliegen und einen Anwalt einschalten.

Sie schloss die Fenster und schob das Telefon in ihre Tasche. Diese blöden Spekulationen würden erst aufhören, wenn Klarheit über das herrschte, was wirklich vorgefallen war. Einer, der mehr über Tobys letzte Monate wissen könnte, war der Unbekannte, den sie suchte.

Eine halbe Stunde später passierte sie eine kleine Bucht. Ein Kleinbus stand dort auf dem sandigen Seitenstreifen neben der Straße. Obwohl der Wagen überlackiert worden war, konnte man noch deutlich die hellblauen, geschwungenen Buchstaben auf den Seitentüren erkennen. Dort hatten einmal die Worte »Naranja Azul« gestanden. Plötzlich klopfte Lenas Herz heftig. Sie bremste ab und parkte ihren Wagen hinter der nächsten Biegung. Sie stieg aus, ging die paar Schritte zu dem Bus zurück und blickte auf den Strand hinunter, den sich drei Familien teilten. Es stand kein weiterer Wagen dort, also waren die Leute alle gemeinsam hergekommen. Die Kinder waren unterschiedlich alt. Eine Frau hielt ein Baby im Arm, die zweite fütterte ein Kleinkind, die Jungs der dritten Familie, ein Zwillingspaar, dürften sechs oder sieben sein. Die Leute würden wissen, wo das Hotel lag.

Lena ging zu ihrem Wagen zurück. Sie schulterte ihre Tasche, schob eine Baseballkappe über die Haare, setzte ihre Sonnenbrille auf, und lief kurz darauf den schmalen Pfad hinunter, der von der Straße zur Bucht führte. Einer der Zwillinge wurde als Erster auf sie aufmerksam. Er rief seinen Eltern etwas zu und im selben Moment schien das Leben dort unten einzufrieren. Irritiert bemerkte Lena, dass alle zehn Personen ihr schweigend entgegensahen. Einer der Männer erhob sich vom Handtuch und kam lächelnd näher. Gerade, als sie am Ende des Pfads angelangt war, erreichte er sie.

»Falls Sie ein ruhiges Plätzchen zum Schwimmen und Sonnenbaden suchen, ist die nächste Bucht ideal.« Er sah sie entspannt an, seine Stimme war freundlich, dennoch fühlte Lena einen leichten Schauder über ihr Rückgrat laufen.

»Ach so, ich dachte …«, sie wies auf den Teil der Bucht, in dem sie locker noch Platz gehabt hätte.

»Da kommen noch welche. Familien mit Kindern.« Er lachte leise auf, verständnisheischend. »Da geht es immer recht lebhaft zu. Manchmal beschweren sich dann andere Leute.« Er zuckte in einer entschuldigenden Geste mit den Schultern. »Darum …« Er deutete wieder in Richtung der nächstliegenden Bucht.

Sonnenlicht sprenkelte seine Augen, ein leichter Wind hob sein gepflegtes, blondes Haar. Ein netter Mann, höflich. Zuvorkommend, weil er ihr und seinen Bekannten Ärger ersparen wollte. So hätte sie ihn sehen können. Stünde er nicht so dicht vor ihr, dass sie nicht auf den Strand hätte treten können, ohne ihn beiseite zu schieben.

»Okay«, murmelte sie, ging einen Schritt rückwärts. »Ist das vielleicht der Strand des Hotels?«

Wachsamkeit trat in seine Augen, sein Körper straffte sich unmerklich. »Welches Hotel meinen Sie?«

»Etwas mit Azul.« Ihr war nicht entgangen, dass die Frau mit dem Baby näher gekommen war und mit leichtem Stirnrunzeln das Gespräch verfolgte.

Der Mann schien zu zögern, dann schüttelte er den Kopf. »Ist mir nicht bekannt. Vielleicht auf der anderen Seite der Insel. Dort gibt es mehr Touristen.«

Das Baby bewegte sich auf dem Arm der Mutter und quengelte leise vor sich hin. Die Zwillinge hatten angefangen, Federball zu spielen.

»Einen schönen Tag noch«, sagte Lena, bevor sie sich umdrehte, um auf dem Pfad wieder nach oben zu gehen. Sich dabei ertappte, plötzlich loslaufen zu wollen, weil sie glaubte, seine Blicke wie Nadelstiche in ihrem Rücken zu spüren. Erst, als sie oben angelangt war, hatte sie das Gefühl wieder frei atmen zu können. Sie warf einen Blick zurück. Der Mann beobachtete sie noch immer. Die Frau war mit dem Baby auf ihr Tuch zurückgekehrt. Der Rest der Leute schien mit anderen Dingen beschäftigt.

Lena atmete tief aus. Sie wandte sich in die Richtung, die der Mann ihr bedeutet hatte. Gerade so, als wolle sie seinem Rat folgen. Doch schon nach wenigen Metern, als sie um eine Biegung war und er sie nicht mehr sehen konnte, blieb sie stehen. Die drei Familien waren mit dem Kleinbus hergekommen. Sie würden mit diesem Wagen wegfahren. Sie musste ihnen einfach nur folgen, dann würden sie sie zum Hotel führen. Allerdings machte niemand dort unten den Eindruck, gleich wieder aufbrechen zu wollen. Wenn sie Pech hatte, würde sie den restlichen Tag über warten müssen.

Leise Wut

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