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Lena frühstückte am nächsten Morgen zeitig. Danach mietete sie ein Fahrrad und brach in Richtung des Hotels auf. Noch am Vorabend hatte sie eine Stelle auf einer Anhöhe ausfindig gemacht, von der aus sie die Seitenstraße zum Hotel überblicken konnte. Wenn ein Teil der Hotelgäste tagsüber zum Baden fuhr, konnte sie den Mann, den sie suchte, eventuell auf diese Weise finden. Ein alleinreisender Mann, der mit einem ungefähr vierjährigen Kind unterwegs war, dürfte unter all den Familien doch auszumachen sein. An ihrem Ziel angekommen, lehnte sie ihr Rad an einen ausladenden Baum. Mit einem Fernglas, das sie noch am Vorabend in Ciutadella gekauft hatte, setzte sie sich im Schutz einiger spärlich wuchernder Büsche so hin, dass man sie nicht gleich sehen konnte. Selbst wenn, würde sie hoffentlich wirken wie eine Radlerin, die eine kleine Pause einlegte.

Es war warm an diesem Tag, einige Insekten umschwirrten sie, gelegentlich fuhr auf der Straße ein Auto vorbei. Ansonsten wurde ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt. Der Kleinbus rollte heran, ungefähr eine Dreiviertelstunde nachdem sie ihren Beobachtungsposten eingenommen hatte.

»Mist«, murmelte sie halblaut. Denn trotz des Fernglases konnte sie nicht alle Insassen genau erkennen.

Gehen wir mal davon aus, dass es dieselbe Gruppe ist wie gestern.

Danach fuhren einige Kleinfamilien mit Fahrrädern zur Straße. Ein einzelner Mann in einem Porsche Cayenne kam als Nächstes. Mit seinem fast weißen Haarschopf kam er nicht infrage. In weiten Abständen folgten ein Lieferwagen des Hotels, ein Kleinwagen mit einer vierköpfigen Familie und erneut zwei Radfahrer, ein Mann mit halblangem blonden Haar und ein kleines Mädchen. Danach tat sich sehr lange nichts.

Der Lieferwagen kam zurück, ebenso eine der Familien, die mit ihren Rädern unterwegs gewesen waren.

Inzwischen hockte Lena seit Stunden auf ihrem Platz. Ihre Blase sendete SOS und sie war zum Opfer juckender Mückenstiche geworden. Sie begab sich hinter einen Busch, um zu pinkeln. Danach breitete sie ihre Decke an einer anderen Stelle aus, wo sie mehr Baumschatten hatte. Von dort sah sie lediglich ein kleineres Stück von der Zufahrtsstraße zum Hotel.

Die nächsten zwei Stunden durchbrach kein Fahrzeuggeräusch die Stille. Falls der Mann, den sie suchte, hier war, befand er sich womöglich auf dem Strandabschnitt in der Bucht hinter dem Hotel. Oder eben am Pool. Sie würde nicht drum herumkommen, sich noch einmal auf das Gelände des Hotels zu begeben, auch wenn sie Gefahr lief, erneut sofort hinauskomplimentiert zu werden.

Gegen Mittag kehrte ein Teil der Gäste ins Hotel zurück, keiner von ihnen verließ es noch einmal. Der Kleinbus kam am Nachmittag. Danach wurde es ruhig. In dem Moment, in dem Lena darüber nachdachte, ihren Beobachtungsposten zu räumen, tuckerte erneut ein Kleinwagen heran. Sie erkannte den Wagen der Spanierin, die sie angesprochen hatte. Verwundert sah sie das Auto auf die Zufahrt einbiegen und auf dem Hotelgelände verschwinden. Was die Frau dort wohl wollte? Weitere Fotos schießen? Lena griff nach ihrer Wasserflasche und trank den letzten Schluck. Danach packte sie den Rest ihrer Sachen zusammen. Die ganze Aktion war ein Schlag ins Wasser gewesen. Sie hatte nicht einen Hinweis gefunden, der sie weiterbrachte. Es fing bereits an, zu dämmern. Lena zog den Riemen ihrer Tasche quer über die Brust und legte die Decke und die leere Wasserflasche in den Korb ihres Fahrrads. Sie stieg auf, um noch ein Stück die Zufahrtsstraße hineinzuradeln, bis sie das Gebäude sehen konnte, und starrte angestrengt hinüber. Im Hotel gingen in den ersten Zimmern die Lichter an, doch die meisten der Zimmer blieben dunkle Rechtecke.

Ein völlig ausgebuchtes Haus sieht anders aus.

Lena wendete ihr Rad und war gerade wieder auf der Straße angekommen, als der Wagen der Spanierin hinter ihr auftauchte. Er kam mit überhöhtem Tempo die Zufahrt herauf, bog mit quietschenden Reifen ab, fuhr an ihr vorbei und verschwand aus Lenas Sichtfeld. Gleich darauf kam ein zweiter Wagen. Ein dunkler Audi schien dem Kleinwagen der Spanierin zu folgen. Lena trat in die Pedale, sie fühlte sich verschwitzt und sehnte sich nach einer Dusche und einem kühlen Getränk. Die Straße stieg zunächst ein kleines Stück an, um dann in einem weiten Bogen sanft abfallend um einen Hügel zu führen. Ein leichter Wind war aufgekommen und strich angenehm über ihre erhitzte Haut. Lena war kaum zwei Minuten unterwegs, als ein langgezogenes Hupen einsetzte. Es kam von dem Straßenabschnitt, der vor ihr lag. Mit einem Mal wurde ihr flau, sie legte noch einen Zahn zu. Als sie um eine der Kurven bog, sah sie, dass ihr Gefühl sie nicht getrogen hatte: Der weiße Wagen der Spanierin war von der Straße abgekommen und gegen einen Felsbrocken geknallt. Aus der Motorhaube stieg zischend Dampf auf. Sämtliche Türen waren geschlossen. Lena lenkte ihr Rad direkt hinter den Wagen, sprang ab und rannte zur Fahrertür. Die Spanierin saß dort, wirkte benommen, ihre Hände glitten fahrig über das Lenkrad.

Lena riss die Tür auf und öffnete den Sicherheitsgurt, damit die Frau aussteigen konnte. Die taumelte aus dem Wagen, kreidebleich, wankte zur Seite und wäre gefallen, wenn Lena sie nicht gehalten hätte.

»Sind Sie in Ordnung? Soll ich einen Krankenwagen rufen?«

Die Spanierin hob die Hände. »Schock.«

»Hatten Sie einen Schwächeanfall beim Fahren?«

Auf dem Rücksitz des Wagens lag eine Flasche Wasser. Lena griff danach und hielt sie der Verunglückten hin. Die trank ein paar Schlucke und ließ den Kopf hin und her pendeln, wie, um ihre Benommenheit abzuschütteln.

»Jemand hat mich beim Überholen geschnitten, dadurch bin ich von der Spur abgekommen«, stammelte sie.

Lenas Blick glitt zum linken vorderen Kotflügel. Er war verbeult. Ein Kältegefühl stieg in ihrer Brust auf.

»Ein dunkler Audi?«

Die Frau rieb sich das Brustbein, als habe sie dort Schmerzen.

»Dunkel auf jeden Fall.« Jetzt wirkte sie ansprechbarer. Sie besah sich die demolierte Motorhaube.

»Der kam hinter Ihnen aus der Zufahrt zum Hotel. Hatte einen Affenzahn drauf.«

»Sie meinen, das war Absicht? Ich glaube an eine Unachtsamkeit.«

»Sie sollten die Polizei einschalten.«

»Ja, das werde ich wohl«, antwortete die Spanierin nach kurzem Zögern.

Sie ging um den Wagen herum. Ein Reifen war platt. »Damit komme ich nicht mehr weiter«, stellte sie fest.

»Gibt es einen Pannenservice hier auf der Insel?«

»Ich kenne jemanden, der den Wagen abschleppt und ihn repariert. Brauche nur mein Mobiltelefon.« Die Frau öffnete mit einigen Schwierigkeiten die Tür auf der Beifahrerseite und holte ihre Handtasche heraus. Daneben lag eine Kamera.

»Haben Sie wieder Fotos gemacht?«

»Ja«, antwortete die Spanierin. »Dieses Mal scheint jemand damit nicht einverstanden gewesen zu sein. Ich bin abgehauen, als ein sehr unfreundlicher Mann auf mich zukam.«

Sie tippte eine Nummer an und sagte gleich darauf ein paar Sätze in schnellem Spanisch. Dann seufzte sie. »Der Mann von der Werkstatt kann nicht gleich kommen, ist gerade auf der anderen Seite der Insel.« Ihre Augen blickten nachdenklich auf den Wagen. Den würde sie stehen lassen müssen.

»Steigen Sie auf. Ich bringe Sie mit dem Rad in den Ort«, bot Lena an.

»Carmen.«

»Lena.« Lena ergriff die entgegengestreckte Hand.

»Danke«, sagte Carmen, als sie zwanzig Minuten später mit immer noch leicht schmerzverzerrtem Gesicht vom Rücksitz des Fahrrads stieg.

»Gehen Sie zum Arzt«, riet Lena ihr. Die Spanierin nickte auf eine alles andere als überzeugende Art und verschwand durch die Eingangstür des Appartementhauses, in dem sie wohnte.

Lena seufzte und fuhr zu ihrer Pension. Die Sache gefiel ihr nicht.

Leise Wut

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