Читать книгу Leise Wut - Cornelia Härtl - Страница 25
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ОглавлениеHitze, Durst, Hunger und das Gefühl dringend pinkeln zu müssen, hatten sich einige Stunden lang abgewechselt. Tatsächlich waren keine weiteren Badegäste angekommen. Lena war sich sicher, dass der freundliche Familienvater sie angelogen hatte. Sie hatte den Standort gewechselt und ihren Wagen oberhalb des Kleinbusses an der Straße geparkt. Als die drei Familien am Nachmittag vom Strand nach oben kamen, schien keiner von ihnen mehr an die Frau zu denken, mit der sie fast ihre kleine Bucht hätten teilen müssen. Fröhlich wirkten sie, ausgelassen. Die Zwillinge knufften einander, die Frau mit dem Baby wirkte beseelt. Lediglich das Paar mit dem Kleinkind schien nicht ganz so guter Laune. Der Mann und die Frau würdigten sich keines Blickes und er räumte die Badesachen mit verkniffener Miene und eckigen Bewegungen in den Wagen.
Lena folgte ihnen in einigem Abstand. Es herrschte kaum Verkehr auf der Straße, sodass sie nicht gezwungen war, dicht aufzufahren. Andererseits musste sie genau deswegen aufpassen, nicht gesehen zu werden.
Nach zehn Minuten Fahrt bog der Kleinbus auf einen schmalen, asphaltierten Seitenweg ein. Lena fuhr zunächst an der Abzweigung vorbei, wendete und folgte dem Bus. Ihrer Berechnung nach konnte die Straße, der sie folgte, nicht sehr lang sein. Sie führte direkt aufs Meer zu und sie waren nicht weit entfernt davon. Tatsächlich tauchte schon nach kaum hundert Metern ein dreistöckiger Gebäudekomplex auf, der von einer halbhohen, sandfarbenen Mauer umgeben war. Dahinter hatte man locker stehende Büsche gepflanzt, die in ein paar Jahren einen dichten grünen Sichtschutz bilden würden. Der Kleinbus war hinter einer hohen, gemauerten Durchfahrt verschwunden, dessen schmiedeeisernes Tor weit offen stand. Lena wartete eine Weile ab, bevor sie ihm folgte. Zunächst passierte sie ein halb fertig gestelltes Gebäude. Achteckig und mit einer halbrunden Kuppel versehen wirkte es, als sei hier ein Wellnesstempel geplant gewesen. Der wirkte, genau wie ein Tennisplatz und etwas, das aussah wie ein Amphitheater, traurig und verlassen. Dem Zustand nach hatte man die Bauarbeiten bereits seit längerer Zeit eingestellt. Vermutlich war den Investoren das Geld ausgegangen. Sie fuhr im Schritttempo weiter, umrundete einen schmalen Seitenteil des rechteckigen Gebäudes. Der Eingang lag in einem einstöckigen Gebäudeteil auf der landabgewandten Seite, vor ihm öffnete sich der Weg zu einer breiten Zufahrt. Im Bereich hinter der gegenüberliegenden Schmalseite war ein Parkplatz angelegt, auf dem rund ein Dutzend Wagen geparkt waren. Dort stand inzwischen auch der Kleinbus, aus dem der Fahrer kletterte. Lena erkannte den schlecht gelaunten Vater des Kleinkindes. Da er alleine war, hatte er den Rest der Gesellschaft wohl schon direkt am Eingang abgesetzt. Lena fuhr im Schritttempo am Eingangsbereich vorbei ebenfalls auf den Parkplatz. Sie stieg aus und blickte sich um. Die landabgewandte Seite des Hotels zeigte direkt zum Meer. Die Stelle, an der sie stand, bot über die Mauer hinweg einen atemberaubenden Ausblick aufs Wasser. Genau gegenüber vom Hoteleingang führte an den Klippen eine grob in den Stein gehauene Treppe zwischen Handläufen aus dickem Seil auf eine winzige Bucht mit hellem Sandstrand hinunter. Sie drehte sich um. Drei Stockwerke hoch war der Gästetrakt, auf jedem Stockwerk schätzungsweise fünfzig Zimmer oder Appartements. Kein Wunder musste sich ein Teil der Gäste andere Badeplätze suchen. Sie rief das Foto von Shaenna mit den Fahrrädern auf ihrem Smartphone auf und dachte: »Bingo!«. Es war genau vor diesem Haus aufgenommen worden. Heller Sandstein, alles Naturtöne. Nur der Hotelname, den man auf dem Foto noch halb erkennen konnte, fehlte. Nirgendwo stand jetzt Naranja Azul angeschrieben. Die Fassade am Zugang war zudem frisch verputzt worden, sodass jeder Hinweis auf eine frühere Beschriftung fehlte.
Das konnte natürlich daran liegen, dass das Haus verkauft worden war. Neue Besitzer, neuer Name. Darum hatte sie es nicht mehr im Internet gefunden. Aber woher kannte Angelika Kiewitz den alten Namen? War sie schon einmal hier gewesen?
Lena steckte das Smartphone weg, warf die Baseballkappe in den Wagen und nahm ihre Sonnenbrille ab. Zwar rechnete sie nicht damit, dem Familienvater vom Strand zu begegnen, und falls doch, hoffte sie, nicht erkannt zu werden. Sie ging zum Eingang zurück und betrat das Hotel durch eine hohe, gläserne Schiebetür. Der Empfang befand sich auf der linken Seite, rechter Hand hatte man eine kleine Sitzecke eingerichtet.
»Buenos Dias«, wurde sie begrüßt. Die Rezeptionistin war jung und trug das lange dunkle Haar zu einem Dutt geschlungen. Sie sah Lena neugierig an und antwortete ihr auf die Frage nach einem Zimmer mit einem bedauernden Kopfschütteln. Sie sprach Englisch mit einem starken spanischen Akzent und erklärte, das Hotel sei komplett ausgebucht.
»Ist das hier das Naranja Azul?«, wollte Lena wissen. Die Miene der jungen Frau veränderte sich fast unmerklich. Sie schüttelte den Kopf.
»Aber das war doch hier, oder?« Die Rezeptionistin blickte hilfesuchend um sich, bevor sie leise erklärte, sie sei erst seit Kurzem hier beschäftigt.
»Okay«, meinte Lena gedehnt. »Dann trinke ich noch einen Kaffee, bevor ich fahre.«
»Das Café ist nur für Gäste des Hauses«, beeilte sich die Empfangsangestellte, zu erklären.
Lena hob erstaunt die Brauen. »Ach so«, brachte sie hervor. Etwas seltsam war das hier schon. Sie sah keinen Hotelprospekt, keine Visitenkarten, überhaupt keinerlei Werbematerial für das Haus auf dem Tresen herumliegen.
»Okay«, meinte sie. Die Empfangsdame lächelte verkrampft, bevor ihre Aufmerksamkeit durch das Klingeln eines Telefons in Anspruch genommen wurde. Lena trat vom Empfang weg, wandte sich aber nicht nach rechts, zur Tür, sondern nach links. Dort befand sich ein Durchgang, der direkt auf den großzügigen Innenhof führte. Von dort hörte man Stimmen, Lachen und das Kreischen von Kindern. Ein kurzer Blick zum Empfang. Die Mitarbeiterin war mit etwas beschäftigt und hielt die Augen gesenkt. Lena überlegte nicht, sie durchquerte den Durchgang, dessen Glastüren passenderweise offen standen und befand sich gleich darauf in dem Teil des Geländes, in dem der Pool lag. Ein schöner, großer Pool, hellblau gekachelt, umstanden von Liegen und Sonnenschirmen auf einem gepflegten Rasen. Rechterhand konnte man an einem Pavillon Eis und Getränke kaufen, auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein Häuschen, aus dem gerade jemand mit einem Stapel Pooltüchern in der Hand kam. Etliche Familien mit kleinen Kindern befanden sich hier, die plantschten im Kinderbecken, das sich direkt an das Becken der Erwachsenen anschloss. Lena hob den Blick. Auf den meisten Balkonen hing Badekleidung auf den sauber an den Seiten gestellten Trockengestellen. Viele Fenster und Türen waren geöffnet. Dennoch wirkte das Hotel höchstens zur Hälfte bewohnt.
Lena war inzwischen bemerkt worden, einige Gespräche verstummten, einige Köpfe wandten sich ihr zu. Ein merkwürdiges Gefühl überkam sie. Als würde sie durch die Blicke der Menschen in ein Netz eingesponnen. Sie wandte den Kopf, wollte gerade zu der Poolbar hinübergehen, um trotz des Hinweises der Rezeptionistin zu versuchen, dort einen Kaffee zu trinken. Dabei würde sie die anwesenden Männer genauer unter die Lupe nehmen. War einer davon der, den sie suchte?
Jemand trat hinter sie. Ein Kellner. Er trug ein weißes Hemd und eine schwarze Hose, dazu ein freundliches Lächeln. Doch er fragte nicht nach ihren Wünschen.
»Dieser Bereich ist für Hotelgäste reserviert«, stellte er klar und wies mit einer leichten, aber unmissverständlichen Geste auf den Durchgang zurück in die Empfangshalle. Lena nickte knapp. Es machte keinen Sinn, einen Aufstand zu machen. Sie wusste, sie würde zurückkommen müssen, aber jetzt hatte sie noch keinen Plan, wie sie das anstellen sollte.
Als sie zu ihrem Wagen zurückging, bemerkte sie auf dem Parkplatz eine andere Frau. Kleiner als sie, vermutlich ein paar Jahre älter. Glattes dunkles Haar, das mit einem breiten Reifen aus dem Gesicht gehalten war. Ein helles Leinenkleid, die typischen Menorca-Sandalen. Die Frau hatte einen Fotoapparat in der Hand, als habe sie gerade ein paar Bilder geknipst. Nun stand sie gegen die Kühlerhaube ihres weißen Wagens gelehnt und musterte Lena interessiert.
Die ging vorbei zu ihrem Auto. Wenig später befand sie sich wieder auf dem Weg zurück nach Cala Morell. Jetzt hatte sie das Hotel gefunden, aber es nützte ihr nichts. Sie würde einen Plan brauchen, um herauszufinden, ob Angelika Kiewitz` Freund sich dort aufhielt.