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Spielen und Lernen verbinden – mit spielbasierten Lernumgebungen Markus Kübler und Cornelia Rüdisüli 1 Einführung
ОглавлениеDer Diskurs über das Spielen von jüngeren Kindern und die Wirklichkeit könnten in keinem grösseren Widerspruch stehen: In medialen Schlagzeilen und in gut verkauften Büchern beschwören Forschende und Erziehende die entscheidende Stellung des Spiels für die Entwicklung in der Kindheit (NLL 2015, Stamm 2016, Zimpel 2011). Crowley (2017) nennt dies das «play ethos». Auf der anderen Seite ist der Anteil der Frühförderung durch direkte Instruktion im Alltag der Kinder stark angestiegen (Blaurock et al. 2014, Edelmann et al. 2018, Stamm 2016). Diese Entwicklung, dass auch 3- bis 5-jährige Kinder in Vorschuleinrichtungen mittels direkter Instruktion in Sprache und Mathematik einer Frühförderung unterzogen werden, ist ganz besonders in den angelsächsischen Ländern anzutreffen (Singer et al. 2009; Hirsh-Pasek et al. 2011; Whitebread et al. 2012; Nicolopoulou 2019). Auch die Ausdehnung überbauter Flächen in der kindlichen Umwelt behindert das freie Spielen der Kinder; deshalb spricht man von einer «Verhäuslichung» und «Verinselung» der Kindheit (Hauser 2016, 41; Meyer 2012; Hüttenmoser 1995/2015; Heimlich 2015, Wannack 2006).
Das Plädoyer für das kindliche Spiel als Entwicklungsmotor und Lernmodus der Kinder hat eine hohe innere Plausibilität: Spielen ist eine allen Menschenkindern innewohnende Tätigkeit. Auch die meisten Säugetierkinder spielen extensiv: Junge Katzen jagen einem Wollknäuel nach und Murmeltierkinder balgen sich ausgiebig. Also muss das Spielen in der Entwicklung von höheren Lebewesen einen evolutionären Vorteil bieten. Die biologische Funktion ist evident: Spielen ist das Einüben später benötigter überlebenswichtiger Fertigkeiten (Kämpfen, Dominanz, Jagen, Fangen, Springen usw.), obwohl dies im Augenblick des Spiels den Spielenden nicht bewusst ist (Hauser 2016). Spiel ist demnach eine Aneignung der Welt (Oerter 2008; Duncker 2015). Diese offensichtliche Funktion des Spiels für die Entwicklung der Kinder lässt sich empirisch nur schwer nachweisen. Das freie Spiel und das freie Explorieren scheinen nicht diejenigen Effekte zu zeigen, die aufgrund obiger Annahmen messbar sein müssten (Alfieri et al. 2011; Fisher et al. 2013; Hirsh-Pasek 2018; Mayer 2004; McInnes et al. 2011; Pellegrini 1998; Skolnik Weisberg 2018; Weisberg et al. 2016; Whitebread et al. 2017). Auf der anderen Seite ist aus verschiedenen Studien bekannt, dass eine Vorverlegung des systematischen Lernens durch direkte Instruktion in den Kindergarten entweder zu keinen oder lediglich kurzfristigen Effekten führt (Alfieri et al. 2011; Dollase 2007; Shuey et al. 2018; Weisberg et al. 2013; Thomas et al. 2006; Stern 2009; Marcon, 2002).
Was ist also zu tun? Diese Befunde scheinen auf den ersten Blick einen unlösbaren Widerspruch zu etablieren: Das freie Spiel ist eher ungeeignet für den lernzielorientierten Kompetenzerwerb, während das systematische Lernen mittels direkter Instruktion auch keinen günstigen Weg für jüngere Kinder darstellt. Ist spielerisches Lernen tatsächlich mit einem an Lernzielen orientierten Lernen vereinbar, wie im Lehrplan 21 postuliert wird? – Dieser Frage wollen dieser Einleitungsbeitrag und die nachfolgenden Kapitel im Buch nachgehen. Wir zeigen auf, dass zwischen freiem Spiel und direkter Instruktion ein Weg existiert, der Spielen und Lernen verbindet – mittels spielbasierter Lernumgebungen. Dazu klären wir zuerst die Stellung des frühen Lernens im deutschschweizerischen Lehrplan 21, dann die Frage nach spielbasierten Lernumgebungen und «Spielen» als begrifflichem Konstrukt, um uns schliesslich den didaktischen Folgerungen zuzuwenden.