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Ein Pfarrer verschwindet

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„Rüdiger Sornig“ stand in großen Lettern auf dem Flip-Chart. Darunter sammelte Kriminalkommissarin Sabine Kerkenbrock Stichworte wann, wo und von wem zuletzt gesehen, allgemeiner Gemütszustand, Feinde, Geheimnisse.

„Die Familie haben wir letzte Woche ja nun wirklich schon genug malträtiert.“, sagte sie, „Aber vielleicht findet sich ein Hinweis an seinem Arbeitsplatz.“

„Welchen Arbeitsplatz meinen Sie, Kerkenbrock?“, fragte Kriminalhauptkommissar Stefan Keller unwirsch, „Die Kanzel, das Gemeindehaus, das Pfarrbüro oder das Kreiskirchenamt?“

„Ich spreche nicht von Steinen, Sie alter Erbsenzähler, ich spreche von Menschen. Wir müssen alle befragen, die sich in der Kirchengemeinde auskennen: Verwaltungsfachkraft, Kirchenmusik, Kirchmeister, Vorsitzende der Frauenhilfe, Jugendmitarbeiter...“

„Hören Sie bloß auf! Ich habe dieses Christenpack zum Kotzen satt. Wahrscheinlich ist der Pastor beim Nacktbaden im Baggersee ertrunken und taucht in wenigen Tagen oder Wochen als schmucke Wasserleiche wieder auf.“

„Dann müssen wir ihn doch aber trotzdem suchen.“

„Nicht wir. Die Vermisstenstelle. Wir sind die Mordkommission.“

„Aber wir müssen doch zumindest prüfen...“

„Falsch! Die Vermisstenstelle muss prüfen. Wenn die einen deutlichen Hinweis auf Mord finden, können sie den Fall an uns weiterreichen. Aber Köhnemann ist wie eh und je unfähig, darum hat Matzek uns den Fall übertragen, denn Pfarrer gehen nicht mal eben Zigaretten holen. So hat er es jedenfalls ausgedrückt.“

„Also müssen wir doch ermitteln.“

„Ja, müssen wir. Am besten wir klappern heute Vormittag Gemeindebüro, Küster, Kirchenmusik und Kreiskirchenamt ab und begeben uns nachmittags und abends ins Gemeindehaus; vorausgesetzt, da treffen sich welche.“

Im Kreiskirchenamt wusste man wenig über Rüdiger Sornig zu sagen. Er sei ganz normal, sagten die Verwaltungskräfte, wie ein Pfarrer eben normal sein könne. Etwas kauzig vielleicht, mehr so ein Künstler, denn ein Seelsorger, manchmal sei es schwierig, ihm Verwaltungsabläufe klar zu machen, an die auch er sich halten müsse. Aber er sei immer freundlich, immer angemessen im Umgang.

Die Superintendentin schätzte ihn als verlässlichen Kollegen, der auch theologisch eine Menge drauf habe. Sie könne sich sein Verschwinden nicht erklären, ihm müsse etwas zugestoßen sein.

Der Küster sagte, er habe kein Problem mit dem Pfarrer, man arbeite friedvoll zusammen, da hätte er schon ganz andere erlebt. Die Mitarbeiterin im Gemeindebüro erklärte, er sei ein wenig schusselig und manchmal nicht ganz Herr der Lage, aber kein depressiver Typ, der sich etwas antun würde, schlimmstenfalls ein wenig antriebsschwach. Die Kirchenmusikerin, so gab sie Auskunft, sei nur nebenamtlich tätig, aber zur abendlichen Chorprobe wieder im Haus.

Keller und Kerkenbrock gönnten sich einen Mittagsimbiss im örtlichen China-Restaurant, bevor sie gegen 15.00 Uhr ins Gemeindehaus zurückkehrten. Dort traf sich die Frauenhilfe, für die eigentlich ein Referat des Pfarrers über die Entstehung des Buches Ruth vorgesehen war. Keller hatte den Eindruck, dass sie nicht gerade unglücklich darüber waren, anstelle eines mittelmäßigen, theologischen Vortrags eine spannende polizeiliche Befragung zu erleben und außerdem mehr Zeit für angeregte Gespräche bei Kaffee und Kuchen zu haben. Er blickte in ein Meer aus pflegeleichten Blümchenkleidern und Betonfrisuren und eine Wolke längst aus dem Sortiment genommen geglaubter Duftkombinationen waberte durch den Raum und stieg mal dezent, mal penetrant in seine Nase. Aufgeregt und trotz Blutdruck senkender Mittel erstaunlich rotwangig schnatterten die Damen jenseits der siebzig – in der Mehrheit sogar jenseits der achtzig – durcheinander, bis Keller um ihre Aufmerksamkeit bat. „Ist Ihnen an Ihrem Gemeindepfarrer in der letzten Zeit etwas Besonderes aufgefallen?“, fragte er in die Runde.

Betretenes Schweigen. Nach einer Weile hob sich zaghaft die Hand einer zarten Person, die sich zu Wort meldete.

„Sprechen Sie einfach.“, sagte Kerkenbrock. „Sie sind ja nicht mehr in der Schule.“

Ein amüsiertes Raunen ging durch die Reihen.

„Früher hat er manchmal ein bisschen im Garten gearbeitet. In letzter Zeit hat er das nur noch seiner Frau überlassen. Wenn man ihn überhaupt mal hinterm Haus gesehen hat, dann saß er in der Sonne und hat gelesen oder vor sich hin gestarrt.“

„Wird auch älter“, bemerkte eine vorwitzige, russisch Gold gefärbte Geronto-Blondine.

Einige wenige wagten ein leises Kichern.

„Also, so oft wie der am Obersee spazieren geht, glaube ich nicht, dass der noch viel mit seiner Frau zu schaffen hat.“, bemerkte eine rundliche Dame mit schneeweißer Kurzhaar-Frisur.

„Also Erika Winterhoff hat ja erzählt, dass sein Auto schon öfter am Tierpark stand und das von der Kindergarten-Leiterin direkt daneben.“

„Was macht Erika denn in Olderdissen?“, fragte eine aufgebrezelte Mittsiebzigerin, die ihre tiefen Gesichtsfalten mit Make-up auszugleichen versuchte und das unausweichliche Ergrauen der Kopfhaare mit einem aufregenden Auberginenton verdeckt hatte.

„Die kümmert sich doch um ihre Enkel und fährt mit denen oft da hin. Und da hat sie die beiden Autos wohl schon öfter nebeneinander stehen sehen.“

„Denkst du, der trifft sich mit seinem Liebchen in Olderdissen zum Schäferstündchen und die Bären dürfen zugucken?“, fragte die Auberginen-Oma und Laute der Entrüstung mischten sich mit zotigem Gelächter.

„Ach, das glaube ich alles nicht.“, mischte sich eine besonders vernünftig wirken wollende Dame ein. „Sicher haben die mal in Ruhe etwas besprechen wollen und das hat sich mit dem Tierpark irgendwie so ergeben. Vielleicht war es einmal Zufall, beim nächsten Mal verabredet. Und aus zwei Mal beide Autos am gleichen Ort wird dann schnell ein dauernd.“

„Durchgebrannt ist er mit der Hillenkötter jedenfalls nicht.“, bemerkte die Auberginen-Oma. „Die habe ich heute Morgen noch gesehen.“

Da die muntere Runde nichts Zielführendes beizusteuern hatte, wanderten die Kommissare in die Jugendetage, wo zwei schüchterne Schülerinnen eine Jungschargruppe vorbereiteten. „Ich habe ihn letzte Woche Mittwoch abends am Obersee getroffen, da wirkte er irgendwie abwesend.“, erklärte eines der Mädchen.

„So als hätte er etwas Schlimmes erlebt?“, erkundigte sich Kerkenbrock.

„Nein, mehr so, als würde er über etwas nachdenken und gar nicht merken, was um ihn herum passiert. Er sah auch eher fröhlich als verschreckt aus.“

Sie suchten den Kirchmeister auf, denn im Gemeindehaus würde in den kommenden Stunden niemand anrücken, mit dem zu reden sich lohnen könnte.

Der Kirchmeister war ein seit sechs Monaten in den Ruhestand versetzter, ehemaliger Industriekaufmann, der aber bereits seit einer Legislaturperiode die Finanzen der Gemeinde verwaltete und vor kurzem wieder gewählt worden war. Gastfreundlich wie kirchliche Menschen meistens sind, bot er den Beamten Kaffee und Gebäck an und nahm mit ihnen im Wohnzimmer Platz.

„Gibt es aus Ihrer Sicht irgendwelche Vorkommnisse oder Auffälligkeiten, die ein Verschwinden Ihres Pfarrers erklären könnten?“, fragte Keller den Presbyter.

„Ich glaube, da kann ich Ihnen leider nicht weiter helfen. Ich kann mir selbst nicht erklären, wie jemand einfach so spurlos verschwinden kann. Dienstagmorgen hat meine Frau ihn noch beim Brötchen holen getroffen und er machte einen ungewöhnlich fröhlichen Eindruck auf sie. Am frühen Abend hatten wir dann eine Besprechung angesetzt, zu der er nicht erschien und ich dachte, er habe es einfach vergessen, aber dann hörte ich, dass er am Nachmittag auch die Konfirmandengruppe versetzt hatte. Ich habe bei ihm zu Hause angerufen, um zu fragen, was los sei und seine Frau fiel aus allen Wolken, weil sie überzeugt war, er sei dienstlich unterwegs. Sie hat dann sofort die Polizei verständigt, aber da hat man ihr ja mitgeteilt, dass vor Ablauf von 24 Stunden ohne besonderen Grund niemand nach einem Erwachsenen suche. Sie ist wohl selbst überall herum gefahren, nachdem sie stundenlang telefoniert hat, aber alles ohne Erfolg und ohne jegliche Spur von ihrem Mann. Na ja, und Mittwochnachmittag waren Sie dann ja bei ihr. Also wir sind alle ganz verzweifelt.“

„Seine Frau hatte vielleicht weniger Ahnung von seinen Geschäften als Sie als Kirchmeister. Als Pfarrer wird man doch sicher nicht von allen geliebt, da macht man sich doch auch mal Feinde. Gerade in Zeiten knapper Finanzmittel gibt es doch jede Menge Konflikte. Hat er sich mit irgendwem angelegt?“

„Nein, so einer war er nicht. Wenn er sich überhaupt Feinde gemacht hat, dann eher dadurch, dass er den Konflikten aus dem Weg gegangen ist. Ich glaube, er ist Pfarrer geworden, weil er es nur noch mit den Guten zu tun haben wollte. Als er dann feststellen musste, dass es in der Kirche auch gelegentlich sehr böse Menschen gibt, hat er einfach die Augen davor verschlossen. Er war ein Träumer und manchmal hat ihm das jemand übel genommen, weil Missstände einfach nicht angegangen wurden.“

„Wer zum Beispiel?“

„Zum Beispiel der Elternrat im Kindergarten. Es gab da wohl eine Mitarbeiterin, die bei den Kindern sehr beliebt war, aber vom gesamten Team gemobbt wurde. Die Leitung bekam das auch nicht in den Griff. Am Ende hat die Mitarbeiterin gekündigt und musste sich in psychologische Behandlung begeben. Das Kita-Team gilt nach wie vor als äußerst stutenbissig, wenn ich das mal so sagen darf – das muss natürlich unter uns bleiben - und er als Dienststellenleiter müsste da eigentlich Maßnahmen ergreifen, also die Verursacherinnen ermitteln und abmahnen, Teambildungs-Maßnahmen anordnen, seelsorgerliche Gespräche mit Betroffenen führen. Aber er wischte die Probleme beiseite, sagte, das werde alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht würde und renke sich schon wieder ein. Er ging lieber einmal die Woche dort hin, hielt seine Andacht für die Kinder, repräsentierte die Gemeinde bei Festen und betonte im Presbyterium immer wieder, dass er sich als Vorgesetzter hinter seine Mitarbeiterinnen stellen müsse.“

„Wie kommt er mit der Leiterin aus?“, fragte Kerkenbrock.

„Die haben ein gutes Verhältnis. Er ist auf ihrer Seite und sie weiß das zu schätzen.“

„Halten Sie es für vorstellbar, dass Pfarrer Sornig eine Liebesaffäre zu der Kindergartenleiterin oder einer anderen Frau unterhält?“

Der Kirchmeister blickte konsterniert drein. „Wie kommen Sie denn darauf?“, fragte er.

„Uns sind da Gerüchte zu Ohren gekommen.“

„Ja, so etwas denken die Leute sich gern aus. Es passiert ja auch nicht viel in unserem kleinen, verschlafenen Stadtteil, außer dass im Ghetto nebenan zwei Betrunkene sich gegenseitig verprügeln. Ich denke, Pastor Sornig ist nicht der Typ für so etwas. Meine Hand für ihn ins Feuer legen kann ich natürlich nicht, aber ich denke, da hat irgendjemand eins und eins zusammengezählt und vier herausbekommen.“

„Tja, dann vielen Dank erst einmal. Wären Sie vielleicht so nett, Ihre Finanzen noch einmal gründlich zu prüfen, ob es da irgendwelche Unregelmäßigkeiten gibt?“

„Gäbe es da irgendwelche Unregelmäßigkeiten, wüsste ich es längst, da muss ich nichts prüfen. Pastor Sornig hat so gut wie keinen Zugriff auf die Finanzen, falls sie erwägen, er könne mit der Kollekte durchgebrannt sein.“

Vor dem Abendtermin suchten die Polizeibeamten noch einmal das Präsidium auf und kümmerten sich um einen Teil der sich auf dem Schreibtisch türmenden Verwaltungsangelegenheiten, bevor sie in das besagte Gemeindehaus zurückkehrten.

Die Mitglieder des Kirchenchores trudelten ein und Keller stellte zischend fest: „Was die Damen heute Nachmittag zu wenig im Kopf hatten, ist bei denen hier offensichtlich zu viel.“

„Wie kommen sie denn zu der Schlussfolgerung?“, fragte Kerkenbrock.

„Na, die Omas haben ja schon eine Menge Blödsinn vom Stapel gelassen, aber die hier machen auf mich alle den Eindruck, als wären sie Lehrer, Ärzte, Anwälte, Professoren und so weiter.“

„Bildungsbürger, meinen Sie.“

„Ja genau.“

„Aber warum sollten die mehr im Kopf haben, als ein Mitglied der Frauenhilfe?“

„Weitaus mehr Bildung.“

„Na und? In unserem Land machen Leute Abitur, die eigentlich nicht bis drei zählen können und hochintelligente, problemlösungsbegabte junge Leute fallen durchs Raster unseres Bildungssystems. Diese verbildeten Eingebildeten können bisweilen so blöd sein, dass man nur noch fassungslos davor steht. Warten Sie’s ab. Die Omas eben waren witzig, aber wenn das hier so eine Bachkantaten-Abteilung ist, trinken Sie schnell noch einen Espresso, damit Sie gleich nicht einschlafen. Die Chorleiterin sieht jedenfalls stilecht aus, die habe ich eben schon ausgemacht.“

„Stilecht? Inwiefern?“

„Enger Rollkragenpullover, schlichter Mozartzopf, blasser Teint, ungeschminkt. Steht da vorne mit einem Stapel Noten.“

„Dann sind die vermutlich so mit ihren kulturellen Umtrieben befasst, dass die gar nicht mitbekommen, wenn ihr Pfarrer sich auffällig verhält?“

„Oh nein, Es gibt in jedem Kirchenchor den Bodensatz der Möchte-gern-Bildungsbürger. Leute mit Volksschulabschluss mit einfacher oder auch ohne Berufsausbildung, die gern dazu gehören möchten und sich so geben, sich an ihren Vorbildern orientieren, sie nachäffen, Konzerte besuchen und hinterher darüber reden, obwohl sie sich kaum auskennen, die Lippen pikiert zusammen pressen, wenn ein unflätiges Wort fällt und ihr sauer verdientes Geld in edle, englische Markenkleidung investieren, damit sie genauso aussehen wie der Herr Professor und die Frau des Herzchirurgen und auch mit dem gleichen Respekt behandelt werden. Sie bemühen sich, sich besonders gewählt auszudrücken, benutzen dabei aber die falschen Vokabeln, die sie zu allem Überfluss auch noch verkehrt aussprechen oder mit unpassenden Artikeln und Pluralformen versehen. So ein paar von der Sorte „Ich habe zwar kein Abitur, aber ich bin reich.“, gibt es dann auch noch, meistens Eigentümer gut durchgestarteter Betriebe, die es aus eigener Kraft geschafft haben. Die Männer sind oft nur harmlose, großspurige Schenkelklopfer, aber die Frauen sind die zickigsten Giftspritzen, die man sich vorstellen kann, schlimmer als in jedem vorhersehbaren Groschenroman.“

„Haben Sie das alles in der kurzen Zeit mitbekommen, in der sie ehrenamtlich in der Jugendfreizeitarbeit mitgewirkt haben?“

„Ach was. Meine Mutter hat im Kirchenchor gesungen. Die haben gemeinsame Ausflüge veranstaltet, auf die ich sie als Kind begleiten durfte. Als ich älter wurde, hat meine Mutter dann immer die schärfsten Schoten aus dem Chor zum Besten gegeben. Da gab es oft viel zu lachen.“

„Lassen Sie uns mal rein gehen, bevor die anfangen, sich einzusingen.“

„Hey Keller, Sie kennen sich ja richtig aus!“

Kerkenbrock sprach die Chorleiterin an, die dem Chor die Polizeibeamten vorstellte und ihnen dann die Regie überließ.

Doch in den betont kultivierten Kreisen des Kirchenchores wagte niemand, sich vor versammelter Mannschaft als Tratsch-süchtig zu offenbaren und so ernteten die Beamten nur ratloses Kopfschütteln und Schulterzucken. Erst als sie den Gemeindesaal frustriert verließen, eilte ein hochgewachsener, älterer Herr ihnen hinterher und rief: „Warten Sie einen Augenblick, mir ist da doch noch etwas eingefallen!“

Er stellte sich vor als Hartmut Seliger, er singe seit fünfzehn Jahren im Kirchenchor und kenne den Pfarrer auch aus Gottesdiensten und verschiedenen Gemeindekreisen, die er in den vergangenen beiden Dekaden besucht habe. Herr Seliger räusperte sich sichtlich verlegen, bevor er zur Sache kam: „Also vor ein paar Monaten gab es einen Reihe von Gesprächsabenden zum Johannesevangelium. Da ging es auch um die Sünderin, die beim Ehebruch erwischt worden war und gesteinigt werden sollte. Er brachte das Gespräch auf die Frage, ob es nicht normal sei, zumindest in Gedanken die Ehe zu brechen, so dass ich mich fragte, ob er es nicht schon tatsächlich getan hatte und versuchte, die Gemeinde in sich rechtfertigender Weise darauf vorzubereiten. Ich habe keine Ahnung, ob er eine Geliebte hat, mir ist auch nichts aufgefallen und auf die Gerüchte, die die Kindergartenleiterin betreffen, gebe ich nichts, aber er schien mir schon seit Längerem nicht mehr so recht bei der Sache, als sei er in die innere Emigration gegangen und mit etwas völlig Anderem beschäftigt.“

Die Beamten bedankten sich für die Aussage und gaben Seliger ihre Karte mit der Bitte, auch die anderen im Chor darauf hinzuweisen, dass man sie jederzeit über das Polizeipräsidium erreichen könne, falls noch jemandem etwas einfiele.

Am nächsten Tag war es dann soweit. Gegen Mittag erschien eine aparte junge Frau im Präsidium, die sich als Karin Hillenkötter vorstellte. Sie leitete den Kindergarten in der Gemeinde und hatte den Beamten etwas mitzuteilen: „Ich war seit längerer Zeit mit Herrn Sornig im Gespräch, weil es in unserer Kita einen äußerst brisanten Personalfall gab. Eine unserer Mitarbeiterinnen – Annette Rusch – steuerte zu einem gewissen Zeitpunkt offenkundig auf ein Burn-out-Syndrom zu. All meine Versuche, sie zu bewegen, sich professionelle Hilfe zu holen wies sie brüsk zurück. Sie arbeitete unzuverlässig, bisweilen sogar unverantwortlich und die Kolleginnen reagierten darauf nicht immer besonders feinfühlig, weil sich dadurch ja auch ihre Arbeitsbelastung enorm erhöhte und Frau Rusch ihre Fehler niemals zugab. Als sie schließlich tatsächlich zusammenbrach, warf sie mir und dem Team Mobbing und Bossing vor und wir haben eine Menge Ärger und wollen unbedingt vermeiden, dass es am Ende zu einem Rechtsstreit kommt. Nun hat Frau Rusch vor etwa zwei Wochen Herrn Sornig persönlich belästigt. Sie stand vor seiner Tür und verlangte ein Gespräch, dabei ist sie wohl sehr ausfallend geworden, so dass er sie schließlich seines Hauses verwiesen hat. Ich will keine falschen Verdächtigungen aussprechen, aber ich halte es für möglich, dass sie ihm aus Rache etwas angetan hat.“

Die Beamten nahmen die Aussage der Kita-Leiterin zu Protokoll und hatten Verständnis dafür, dass sie umgehend an ihren Arbeitsplatz zurückkehren musste. Gerade wollten sie den Kontakt zu der zu überprüfenden Person herstellen, da betrat

Regina Sornig zaghaft Kellers und Kerkenbrocks Büro.

„Guten Morgen Frau Sornig.“, begrüßte Keller sie. „Was können wir für Sie tun?“

„Gar nichts, fürchte ich.“, antwortete sie. „Aber vielleicht kann ich etwas für Sie tun, damit Sie den Fall abschließen können.“

„Setzen Sie sich doch!“

Die blasse Frau mittleren Alters nahm zitternd Platz. Dann begann sie zu reden: „Heute Morgen stand ein Mitarbeiter unserer Bank vor der Tür und bat mich um ein persönliches Gespräch. Er fragte mich, ob es mit rechten Dingen zugehe, dass eine erhebliche Summe vom Girokonto auf ein Konto im Ausland überwiesen worden sei. Ich erklärte ihm, dass mir davon nichts bekannt sei, dass aber mein Mann seit Dienstag verschwunden sei und fragte ihn, um welches Ausland es sich handele – und um welche Summe. Die Bank ist in Thailand und bei der Summe handelt es sich um acht Millionen Euro.“

Kerkenbrock schluckte. „Wie kommt er an so viel Geld?“

„Er hat es wohl im Lotto gewonnen. Ich habe danach seinen Schreibtisch durchsucht und den Zettel gefunden, den man von Hand ausfüllt, bevor er eingelesen wird und man diesen seltsamen Beleg bekommt, der aussieht wie aus dem Thermodrucker. Ich bin auf die Lotto-Seite gegangen und habe die Zahlen auf dem Zettel mit den Gewinnzahlen vom Wochenende verglichen. Sechs Richtige plus Superzahl. Er hat abgeräumt und ist damit abgehauen.“

„Sind Sie sicher, dass er das Geld überwiesen hat?“

„Er hat selbst den Flug gebucht.“

„Und für Sie hat er nichts zurück gelassen?“

„Doch, seine Klamotten, die Möbel, die Katze, die Kinder und die ganze Verantwortung.“

Kirche im Dunkeln

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