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Zerbrochene Flügel

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„Ich denke, Sie müssen uns aufs Präsidium begleiten.“, sagte Stefan Keller und fixierte die junge Frau, die mit Spiritus-Reiniger und Schwamm-Tuch am Fenster stand.

„Warum?“, fragte sie mit offenkundig geheuchelter Unschuld.

„Weil Sie da gerade Spuren beseitigen.“, erklärte Sabine Kerkenbrock und ging langsam auf sie zu. „Geben Sie mir bitte die Putzmittel.“, sagte die Beamtin, „die muss ich sicherstellen.“

„Aber wieso Spuren beseitigen?“, fragte Bianca Peper irritiert. Ihr gewaltiger Busen zuckte so sehr über ihrem hämmernden Herzschlag, dass man es auch auf einige Meter Entfernung erkennen konnte. Ihre grobporigen Pausbacken röteten sich und die Augen waren die eines zu Tode erschrockenen Kindes, wodurch ihre schulterlange, goldblonde Fönfrisur wie eine Schwebehaube als Bestandteil einer absurden Verkleidung wirkte. Sie begann sich zu rechtfertigen: „Sie waren doch gestern schon hier und haben alles abgesucht. Ich wollte jetzt nur die Fingerfarben zu Ende wegputzen, damit ist Bettina ja gestern nicht mehr fertig geworden.“

„Ist das wirklich das Erste, das Ihnen nach dem gewaltsamen Tod Ihrer Jugendreferentin einfällt?“, fragte Keller angeekelt.

„Wieso das Erste? Dann hätte ich das ja gleich gestern geputzt.“, verteidigte sich Bianca Peper.

„Das war ja kaum möglich.“, erinnerte sie Keller an die Tatsachen. „Wir waren ja hier. Und eigentlich dürften Sie immer noch nicht hier sein, weil das Dachgeschoss dieses Gemeindehauses nach wie vor versiegelt ist.“

„Aber das wusste ich nicht.“

„Das war ja kaum zu übersehen! Sie mussten das Siegel schließlich zerstören, um in die Spielwohnung zu gelangen.“

„Aber das habe ich gar nicht gesehen. Im Flur ist es total dunkel. Ich habe einfach die Tür aufgemacht und bin rein gegangen.“

„Wo waren Sie denn gestern zu dem Zeitpunkt, als Frau Wehmeier abstürzte?“

„Hier oben, auf der Toilette.“

„Wo war Frau Wehmeier, als Sie sie das letzte Mal sahen?“

„Sie turnte auf der Fensterbank herum. Ich habe noch gesagt, pass bloß auf Bettina, dass du nicht runter fällst, lass die Fenster von außen lieber vom Fensterputzer machen, aber Bettina meinte, dass sie nicht richtig sehen könnte, ob auch alles sauber ist von innen, wenn außen der ganze Dreck von den Bäumen klebt. Dann bin ich zur Toilette gegangen und als ich zurückkam, war Bettina nicht da. Ich bin nach unten ins Jugendcafé gelaufen und da schrien schon alle aufgeregt durcheinander und guckten aus dem Fenster. Simon und Carina waren schon direkt zu ihr hin gelaufen und haben einen Krankenwagen gerufen, aber der kam leider zu spät.“

„War denn sonst niemand im Raum, als Frau Wehmeier abstürzte?“

„Ich denke nicht, sie war wohl allein.“

„Wie lange waren Sie auf der Toilette?“

„Nur kurz.“

„Haben Sie auf die Uhr gesehen?“

„Nein.“

„Wir müssen Sie trotzdem bitten, uns aufs Präsidium zu begleiten.“, erklärte Kerkenbrock. „Wir brauchen eine DNA-Probe von Ihnen und außerdem die Kleidung, die Sie gestern getragen haben, dazu werden wir einen Beamten zu Ihnen nach Hause schicken. Ist da jemand, der uns die Kleidung aushändigen kann?“

„Ja, mein Freund ist da.“

„Der wird auch sicher wissen, was Sie gestern getragen haben.“

„Mir ist immer noch schlecht.“, sagte Kerkenbrock und nahm einen tiefen Zug aus ihrem Latte Macchiato-Becher.

„Glauben Sie von H-Milch mit Espresso wird das besser? Vielleicht sollten Sie sich lieber einen Kamillentee holen.“

„Quatsch, das ist ja mehr so eine Kopfgeschichte. Mit meinem Magen ist alles in Ordnung.“, erwiderte die junge Polizistin.

„An Totschlag im Affekt sollten Sie sich aber allmählich gewöhnen.“

„Es ist weniger die Tat, als das Motiv, das mir das Blut gefrieren lässt. Sie waren ja während des halben Verhörs draußen.“

„Dann erzählen Sie mir doch mal, was ich verpasst habe.“

„Also, nachdem Bianca Peper eingebrochen ist und unter unappetitlichen Schluchzern zugegeben hat, dass sie Bettina Wehmeier einen Stoß versetzt hat, der den tödlichen Sturz zur Folge hatte, brach das ganze Ungemach aus ihr heraus, das sie seit etwa zwölf Jahren mit sich herum schleppte. Als Wehmeier in die Gemeinde kam, war sie gerade achtzehn geworden, die Jugendreferentin war zehn Jahre älter und einerseits in einer Machtposition, andererseits aber auch noch jung, interessant und attraktiv genug, um einige der jungen Männer für sich zu interessieren. Bianca Pepers langjähriger Schwarm war der Jugendreferentin augenblicklich verfallen und die beiden begannen eine Affäre.“

„Wie alt war der Junge?“

„Neunzehn.“

„Also grenzwertig.“

„In der Tat. Tja, auf jeden Fall hatte Bianca Peper bis zu diesem Zeitpunkt das Gefühl gehabt, eine Heimat in der Jugendarbeit der Gemeinde gefunden zu haben, sie hatte Freunde, war anerkannt, übernahm immer mehr Verantwortung und damit auch die Leitung der Küche bei den Ferienspielen. Doch mit dem Wechsel der Leitung der Jugendarbeit wurde alles anders. Bettina Wehmeier machte ihr zunächst den Schwarm abspenstig und mischte sich dann immer mehr in Bianca Pepers Aufgaben ein. Peper leitete eine Kreativ-Gruppe, Wehmeier kritisierte die Wahl der Materialien und Methoden und drängte sich mit Vorschlägen auf. Bei den Ferienspielen wurde Peper zwar weiterhin in der Küche geduldet, aber auch hier bekam sie deutliche Kritik zu hören: zu wenig Gemüse, das falsche Salatdressing, zu viele Fertigprodukte, zu wenig vollwertig, nie war es gut genug, obwohl den Kindern das Essen schmeckte. Sie erzählte von Demütigungen in Form von barschen Zurechtweisungen vor der gesamten Mitarbeiterschaft, nicht Informieren bei privaten Unternehmungen, Insider-Gegiggel auf Kneipenabenden, bei dem sie immer das Gefühl hatte, man mache sich über sie lustig und Wehmeier war die treibende Kraft. Gestern kam es dann wohl zum Gipfel der Demütigungen: Beim Fensterputzen erklärte die Jugendreferentin der Ehrenamtlichen, sie werde für die Küche während der Ferienspiele eine Honorarkraft einstellen, die als professionelle Köchin in der Lage sei, ihren Ansprüchen an gesunde, kindgerechte Ernährung zu genügen und Peper könne sich überlegen, ob sie im pädagogischen Team mitarbeiten wolle, oder es vorziehe, einfach ihren Urlaub zu genießen. Es war ein Schlag ins Gesicht für Peper, hier war nämlich ihr wichtigster Anknüpfungspunkt an die Mitarbeiterschaft, und das pädagogische Team kam für sie nicht in Frage, weil sie mit der Zielgruppe nicht mehr auf Dauer zurechtkommt.“

„Was macht sie beruflich?“

„Sie arbeitet bei der Volksbank, steht unter enormem Druck und hat nicht mehr die Energie sich den Machtkämpfen auszusetzen, in die Kinder einen drängen, wenn man sie in einem Gruppenangebot täglich um sich schart. Aber sie würde gern weiterhin zum Team gehören, das sind ihre Freunde und nun gab ihr die Jugendreferentin einen Tritt in den Hintern. Sie fühlte sich in ihrer sozialen Existenz bedroht. Sie hat ihre Tat vermutlich als Notwehr empfunden.“

„Ich verstehe, warum Ihnen schlecht ist.“, kommentierte Keller das Gehörte. „Ist ja ekelhaft.“

„Vor wem der beiden ekeln Sie sich denn?“, fragte Kerkenbrock.

Keller grunzte. „Suchen Sie es sich aus.“

Kirche im Dunkeln

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