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Endstation Apfelbaum

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Den BMW hatte es vollkommen zerlegt. „Merkwürdiger Sozialarbeiter.“, überlegte Keller, der im schwarzen BMW zur Arbeit fährt.“

„Das Milieu färbt ab.“, erwiderte Konstanze Flegel. „Übrigens erkenne ich spontan nichts Auffälliges an der Leiche, außer dass er genauso zertrümmert ist wie sein Auto. Ich vermute, er hat das hier alles nicht mehr ertragen und voll auf den Baum zugehalten, man sieht ja keine Bremsspuren. Vielleicht waren auch Drogen im Spiel.“

„Wann weißt du mehr?“, fragte Keller.

„Frühestens Morgen.“

Im Jugendzentrum herrschte Betroffenheit. „Sind das etwas alles Christen?“, raunte Keller seiner Kollegin Kerkenbrock zu, denn die Anwesenden machten auf ihn einen türkischstämmigen Eindruck und bei dieser Einwanderergruppe waren Christen eine absolute Rarität.

„Woher soll ich das wissen? Vermutlich sind sie Muslime oder vielleicht Jesiden. Das ist in so einem Jugendzentrum doch egal.“

„Aber ist es nicht in kirchlicher Trägerschaft?“

„Na und?“

„Haben die Eltern da keine Angst, dass ihre Kinder missioniert werden?“

„Vielleicht in Gemeindehäusern, wo der CVJM wöchentlich Bibelkreise abhält, aber doch nicht hier. Das ist ein Haus der offenen Tür, bestimmt überwiegend von der Stadt finanziert. Das interessiert hier vermutlich niemanden, ob das Haus von der Kirche ist oder von der AWO. Hier gibt es ja nichts Anderes und irgendwo müssen die Jugendlichen schließlich hin.“

Ein dunkelhaariger Mann mit eindrucksvollen Trainingserfolgen im Bereich der Oberkörper-Muskulatur kam auf die Beamten zu.

„Sind Sie die Polizei?“, fragte er.

„Ja. Kriminalhauptkommissar Stefan Keller und das ist meine Kollegin Sabine Kerkenbrock. Und Sie sind?“

„Emre Ҫakal.“

„Arbeiten Sie hier?“

„Ja, ich mach' hier Theke, aber nur für Taschengeld. Morgen muss ich wieder Job-Center gehen.“

„Sie kannten Martin Unger?“

„Klar. Alle hier kannten Martin. Wir sind alle voll geschockt, dass das passiert ist. Martin ist immer voll vorsichtig gefahren und hat auch keinen Scheiß gemacht. Der hätte sich nie besoffen oder bekifft ans Steuer gesetzt. Das muss irgendwie ganz dumm gelaufen sein oder da hat einer nachgeholfen.“

„Halten Sie es nicht für möglich, dass er seinem Leben selbst ein Ende setzen wollte?“

„Sie meinen, ob er sich umbringen wollte?“

„Ja, genau.“

„Nee, Martin doch nicht. Der wollte morgen in Urlaub fahren, hat der sich voll drauf gefreut.“

„Haben Sie denn einen konkreten Verdacht, wer da nachgeholfen haben könnte?“

„Nee, weiß ich nicht.“

„Hatte er keine Feinde?“

„Doch, Fedder. Also hat er nicht drüber geredet, aber hab ich mal mitgekriegt als er mit Julia im Büro saß und sich aufgeregt hat.“

„Wer ist Julia?“

„Die arbeitet auch hier. Ist aber noch nicht da.“

„Worüber hat er sich denn aufgeregt?“

„Irgendwie ging es um „RAN“, das ist ein Projekt, da mach' ich auch mit, damit wir bessere Chancen haben, irgendwo genommen zu werden, wenn wir arbeiten wollen. Martin hatte irgendwann die Idee, hat alles organisiert und so. Dann kam Murat dazu, der macht auch was mit uns, das ist einer, der hat es echt geschafft und dann hat Fedder sich wohl überall eingemischt, immer seine Fresse in die Kamera gehalten, wenn einer von der Zeitung da war und Murat rausgeschmissen hat er auch.“

„Wer ist Fedder?“

„Der Boss von dem Projekt.“

„Aber hat das nicht Unger entwickelt?“

„Ja, schon, aber dafür braucht man ja Kohle und der Fedder, der ist wohl nicht der Boss von Martin, aber der Boss von Murat oder jetzt von Jochen, aber Jochen ist scheiße, der bringt's voll nicht. Und Der hat den Job wohl nur gekriegt, weil Fedder sein Schwager ist.“

„War das allen bekannt?“

„Auf jeden Fall wusste Martin Bescheid.“

„Dieser Fedder hat auf jeden Fall ein wasserdichtes Alibi.“, beklagte Kerkenbrock sich enttäuscht.

„Er muss ja nicht selbst an den Bremsen manipuliert haben.“, überlegte Keller. „So ein Sesselpupser wie der ist dazu vermutlich auch gar nicht in der Lage. Bestimmt gibt es unter den harten Jungs im Jugendzentrum den einen oder anderen, der noch eine Rechnung mit Unger offen hatte und den hat er angeheuert.“

„Dazu müsste er Kontakt zu den Jugendlichen haben, aber dafür ist er sich sicher zu fein. Der stellt sich effektvoll aufs Foto und weiß hinterher nur, wer neben ihm stand, weil die Presseleute das unters Foto geschrieben haben. Aber vielleicht kennt er jemanden, der jemanden kennt...“

Zufrieden zündete Jan-Hendrik sich eine Zigarette an. Die Polizei ermittelte also in Richtung Diakonie, bestenfalls noch unter den Schwarzköpfen im Jugendzentrum. Tja, so musste es Martin gehen: Wer sich immer wieder betont von der Kirchengemeinde distanzierte, der musste sich nicht wundern, wenn er nicht mehr mit ihr in Verbindung gebracht wurde. Jetzt würde bald ein anderer Wind wehen. Julia würde sich auch an einen völlig anders gestrickten Kollegen anpassen, die wollte einfach nur ihre Ruhe haben. Mit Murat, das hatte ja auch schon reibungslos funktioniert, seit Jochen da war, wehte auch bei dem Erfolgsprojekt ein anderer Wind. Er hätte Martin ja auch gern was angehängt, damit man ihn raus warf, aber der war einfach viel zu sehr auf der Hut gewesen. Musste er eben den finalen Abgang machen, das hatte er jetzt davon. Und wer kam schon darauf, dass einer, der am Wochenende an seinem Modellauto bastelt, sich auch mit großen Motoren auskennt, wenn er doch die Woche über am Schreibtisch sitzt? Wenn sie überhaupt einen dingfest machen würden, dann einen von den verfluchten Schwarzköpfen, am besten gleich den ganzen Haufen und dann würde hier vielleicht endlich mal wieder so etwas wie Gemeindejugendarbeit entstehen.

Konstanze Flegel betrat das Büro der Kriminalkommissare. „Die haben bei der KTU was Unglaubliches gefunden: Im Motorblock steckte ein Stofftaschentuch. Ist noch nicht ganz verkohlt und jede Menge Rotz drin, aus dem ich die DNA isolieren kann.“

Keller stöhnte genervt und sagte dann: „Ohne Ermittlungsansatz ist das aber die berühmte Nadel im Heuhaufen. Außerdem war der Mörder entweder ein totaler Idiot, dass er sein Taschentuch vergessen hat oder er hat gezielt das Taschentuch eines Anderen platziert, um den Verdacht auf ihn zu lenken.“

„Wer rechnet denn damit, dass von der Rotzfahne was übrig bleibt?“, fragte Kerkenbrock unwirsch.

„Gibt's ein Monogramm?“, erkundigte sich Keller.

Konstanze Flegel blickte ihn ungläubig an: „Sind wir Teil eines sechziger Jahre-Krimis?“

„Hätte ja sein können. Aber wer benutzt heute noch Stofftaschentücher?“

„Ein paar Nerds und vermutlich adrette, unauffällige Reaktionäre“, überlegte Kerkenbrock. „die sich nach den guten alten Zeiten sehnen, ihre Bakelit-Lichtschalter bei Manufactum bestellen und heimlich AfD wählen.“

„Meinen Sie, solchen Vögeln wäre Unger ein Dorn im Auge?“, fragte Keller.

„Aber ganz bestimmt. Die wollen Konfirmanden-Gruppen in ihrem Jugendzentrum sehen, keine perspektivlosen, kirchenfernen Jugendlichen, schon gar nicht solche aus einem anderen Kulturkreis.“

„Aber ist die Suche da nicht auch uferlos?“

„Nicht unbedingt. Wir fangen beim Kern der Kirchengemeinde an: Pfarrer und Presbyterium und arbeiten uns dann in konzentrischen Kreisen immer weiter nach außen vor, aber vielleicht wird das gar nicht nötig sein und wir werden schon am Anfang fündig.“

Keller streckte sich so gut es eben ging auf dem Beifahrersitz aus. Er war eine ganze Stunde bei der Kriminaltechnik gewesen und hatte sich eingehend mit den Spuren am Autowrack beschäftigt. „Zu wem fahren wir jetzt eigentlich?“, fragte er seine junge Kollegin. „Ich habe Sie die ganze Zeit machen lassen und bin gar nicht im Bilde. Haben Sie das Presbyterium zusammen getrommelt?“

„Nein, wir suchen zuerst den Jugendpresbyter auf, der wird sicher mehr wissen als alle anderen.“

„Und wie heißt der?“

„Jan-Hendrik Ohlendorf.“

Kirche im Dunkeln

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