Читать книгу Carl Laemmle - Cristina Stanca-Mustea - Страница 10

3. Kapitel Eintritt ins Filmgeschäft 1906–1909

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Will Hays, der Präsident der Motion Picture Producers and Distributors Academy, der amerikanischen Filmzensur, bezeichnete Carl Laemmle einmal als einen »wahrhaftigen Pionier«, weil er eine Vision von der Zukunft des Filmgeschäfts hatte, bevor andere den Film überhaupt als ein Geschäftsfeld wahrnahmen. Doch als Laemmle für sich das Filmgeschäft entdeckte, hatte dies weniger mit einer Vision als vielmehr mit einer Kombination aus Inspiration, Glück und der Gunst des richtigen Augenblicks zu tun. Es gibt verschiedene, teilweise einander widersprechende Versionen der Geschichte, wie Laemmles Interesse für das Filmgeschäft geweckt wurde, keine einzige erzählt mit Sicherheit die ganze Wahrheit.

Warum Laemmle seine feste und sichere Anstellung in Oshkosh aufgab und sein ganzes Vermögen in das Filmgeschäft steckte, wurde schon sehr bald von ihm selbst und seinen späteren Mitarbeitern zu einem Gründungsmythos verklärt. Den Rest seines Lebens war er stets bemüht, sein Image als Filmpionier und seine Rolle bei der Entwicklung des Filmbusiness zu unterstreichen und so seine Person zu vermarkten. Die Geschichte, wie Laemmle zum allerersten Mal mit dem Medium Film in Kontakt kam, wurde seither oft erzählt. In Zeitungen, Magazinen, Interviews und Filmgeschichtsbüchern wurde manches hinzugefügt und umgedichtet, doch der komplexe Wandlungsprozess, wie Laemmle aus sich selbst eine Persönlichkeit des öffentlichen Interesses machte, blieb stets im Großen und Ganzen gleich. Dieser Prozess zieht sich wie ein roter Faden durch seine gesamte Filmkarriere und spielt eine entscheidende Rolle in seiner Biografie.

Ein Mittel, das Laemmle hierfür nutzte, war das Radio. Mit Hörspielen über sein eigenes Leben, in denen sowohl der »echte« wie auch der »fiktive« Laemmle auftraten, verarbeitete er seine Vergangenheit zu einem Mythos. So trat er beispielsweise am Sonntag, dem 7. April 1935 bei Radio KFI in einer Sendung mit dem Titel »Makers of History« auf. Carl Laemmle beschrieb darin alle wesentlichen Stationen seines Lebens von der Einwanderung, über seine Schwierigkeiten, einen Platz in der Neuen Welt zu finden, bis hin, wie er die Welt des Kinos für sich entdeckte. In einer halbstündigen Sendung konnten die Zuhörer von KFI verfolgen, wie einer der ersten Filmpioniere der Geschichte vom Laufburschen zum Filmmogul aufstieg.

Laemmle stellte seine Entscheidung, Oshkosh und »Continental« zu verlassen, als das Streben nach einem besseren Leben dar. In einem »autobiografischen Interview«, das 1912 in der New York Times erschien, erklärte Laemmle diesen Wendepunkt in seinem Leben: »Ich war der Geschäftsführer eines Bekleidungsladens in Oshkosh. Und obwohl ich eigentlich zufrieden hätte sein können, wollte ich etwas anderes tun. Ich besaß ein Vermögen von 3000 Dollar und war fest entschlossen, damit ins Filmgeschäft einzusteigen, sobald ich eine Möglichkeit dazu finden würde. Ich lief durch Chicago und stand plötzlich vor einem Gebäude in der Milwaukee Avenue. Vor dem Haus sah ich Tausende Menschen vor einem Nickelodeon stehen. Hier traf ich meine Entscheidung. Ich fuhr sofort nach Oshkosh zurück und gab meinen Job auf.«1

In einem anderen Artikel (aus der Chicago Daily Tribune vom 13. Dezember 1908) über die Entstehung des amerikanischen Filmbusiness, zog Laemmle es vor, sich als Einwanderer darzustellen, der den »American Dream« erleben und selbst das Risiko tragen wollte, sein Leben zu verändern: »Zwei Jahre zuvor war er der Geschäftsführer eines Bekleidungsladens in Oshkosh. Jetzt ist er der Präsident und Gründer eines Unternehmens, das 10000 Dollar in der Woche umsetzt, eine halbe Million im Jahr! All das hat er der Chicago Sunday Tribune zu verdanken, die er vor zwei Jahren in Oshkosh in den Händen hielt und die über die Möglichkeiten des Filmbusiness berichtete. Damals war seine Aufmerksamkeit geweckt!«2

Dieser Version der Geschichte zufolge dachte Laemmle über das Potential des neuen Geschäftsfeldes nach und investierte dann sein ganzes Vermögen von 3300 Dollar. Die vielen harten Jahren sollten sich lohnen. Laemmle brauchte definitiv eine neue Herausforderung. Die Unzufriedenheit, die er in der letzten Zeit mit seiner Anstellung in Oshkosh verband, veranlasste Laemmle schließlich, selbständig zu werden. Er fühlte, dass er zu energiegeladen und ehrgeizig war, um mit knapp 40 Jahren als Geschäftsmann in Oshkosh zu bleiben und diese Arbeit für den Rest seines Lebens zu verrichten. Oshkosh war nie sein Ziel gewesen und erfüllte auch nicht das, was er sich schon immer von Amerika erträumt hatte.

Zu seinem eigenen Ehrgeiz kamen Probleme mit seinem Chef hinzu, obwohl Laemmle mit dessen Nichte verheiratet war. Das Verhältnis zwischen Sam Stern und Carl Laemmle war angespannt, seit Laemmle nach einer größeren Gewinnbeteiligung gefragt hatte. Stern verweigerte Laemmle diesen Wunsch. Stattdessen begann er Laemmle zu kritisieren, um seinem Angestellten vor Augen zu führen, wer das Sagen hatte, und ihn davon abzuhalten, noch einmal nach mehr Geld zu fragen. Laemmle war über diese Haltung sehr erbost. Er erwiderte seinem Chef, dass er ihm seine Kündigung geben könnte, wenn ihm danach sei. Als Sam Stern die Kündigung emotionslos akzeptierte, war Laemmle tief getroffen und verletzt. Aber er blieb bei seinem Entschluss, weil er wusste, dass er mehr wert war, als Stern ihm bezahlte, und mehr leisten konnte, als »Continental« von ihm verlangte. So kehrte Laemmle seiner sicheren Anstellung in Oshkosh den Rücken und ging wieder nach Chicago zurück.

In dieser Phase spielte zudem eine wichtige Rolle, dass Laemmle zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute traf. Einer von ihnen war Robert H. Cochrane. Der zwölf Jahre jüngere Cochrane wurde 1879 geboren und strebte zunächst eine Karriere als Journalist an, die ihn zu einem eloquenten, selbstsicheren jungen Mann machte. Später entschloss er sich, in die Werbebranche zu gehen. Zu der Zeit, als er Laemmle das erste Mal traf, arbeitete er als Manager einer Werbeagentur in Chicago zusammen mit seinen Brüdern.

Bevor sich Laemmle und Cochrane persönlich begegneten, kannten sich beide nur aus ihrer geschäftlichen Korrespondenz, da Cochrane im Rahmen der Werbeagentur Kampagnen für Textilien entworfen hatte und auf diese Weise an Laemmle geraten war. Laemmle hatte Cochrane danach mehrfach mit Werbeanzeigen beauftragt. Zwischen beiden entwickelte sich aus der Geschäftsverbindung zunächst ein Vertrauensverhältnis und schließlich eine Freundschaft. Wochen bevor Laemmle seinen Job in Oshkosh an den Nagel hängte, schrieb er Cochrane und klagte ihm sein Leid. Cochrane antwortete ihm: »Was immer Sie tun oder auch nicht tun, werden Sie kein Sklave ihres Einkommens! Aber wenn Sie irgendetwas Neues anfangen, dann tun Sie es, bevor Sie 40 werden ... Tun Sie es jetzt! Heute ist der Tag. Verzögerung, Aufschub und Unsicherheit sind die Sünden eines Geschäftsmannes!«3

Cochrane überzeugte Laemmle und gab ihm den nötigen Anschub, sich in das Abenteuer Selbständigkeit zu stürzen. Cochrane selbst war von diesem Tag an stets an Laemmles Seite und sein treuer Geschäftspartner in den kommenden 30 Jahren. Gemeinsam bauten sie ein Filmimperium auf, wie es die Vereinigten Staaten bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen hatten.

Nachdem Laemmle seinen Job in Oshkosh an den Nagel gehängt hatte, führte ihn daher sein erster Weg zu Cochrane, um mit ihm seine Zukunft zu besprechen. Das Treffen der beiden endete mit folgendem Ergebnis: Laemmle war entschlossen, ein eigenes Geschäft aufziehen und eine eigene Firma zu gründen. Da Laemmle bislang ausschließlich Erfahrungen im Einzelhandel hatte, schien es ihm nur logisch, einen »Five-and-Ten-Cents-Store«, also einen Billigwarenladen, in Chicago zu eröffnen. Damit erhoffte sich Laemmle zumindest die gleiche finanzielle Sicherheit, die er auch in Oshkosh hatte. Insgeheim glaubte er aber, damit erfolgreicher werden zu können.

Doch am selben Tag hatte Laemmle noch eine weitere Begegnung, die ihm eine neue Richtung geben sollte. Es war seine erste Berührung mit dem Kino, aus purem Zufall: Vor einem Gebäude fiel ihm eine lange Warteschlange auf. Er eilte hin, um zu sehen, was in dem Gebäude verkauft wurde. Vielleicht war es etwas, das er in das Sortiment seines neuen Ladens aufnehmen sollte? Doch was er entdeckte, war keine herkömmliche Ware. Es war eine nickel show, wie die ersten Kinos damals genannt wurden. Laemmle wollte mehr darüber erfahren. Er stellte sich am Ende der Schlange an, bezahlte seinen Nickel, also zehn Cent, und betrat die Show. Das, was er sah, begeisterte ihn über alle Maßen. »Mehr habe ich noch nie für einen Nickel bekommen! Dieses Business hat unglaubliche Möglichkeiten«, war Laemmle überzeugt.4

Der Ort dieser Begegnung war The Hale Tours, ein Vaudeville mit Filmen und Showeinlagen. Hier sah Laemmle 1906 seinen ersten Film. Genaugenommen waren diese Shows aber noch weit entfernt von dem, was wir heute unter »Film« verstehen. Die Theater waren nichts anderes als umgebaute Ladengeschäfte, in denen Stühle und Wartebänke von Bahnhöfen wild durcheinanderstanden, um den andrängenden Zuschauern Sitzmöglichkeiten zu bieten. Auch die Filme selbst waren nach heutigen Maßstäben nicht sonderlich beeindruckend. Sie besaßen jedoch eine große Anziehungskraft für das Publikum der damaligen Zeit. Später beschrieb Laemmle seinen ersten Eindruck so: »Die Filme brachten mich zum Lachen, obwohl sie sehr kurz waren und der Projektor immer wieder Bilder übersprang. Ich mochte sie, und jeder mochte sie. Augenblicklich war ich überzeugt, dass ich in das Filmgeschäft einsteigen wollte.«5

Doch nicht nur das Vertrauen in das Potential des Films als Unterhaltungsmedium war das entscheidende Argument für Laemmle, er fällte seine Entscheidung auch aus rein pragmatischen Überlegungen. Denn Laemmle war beeindruckt von der bloßen Anzahl der Leute, die vor den Nickelodeons Schlange standen und auf die nächste Show warteten. Sie alle bezahlten für etwas, das sie nicht mitnehmen konnten und das sie am nächsten Tag wieder haben wollten. Der geschäftstüchtige Laemmle stellte sofort die ersten Kalkulationen auf und berechnete, wie viel Geld man mit einem Nickelodeon verdienen konnte. Er war beeindruckt. Das Filmgeschäft erschien ihm äußerst lukrativ.

Daneben versuchte er eifrig, in den nächsten Tagen mehr über das Filmgeschäft herauszufinden. Dabei beobachtete er, welcher Typus Zuschauer sich die Filme ansah, zu welchen Tageszeiten sie das taten und wie viele Zuschauer pro Tag und Stunde kamen.

Laemmle war optimistisch, ein Geschäftsfeld für sich gefunden zu haben. Dennoch wollte er wissen, wie Cochrane die Sache einschätzte, und suchte ihn deshalb wieder in dessen Agentur auf. Er erzählte ihm von seiner Entdeckung und der Absicht, ein Filmtheater zu eröffnen. Zunächst war Cochrane skeptisch, doch nach reiflicher Überlegung versicherte er Laemmle, dass er seine Idee für gut und lukrativ hielt. Er begriff Laemmles Geschäftsvorhaben und sicherte ihm seine volle Unterstützung bei der Eröffnung eines solchen Filmtheaters zu.

Laemmle dachte weiter über seinen Plan nach. Von großer Bedeutung erschien ihm der Standort seines Nickelodeons. Das Geschäft war abhängig von der Laufkundschaft und musste sich somit in einer belebten Gegend befinden. Leider verfügte Laemmle jedoch über keine ausreichenden Finanzen, um einen Laden in der Innenstadt zu mieten. Laemmles Enthusiasmus wurde immer größer. Zu Fuß lief er durch Chicago und sah sich nach einem guten Platz für sein Filmtheater um. Während seines Spaziergangs entschied er sich für ein dicht besiedeltes Viertel in der Chicagoer Westside. Ein Laden in der Milwaukee Avenue schien seinen Ansprüchen gerecht zu werden. Vor seinem inneren Auge verwandelte sich das schäbige Ladengeschäft in ein Nickelodeon. Laemmle träumte weiter: Tausende von Menschen würden vor seinem Filmtheater Schlange stehen, sich Filme anschauen und am nächsten Tag wiederkommen. »In diesem Moment war meine Entscheidung gefallen«, erinnerte sich Laemmle später.

Nun sah sich Laemmle mit dem nächsten Problem konfrontiert. Sein Budget reichte selbst für den Laden in der Westside nicht aus. Immerhin musste das Geschäft renoviert und umgestaltet und nicht zuletzt mit einem Filmprojektor ausgestattet werden. Deshalb kehrte er nach Oshkosh zurück und bat den einzigen Menschen um Hilfe, der über solche finanziellen Mittel verfügte: Sam Stern, seinen früheren Chef und Onkel seiner Frau Recha. Stern zögerte zunächst, willigte aber schließlich aufgrund der Verdienste von Carl und seiner Verbindung mit Recha ein, die Miete für das Ladengeschäft für einige Zeit zu übernehmen. Laemmle zog nun mit seiner Familie nach Chicago und begann ein neues Leben als Besitzer eines Filmtheaters.

Carl Laemmle

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