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Carl Laemmles Kindheit

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Mitten im Ersten Weltkrieg und unmittelbar vor dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten im Jahr 1917 feierte ganz Laupheim Carl Laemmles 50. Geburtstag. Der 17. Januar, der Tag, an dem Laemmle geboren worden war, wurde in seiner Heimat zum Carl-Laemmle-Tag. Beinahe jeder, der ihn auch nur entfernt kannte, wurde zum feierlichen Festessen eingeladen, denn Carl Laemmle liebte große Festgesellschaften. Wenn er an seine Nachbarn und Bekannte aus Laupheim dachte, so bezeichnete er sie vielmehr als seine erweiterte Familie.

Fünfzig Jahre zuvor, am 17. Januar 1867, konnte sich jedoch niemand vorstellen, dass das Kind armer jüdischer Eltern, das an diesem Tag geboren worden war, einmal einen derartigen Bekanntheitsgrad erlangen würde. Carl war das zehnte Kind des jüdischen Kaufmannes Julius Baruch Laemmle und seiner Frau Rebekka. Ihm war es beschieden, berühmter zu werden als die ganze Stadt und als die jüdische Synagoge. Obwohl Carl in einer Zeit geboren wurde, in der die jüdische Wirtschaft aufblühte und die Integration der Juden in Laupheim weit vorangeschritten war, verbrachte er seine Kindheit in Armut. Sein Vater Julius Laemmle handelte zwar mit Vieh und war auch an einigen Grundstücksgeschäften beteiligt, doch reich waren die Laemmles nicht. Als Carl zur Welt kam, war sein Vater bereits 47 Jahre alt und kämpfte stetig mit dem harten Alltag, um seine Familie über die Runden bringen zu können. Carls Mutter Rebekka Laemmle wurde 1831 geboren und war elf Jahre jünger als ihr Gatte. Alle nannten sie nur bei ihrem Spitznamen »Babette«. Ihr Lebensinhalt konzentrierte sich auf die Erziehung ihrer zahlreichen Kinder.

Carl wurde wie seine Geschwister zu Hause geboren. Er kam am 17. Januar 1867 gegen neun Uhr am Morgen auf die Welt. Eine Woche später, am 25. Januar, wurde er nach jüdischer Tradition von Aron Wolf Straus in Gegenwart der Familie beschnitten.

Der junge Laemmle wuchs in einer Großfamilie aus vielen Geschwistern, Onkeln und Tanten auf. Doch unglücklicherweise überlebten nur vier der zwölf Laemmle-Geschwister die Kindheit. Die Geschwister, mit denen Carl aufwuchs, waren sein ältester Bruder Joseph, der 1854 geboren worden war, der vier Jahre ältere Siegfried, die 1864 geborene Karoline und sein jüngerer Bruder Louis, der im Jahr 1870 das Licht der Welt erblickte. Während sechs seiner Geschwister vor seiner Geburt bereits verstorben waren, verschieden zwei weitere Geschwister zu Laemmles Lebzeiten.

Die Familie besaß ein Haus in der Radstraße 9 auf dem sogenannten Laupheimer »Judenberg« nahe dem Gasthaus »Zum Ochsen«, dem traditionellen jüdischen Gasthaus. Das Haus der Laemmles war nicht sonderlich beeindruckend, doch erfüllte es seinen Zweck und gab der Familie ein Dach über dem Kopf. Später, als Carl Laemmle bereits zu einer Berühmtheit aufgestiegen war, wurde das Haus mit seinem kleinen Garten auch als »Villa Laemmle« bezeichnet. Hier verbrachte Carl die meiste Zeit, wenn er Laupheim besuchte.

Als er sieben Jahre alt war, wurde Carl in die jüdische Schule geschickt, die er vier Jahre lang, von 1874 bis 1878, besuchte. Danach ging er auf die Lateinschule, die in Laupheim die weiterführende Schule darstellte. Um an dieser Schule angenommen zu werden, musste Carl zwei Voraussetzungen erfüllen. Zunächst musste er das Zulassungsexamen bestehen, das aus einem Leseverständnistest auf Deutsch und Latein, einem Diktat auf Deutsch und Latein sowie aus einer Prüfung in Arithmetik bestand. Die zweite Voraussetzung bestand darin, dass seine Eltern Schulgebühren entrichten mussten, die nicht unbeträchtlich waren.

Das Lehrprogramm der Lateinschule beinhaltete vor allem eine Erziehung im Sinne der klassischen Bildung. Neben dem Erlernen von Latein, das 14 Wochenstunden einnahm, wurde Carl Laemmle drei Wochenstunden in Deutsch und vier in Arithmetik unterrichtet. Zu diesen drei Hauptfächern kamen jeweils ein oder zwei Stunden Geschichte, Erdkunde, Rechtschreibung und Religion hinzu. Der Unterricht in Religion wurde dabei bald von den christlichen Kirchengemeinden oder von der Synagoge übernommen, so dass Laemmle weitere Wochenstunden in Deutsch und Arithmetik besuchen konnte.

Obwohl Laemmle immerhin 32 Wochenstunden Unterricht absolvieren und sich darauf auch noch vorbereiten musste, erinnerte er sich immer gern an seine Schulzeit. In einem Film, den er Jahre später über seine Heimatstadt produzieren sollte, baute er ein kleines Gedicht voller Melancholie und schöner Erinnerungen ein: »Als ich ein kleiner Junge war / Mit kurzen Hosen und langem Haar / Ging ich in’s Schulgebäude hin / Mit frohem Mut und heiterm Sinn / Ach, lang ist’s her – der Weg war weit, / Den ich gegangen in der Zwischenzeit / Ich arbeitete schwer, rastete nie / Jungens von Laupheim / Ich sag’s Euch wie!«

Laemmle war kein außergewöhnliches Kind. Wie alle anderen auch spielte er auf der Straße oder ging mit Freunden im nahen Bach schwimmen oder fischen. Als man sie später befragte, konnten seine Schulkameraden sich mit dem besten Willen nicht daran erinnern, dass Carl Laemmle in irgendeiner Weise aufgefallen wäre. Wie es bei ärmeren Familien dieser Zeit üblich war, musste Carl die Schule schon früher verlassen. Eine Ausbildung seines Sohnes von der Grundschule bis zum Gymnasium konnte sich Julius Laemmle schlicht und ergreifend nicht leisten. Statt der üblichen drei oder vier Jahre durfte er nur zwei Jahre die Lateinschule besuchen. Danach sollte er sich etwas Praktischerem zuwenden. Für Carl Laemmle begann somit 1880 der Ernst des Lebens.

Die finanzielle Situation der Familie zwang den 13 Jahre alten Carl, sich nach einer Anstellung umzuschauen. Dabei spielte seine Mutter Rebekka eine entscheidende Rolle. Sie widmete sich zwar fast ausschließlich den häuslichen Pflichten sowie der Kindererziehung, dennoch hatte sie einen ausgeprägten Sinn für die Realität und galt als kluge und verantwortungsbewusste Frau. Über einen Cousin gelang es ihr, eine dreijährige Ausbildung für Carl zu arrangieren. Hierzu musste der Junge nach Ichenhausen, das etwa 50 Kilometer entfernt in Bayern lag. Für Rebekka war es normal, dass sie solche Entscheidungen für ihre Kinder traf. Sie war es auch, die am 26. April 1880 gemeinsam mit dem jungen Carl in Richtung Ichenhausen aufbrach, um seinen künftigen Arbeitgeber, die Familie Heller, zu treffen. Die Hellers besaßen dort einen Gemischt- und Handelswarenladen. Dort sollte Carl eine Kaufmannslehre absolvieren. Es fiel dem jungen Laemmle schwer, Abschied von der Mutter, seiner Familie, den Freunden und der Laupheimer Gemeinschaft zu nehmen. War er doch 1880 noch ein halbes Kind, wenngleich er der jüdischen Tradition zufolge nun dem Erwachsenenalter angehörte. Doch Rebekka Laemmle war sehr bestimmend, und Carl fügte sich in sein Schicksal.

Laemmle blieb keine andere Wahl. Er musste sich mit seinem neuen Leben anfreunden und an den Alltag in der fremden Familie gewöhnen, die ihn als Lehrling aufgenommen hatte. Dabei waren die Hellers sehr freundlich zu Carl und beobachteten mit großem Wohlwollen seine Fortschritte. Sie brachten ihm einen großen Vertrauensvorschuss entgegen, bis Carl schließlich vom Laufburschen zu einem ausgezeichneten Buchhalter herangewachsen war. Die Hellers vertrauten ihm so sehr, dass sie ihn schließlich auch auf Geschäftsreisen mitnahmen. Betrachtet man Laemmles Leben insgesamt, so war seine Ausbildung in Ichenhausen in dem kleinen Handelsgeschäft der Hellers von großer Bedeutung für alles, was er später als Filmproduzent und Leiter eines großen Studios tat. An eine solche Karriere war jedoch damals noch nicht zu denken. Für den Moment sah es so aus, als würde sich der Wunschtraum seiner Mutter erfüllen. Nach dem Ende seiner Ausbildung im Jahr 1883 hatte Carl Laemmle ein gutes und inniges Verhältnis zur Heller-Familie und dachte darüber nach, auch weiterhin dort – dann aber als fester Angestellter – zu arbeiten. Auch seine Mutter riet ihm dazu, seiner Karriere bei den Hellers nachzukommen. Sie wünschte sich, dass er einmal bis zum Geschäftspartner aufsteigen und sich fest in Ichenhausen niederlassen würde.

Im Alter von 16 Jahren sah Laemmles Welt gar nicht so schlecht aus. Er hatte bereits einige Berufserfahrung – und vor allem einen großen Ehrgeiz. Ihm gefiel es, als Buchhalter bei den Hellers zu arbeiten und in seiner Freizeit besuchte er die nahe gelegene Stadt Ulm – die größte Stadt im ganzen Umkreis. Vor allem aber nutzte er jede Möglichkeit, um nach Laupheim zurückzukehren.

Doch Ende des Jahres 1883 nahm Carls Leben, das bereits vorbestimmt und durchgeplant erschien, eine scharfe Wendung. Im September wurde seine Mutter sehr krank. Sie starb nach einer misslungenen Operation am 3. Oktober 1883 im Alter von 52 Jahren. Rebekka Laemmle wurde auf dem jüdischen Friedhof in Laupheim begraben. Ihr plötzlicher Tod war für die Familie ein schwerer Schlag. War sie doch sowohl das Herz als auch der planende Verstand der Familie, der sie bislang zusammengehalten und durch alle Krisen geführt hatte. Für Carl, der seiner Mutter sehr nahe stand, war ihr Tod eine Tragödie. Er hatte zwar immer auch ein gutes Verhältnis zu seinem Vater gehabt, aber aufgrund des großen Altersunterschiedes war ihm die Mutter immer näher gewesen. Dass sie so plötzlich aus dem Leben gerissen wurde, traf den jungen Laemmle hart. In Laupheim erinnerte ihn alles an seine Mutter, hier wollte und konnte er nicht mehr bleiben.

Carl Laemmle

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