Читать книгу Der exzentrische Maestro Carl - Cristina Zehrfeld - Страница 5
3. Es gibt kein falsches Leben im richtigen Leben
ОглавлениеEines Tages hatte ich völlig unerwartet die wunderbare Möglichkeit, mit Maestro Carl zu einem seiner Konzerte zu fahren. Mir lief ein eiskalter Freudenschauer über den Rücken. Ich habe diese unverhoffte Chance ohne zu zögern ergriffen, denn es ist eine der höchsten Ehren, die einem Menschen zuteil werden kann. Als ich in das Auto des Maestros einstieg, war ich unglaublich von mir beeindruckt. Ich war mit Maestro Carl unterwegs! Ich durfte für ein paar Stunden das Leben dieses genialen Mannes teilen. Das erlebt nicht jeder, deshalb wollte ich nun jede dieser wertvollen Minuten voll und ganz auskosten. Für ein paar gemeinsame Minuten mit Maestro Carl würde jeder vernünftige Mensch auf Erden einen Brad Pitt oder einen George Clooney im Regen stehen lassen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Gegen die Leuchtkraft von Maestro Carl waren das ja nur kleine, kaum erwähnenswerte, vergängliche Sternschnuppen. Und nun (ich habe es schnell durchgerechnet) war ich für mindestens fünfeinhalb Stunden mit Maestro Carl unterwegs. Zwei Stunden Hinfahrt, zwei Stunden Rückfahrt und dazu noch das Konzert, und ich war sozusagen die persönliche Begleitung des Maestros. Unglaublich!
Als wir schon weit, sehr weit gefahren waren, fragte mich Maestro Carl mit sanfter Stimme: „Ach, habe ich Ihnen überhaupt schon gesagt, dass wir heute nicht zurückfahren? Wir werden in E. übernachten.“ Nein, er hatte es mir nicht gesagt. Aber was soll’s. Nun wusste ich es ja. Gut, ich war auf eine mehrtägige Reise nicht vorbereitet. Ich hatte nichts, rein gar nichts eingepackt. Keinen Laptop, keinen Fotoapparat, keine Sonnenbrille, kein Moskitonetz, nicht einmal genügend Geld. Von Wechselwäsche oder einer Zahnbürste ganz zu schweigen.
Doch das alles war völlig unerheblich, denn ich war die Reisebegleitung des einmaligen, außerordentlichen Maestro Carl. Allerdings übernachteten wir dann eben nicht nur die nächste Nacht in E., sondern die übernächste Nacht dann eben auch gleich noch in K.. Ich war also tatsächlich mit Haut und Haar in der großen, weiten Welt des Glamours angekommen. Ich führte drei Tage lang das unglaubliche Leben eines weltgewandten Bohemiens.
So etwas geht nicht spurlos an der heimatlichen Enge eines normalen Sterblichen vorüber. Und ich bin ein normaler Sterblicher. Zu Hause hatte deshalb mein Anrufbeantworter während meiner Abwesenheit längst wegen Überfüllung schließen müssen. Mein Kater Wollmütz hat Asyl bei einer Nachbarin beantragt (Das Bewilligungsverfahren war bei meiner unvermuteten Rückkehr noch nicht ganz durch). Die Lokalpresse hat mehrere, fest eingeplante Artikel nicht von mir bekommen, so dass zwei Ausgaben beinahe mit sehr viel Freiraum für Notizen erschienen wären. Außerdem haben zwei meiner besten Freunde eine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufgegeben. Aber wie wenig Bedeutung hat das alles: Ich durfte mit Maestro Carl zu einem seiner Konzerte fahren.