Читать книгу Der exzentrische Maestro Carl - Cristina Zehrfeld - Страница 7
5. Fahrstuhl zum Schafott
ОглавлениеMaestro Carl ist ein gläubiger Mensch. Deshalb will er dem Himmel ganz nahe sein und muss ganz weit oben wohnen. Wenn es eine Anhöhe in der Stadt gibt, muss das Haus des Maestro auf dieser Anhöhe stehen. Wenn das Haus siebzehn Etagen hat, kann des Maestros Wohnung in keiner Etage unterhalb der ACHTZEHNTEN Etage liegen. Das Haus, wo ich ihn besuchte, hatte vier Etagen. Eine Treppe führte nicht in diese schwindelerregende Höhe. Dafür gab es eine Klingel inklusive Sprechanlage. Dort nahm ich die Anweisung des Maestros entgegen: „Kommen Sie zum Fahrstuhl.“
Kein Problem. Ich hatte den Hausflur auf der verzweifelten Suche nach einer Treppe bereits inspiziert. Ich wusste um den Fahrstuhl, und ich wusste, dass ich ihn nicht in Gang zu setzen vermag, weil für das Betreiben ein Fahrstuhlschlüssel vonnöten ist. Ich ging also zum Lift und wartete. Ich lief hin und her, und her und hin. Es dauerte. Vermutlich hatte der Maestro überraschend noch einen Anruf bekommen und konnte nicht weg, dachte ich, obwohl der Maestro sonst während eines Telefongesprächs freilich immer im Haus unterwegs ist. Manchmal geht er auch in die Pizzeria gegenüber während eines Gesprächs und wundert sich über die nachlassende Qualität der Verbindung.
Ich war gerade wieder ein ganzes Stück hergelaufen, als der Fahrstuhl ruckelte. Ich lief schnell hin. - Er war nicht angekommen. Er war abgefahren. Jetzt wartete ich direkt vor der Fahrstuhltür, denn der Maestro musste jeden Moment kommen. - Dachte ich. Aber er kam nicht. Erst zehn Minuten später, als ich bereits wieder mit Hin- und Herlaufen beschäftigt war, polterte des Maestros Stimme empört. „Wieso stellen Sie sich nicht in den Fahrstuhl?“ In den nächsten Minuten begriff ich, dass die Anweisung, „kommen Sie zum Fahrstuhl“, nicht mehr und nicht weniger beinhaltet, als: „Gehen Sie zum Fahrstuhl, treten Sie hinein und beten Sie, dass ich den Fahrstuhl samt Insassen in mein Reich rufe.“ Öffnen lässt sich die Fahrstuhltür nämlich ohne Spezialschlüssel. Alle Gäste des Maestro begreifen das sofort. Alle außer mir, denn ich lebe sonst ja nicht in der großen Welt, sondern in einem kleinen Dorf. Selbst in den wenigen, in den Himmel ragenden Zweigeschossern unseres Ortes sind Fahrstühle einfach nicht üblich. Deshalb war dieses Ereignis erst meine zweite Berührung mit einem Fahrstuhl. Die erste hatte ich im Dorfkino. Gezeigt wurde damals der Krimi „Fahrstuhl zum Schafott“.