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6. Die Perlen des Soprangesangs

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Einmal saß ich mit Maestro Carl an seinem Computer. Selbstverständlich hatte der Maestro wieder keine Minute zu verlieren, denn der Schreibtisch bog sich unter den Bergen an Arbeit. Außerdem mussten Briefe geschrieben, Konzertdaten eingegeben und Telefonate erledigt werden. Trotz dieser Fülle an unaufschiebbaren Terminsachen hatte sich der Maestro für diesen Abend zusätzlich noch das schier Unmögliche vorgenommen: Er wollte mich für die besten Sopranistinnen unserer Zeit begeistern, und er wollte, dass ich künftighin jederzeit erkenne, ob da gerade Jessye Norman singt oder Edda Moser oder gar Birgit Nilson. Er nahm seinen Bildungsauftrag an mir sehr ernst. Dabei hatte ich ihn keineswegs ermuntert, in mir etwas anderes zu sehen, als einen höchst unmusikalischen Menschen. Genau genommen bin ich nicht nur unmusikalisch, sondern darüber hinaus ein Kulturbanause ohnegleichen, denn ich bin kein Freund des Gesangs, und daher ist es mir völlig schnuppe, ob da nun gerade Maria Callas singt oder aber Lieschen Schnickenpfennig aus der dritten Etage. Mein Bemühen um absolute Konzentration blieb also weitgehend erfolglos.

Endlich, nach einer halben Stunde, erkannte auch der Maestro entmutigt die Sinnlosigkeit seines Unterfangens. Er gab auf. Nur eine einzige Sängerin wollte er mir unbedingt noch zu Gehör bringen. Ich war nicht sonderlich gespannt. Aber wenn Maestro Carl sich etwas vorgenommen hat, dann zieht er das durch. Ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht vor allem auf meine überstrapazierten Nerven.

Ich beobachtete also müden Auges, wie Maestro Carl in Youtube nach dem nächsten Goldkehlchen fahndete. Er wurde fündig und startete die Aufnahme.

Ich wollte gerade verschämt Gähnen, als der Gesang begann. Doch was heißt Gesang. Da gellte etwas so Außerordentliches, etwas nie Gehörtes aus den unendlichen Weiten des Internets, dass mit der Gähners im Halse stecken blieb. Eine Stimme wie ein ungeölter Kinderwagen, eine Muschelkern-Perle des musikalischen Niemandslandes drang an mein Ohr. Die Interpretation der „Königin der Nacht“ gelang dieser nach meiner ersten Ahnung möglicherweise weiblichen Person, ohne dass auch nur ein einziger Ton hätte in den Verdacht geraten können, richtig zu sein. Ich war völlig konsterniert.

Der Maestro beobachtete mich unterdessen von der Seite. Seine Mundwinkel zuckten, bis die Heiterkeit schließlich schallend aus ihm heraus brach. Nur selten habe ich Maestro Carl so unbändig und aus tiefstem Herzen lachen hören wie in diesem Moment. Was er mir da präsentiert hat, war eine Originalaufnahme von Florence Foster Jenkins, eine Sängerin, die gewiss ohne große Mühe die Mauern von Jericho zum Einsturz bringen konnte. Unter dem Gelächter des Maestros bebten nun auch schon die Wände des Arbeitszimmers. Der Maestro schüttelte sich vor innerer Wolllust. Aus seinen Augen schossen Tränen größter Heiterkeit. Diese Musik war gewiss nicht schön, aber dennoch hatte sie das Höchstmögliche erreicht: Sie hatte Freude bereitet. Maestro Carl hat übrigens auch das Höchstmögliche erreicht: Es gibt jetzt eine Sopranistin, die auch ich mit traumwandlerischer Sicherheit unter Tausenden erkenne.

Der exzentrische Maestro Carl

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