Читать книгу Wenn Sie wollen. nennen Sie es Führung - Cyrus Achouri - Страница 17
Konkurrenz, Kooperation und Koevolution
ОглавлениеKooperation – wichtiger als Konkurrenz
Darwin hat die Rolle der Konkurrenz überbetont, und dies ist später im Sozialdarwinismus, insbesondere bei den Nationalsozialisten, missbraucht worden. In der modernen Evolutionsbiologie wird dagegen die Bedeutung der Symbiose in der Natur betont. Mehr als die Hälfte der Biomasse lebt in symbiotischen Beziehungen. Und auch für die heutige Ökonomie mit ihren hochkomplexen Produkten ist Kooperation nicht nur logistisch eine Voraussetzung für den Erfolg. Die zukünftigen globalen Herausforderungen lassen sich nur synergetisch und kooperativ lösen, miteinander und nicht gegeneinander. Betrachtet man die evolutionsbiologischen Prinzipien näher, so zeigt sich, dass dem (sozial-)darwinistischen Begriff der Konkurrenz nicht die Bedeutung zusteht, die er vielfach bekommen hat. Kooperation und Kreativität haben demgegenüber eine viel stärkere Rolle in der Evolution gespielt.
Schon der russische Fürst Peter Kropotkin, ein Zeitgenosse Darwins, wies darauf hin, dass bereits im Tierreich die gegenseitige Unterstützung unter Artgenossen und ihre Verteidigung mehr zähle als das Prinzip von Kampf und Konkurrenz. So steht für Kropotkin fest, dass die im Sinne Darwins »Fittesten« nicht diejenigen sind, die ständig Krieg gegeneinander führen, sondern die, die sich unterstützen und wechselseitige Hilfe annehmen. Ameisen und Bienen etwa hätten auf den hobbesschen »Kampf aller gegen alle« verzichtet und stünden sich besser dabei.
Kritik an Darwins Selektionsprinzip
Kropotkin geht so weit, einen evolutionären Imperativ aufzustellen: »Streitet nicht! … Daher vereinigt Euch – übt gegenseitige Hilfe!« (Kropotkin 1908, 67f.) Streit und Konkurrenz seien für eine Art immer schädlich. Auch lehre die Natur uns, dass die Mittel zur Vermeidung von Kampf vorhanden sind. Zwar könne im Kampf ums Überleben während bestimmter Lebensperioden, bestimmter Jahreszeiten oder Generationen tatsächlich eine Selektion der Fittesten erfolgen, das aber sei kein allgemeines evolutionäres Prinzip. Wenn sich die Evolution zu einem Großteil auf das Überleben der Fittesten in Zeiten des Unglücks gründen würde, so wäre nicht Darwins nach oben gerichteter Gradualismus die Folge, sondern der evolutionäre Rückschritt. Dies liegt für Kropotkin daran, dass natürliche Auslese lediglich diejenigen Individuen schonen kann, die mit der größten Fähigkeit zur Entbehrung begabt sind, letztlich aber in ihren Möglichkeiten immer hinter denjenigen zurückbleiben, die bessere Umstände vorfinden. Diese Kritik an Darwins Selektionsprinzip hatte bereits Tschernyschewski angeführt: »Das Übel kann kein Gutes hervorbringen.« (Zit. nach: Kropotkin 1908, 66) Vielmehr sei zu beobachten, dass die natürliche Auslese fortwährend gerade solche Wege wählt, bei denen sich Konkurrenz möglichst vermeiden lässt.
Koevolution
Die Prinzipien von Kooperation und Selbstorganisation führen zu einem weiteren Prinzip der Systemtheorie, dem der Koevolution. Im Gedanken der Koevolution beeinflussen sich zwei benachbarte Systeme, und aus diesen Feedbackschleifen entstehen emergente Systeme, die Lernen und Evolution auf einer höheren Ebene ermöglichen. (Johnson 2001) Evolution lässt sich nicht auf die einseitige Anpassung eines Organismus an die Umwelt beschränken, weil die Umwelt selbst wieder durch lebende Systeme gestaltet wird, die wiederum zur Anpassung und Kreativität fähig sind. Die Frage, wer sich nun wem anpasst, lässt sich daher am ehesten dadurch beantworten, dass es eine gemeinsame, fortwährende Entwicklung gibt. (Lovelock 1991)
Der Gedanke der Koevolution rückt die Integration pluraler Lebensformen in den Mittelpunkt, Leben, das nicht darauf aus ist, sich gegenseitig zu zerstören, sondern vor allem daran interessiert ist, zu überleben, in Koevolution mit anderen Lebensformen. Selbst da, wo auf denselben Lebensraum und dieselben Ressourcen zurückgegriffen wird, kommt es selten zu einem Konkurrenzkampf, bei dem nur der Stärkere überlebt.
Vernetzung statt Kampf
Es gibt dagegen viel mehr Beispiele für Koexistenzen, die sich nebeneinander entwickeln, um sich gegenseitig nicht mehr zu stören. Die Leguane der Gattung Anolis beispielsweise leben in der Dominikanischen Republik eng zusammen und ernähren sich von denselben Insekten. Jede Art bewohnt jedoch eine andere Ebene der Bäume, manche bevorzugen den Schatten, manche die Sonne – und so vermeiden sie einen Konflikt. (Otto/Ondarza 2009) Leben hat die Erde nicht durch Kampf, sondern durch Vernetzung erobert, wie es die Biologin Lynn Margulis (Margulis/Sagan 1986) ausdrückt. Die These, dass individuelle Konkurrenz die dominante evolutionäre Überlebensstrategie sei, ist auch schon deshalb angreifbar, weil Individualismus in der Evolution erst spät auftritt. Primitives Leben ist dagegen in hohem Maße durch makroskopische Strukturen wie Kolonien, Gesellschaften und Ökosysteme geprägt.
Dawkins und das »egoistische Gen«
Das Konzept der »egoistischen« Gene, das der Biologe Richard Dawkins entworfen hat (1989), widerspricht nicht den Prinzipien von Kooperation und Koevolution, auch wenn das auf den ersten Blick so scheinen mag. Das Interesse der Gene, nicht nur auf den eigenen Fortpflanzungserfolg zu blicken, sondern auch auf den der Verwandten, kann man zwar im weiteren Sinne egoistisch nennen, im Rahmen der Erhaltung des Genpools liegt hier aber durchaus auch ein kooperatives Verhalten vor. Kooperation ist sogar als eine der Grundeigenschaften von Genen zu verstehen. Über den selektiven Druck und die damit verbundene Reproduktionsfähigkeit hinaus verdanken Gene ihre komplexe Entwicklungsfähigkeit vor allem drei biologischen Grundprinzipien, dem der Kooperation, der Kommunikation und der Kreativität.
Insbesondere der Kooperation wird dabei eine zentrale Rolle für die Entstehung lebender Systeme zugeschrieben: »Erste lebende Systeme waren entscheidend mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Keine der Komponenten innerhalb eines Ensembles – weder RNS noch Proteine – war autonom. Es herrschte ausnahmslos wechselseitige Abhängigkeit. Nichts konnte geschehen außer durch Kooperation.« (Bauer 2008, 35)
Der Freiburger Genforscher Joachim Bauer wendet sich gegen Dawkins’ Konzept »egoistischer Gene«, auch wenn es als biopsychologisches Korrelat vorzüglich zur herrschenden Wirtschaftsordnung passen würde. Vielmehr unterliege die DNS samt den enthaltenen Genen der Regie der Zelle. Biologische Kooperation kann nach Bauer demnach nicht als Mittel zum Zweck im Überlebenskampf gesehen werden. (Bauer 2008, 36)
Ein gutes Beispiel für biologische Kooperation ist auch das biologische Prinzip der Endosymbiose, das dem Darwinismus widerspricht. Etwa vor zwei Milliarden Jahren waren die sogenannten Archaeazellen nicht in der Lage, mit der Zunahme an Sauerstoff umzugehen. Doch anstatt in darwinistischer Selektion unterzugehen, nahmen sie Bakterien in sich auf, die Sauerstoff verbrauchten resp. erzeugten, und ließen durch diese Endosymbiose einen neuen Zelltyp entstehen, der zur Basis für alle späteren Tier- und Menschenkörper (als Sauerstoff verbrauchende Version) wie auch für alle Pflanzen (als Sauerstoff produzierende Version) werden sollte: die eukaryontische Zelle.
Evolution meint nicht die Entwicklung von Einzelkämpfern
Die amerikanische Biologin Lynn Margulis beschrieb die Theorie der endosymbiotischen Entstehung eukaryontischer Zellen bereits 1970. Dieser Theorie zufolge geben die Teilnehmer ihre Identität in der Fusion nicht völlig auf. Erstmalig lässt sich der Gedanke der Endosymbiose sogar schon 1905 in den Forschungen des russischen Biologen Mereschkowski nachweisen. Er konnte als antidarwinistisches Evolutionsprinzip später bestätigt werden. (Kutschera 2009) Die Endosymbiose zeigt sogar, wie Kooperation zwischen der Sauerstoff produzierenden Pflanzenwelt und einer Sauerstoff verbrauchenden Tierwelt funktioniert: »Die Evolution ist keine Entwicklung von Einzelkämpfern (weder einzelkämpferischer Individuen noch einzelkämpferischer Spezies), sie ist eine Entwicklung von biologischen Systemen.« (Bauer 2008, 54)
Die Analogie mit einfachen Organismen setzt das menschliche Leben keineswegs herab. Wir können die Geschichte auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten: Prokaryontische Bakterien haben sich im Laufe der Evolution in eukaryontische Zellen mit Zellkern gewandelt, die sich dann in selbstorganisatorischer Weise zu pflanzlichen und tierischen Vielzellern weiterentwickelt haben. Und diese wurden im Laufe der Evolution ihrerseits wieder zum Wirt für Bakterien; wir tragen mehr bakterielle DNS in uns als eigene. So könnten wir auch bescheiden feststellen: »In fact bacteria dominates the earth’s biomass. Standing on the sun, who would you say rules the earth?« (Meyer/Davis 2003, 245)