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Prolog

Severin

Ich laufe. Jetzt schon seit Wochen. Seit meiner dämlichen Sprachnachricht. Ich habe mir am nächsten Morgen vorgenommen, mein Leben zu ändern. Mich zu ändern. Aber ich habe nur die bequemen Chucks gegen Laufschuhe ausgetauscht. »In denen läuft es sich fast von allein«, hat mir Achim versprochen. Inzwischen weiß ich, dass er als Redakteur vielleicht ganz brauchbar ist. Als Laufschuhexperte eher nicht.

Musik dröhnt in meinen Ohren und übertönt meine lauten, schnellen Schritte. Früher, an einem normalen Tag, hätte man das Aufsetzen der Sohlen nicht gehört. Weil diese Stadt immer Lärm macht. An normalen Tagen. Jetzt kann ich mich sogar atmen hören. Aber ich mag diese Stille nicht und lasse mich deshalb lieber von alten Queen-Songs beschallen.

In meiner Jugend habe ich Fußball gespielt. Ansonsten war ich nie wirklich der sportliche Typ. Aber inzwischen sterbe ich nicht mehr schon nach einem Kilometer und das Laufen hilft mir. Es bläst meinen Kopf frei und lässt mich meinen Körper wieder spüren. Nimmt all das, was geschehen ist, von mir. Wenn auch nur für einen kurzen Augenblick.

Die Straßen Frankfurts sind für diese Uhrzeit ziemlich leer. Das Virus kam und hat sie leergefegt. Und ein Teil von mir hat sich nur dazu entschieden, joggen zu gehen, um frische Luft zu atmen und mich frei zu fühlen, während die ganze Welt eingesperrt ist.

Ich denke an Lydia. Lydia. Ob es wohl je wieder normal zwischen uns sein wird? Ob wir je zusammenfinden? Als Freunde oder vielleicht sogar … Ich denke, alles ist möglich. Ich würde viel dafür geben, wenn das bedeutet, an ihrer Seite zu sein. Sie in meinem Leben zu haben.

Ich biege von der Saalburgstraße in die Berger Straße ab und mustere die Schaufenster, hinter denen alles dunkel ist. Die Stühle, die leer sind. Es ist richtig so, doch es fühlt sich falsch an. Aber wann hat es sich je richtig angefühlt, Menschen zu schützen, auch wenn man es mit solchen Mitteln tun muss? Ich kann ein Lied davon singen. Ich kann verstehen, wie weit man geht, um Leben zu retten. Und das ist am Ende doch genau das, was hier geschieht. Die leeren Straßen und das Eingesperrtsein retten Leben.

Und so langsam frage ich mich, wann ich eigentlich damit beginnen will, mein Leben zu retten. Wann ich endlich erwachsen werden will. Mit mir selbst im Reinen. Wird dieser Tag kommen? Oder werde ich auf ewig Severin, der Idiot bleiben, der alles vermasselt, obwohl er doch eigentlich das Richtige tun will?

Stille Nacht

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