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Der Nahe Osten
ОглавлениеDie Bewohner des Nahen Ostens besaßen zahlreiche domestizierbare Pflanzen und Tiere, unter denen sie wählen konnten. Zu den Wildpflanzen, die dafür zur Verfügung standen, gehörten Emmer, Einkornweizen, Roggen und Gerste, später auch Kichererbsen, Linsen und Flachs. Ihre Kultivierung dauerte Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte.19 Schafe und Ziegen, die gefügigsten Tiere, wurden schon im 10. Jahrtausend im iranischen Zagros-Hochland domestiziert, bald darauf auch Schweine. Die Domestizierung von Rindern kam ein Jahrtausend später, weil ihre Vorfahren, die Auerochsen (Bos primigenius) mit 2 Metern Schulterhöhe sehr groß und sehr wild waren.20
Zwischen 9700 und 9500 v. Chr. stiegen die Temperaturen in weniger als 50 Jahren, an manchen Orten in kaum 10 Jahren um 7 Grad an. Das neue Klima mit kühlen, regnerischen Wintern und heißen trockenen Sommern förderte einjährige Pflanzen wie Gräser, die ihren Lebenszyklus im späten Frühjahr beendeten und trockene Samenkörner hinterließen, die überleben konnten, bis der Winterregen sie zum Sprießen brachte. Das ermutigte die Menschen, genug Saatgut zu sammeln und zu lagern, um den Rest des Jahres zu überstehen, und in Dörfern zu wohnen, wo sie ihren Nahrungsvorrat schützen konnten.
Am stärksten war der Klimawandel im Jordan-Tal spürbar, das einmal voller Seen gewesen war. Als es trockener wurde, blieben nur drei übrig: der Hulasee, der See Genezareth und das Tote Meer. Menschen und Tiere sammelten sich in der Nähe der verbliebenen Frischwasserquellen. In dieser Gegend sammelten die Natufier um 8000 v. Chr. verstärkt wilde Samenkörner und begannen, zusätzlich Emmerweizen, Gerste, Linsen und Erbsen zu säen. Die Praxis der Aussaat von Samen verbreitete sich über den Fruchtbaren Halbmond. Menschen begannen, die Ernte in Krügen, mit Lehm ausgeschlagenen Körben oder Behältern über dem Boden zu lagern. Sie lernten, Körner zu rösten, ohne sie zu verbrennen, damit sie während der Lagerung nicht keimten. Kleine Weiler wurden zu großen Dörfern, manche mit Schutzmauern. Obwohl ihre Bewohner immer noch jagten und sammelten, griffen sie immer mehr auf domestizierte Pflanzen zurück. Wenig später lebten Hunderte von Dörfern ganz von der Landwirtschaft.21
Das Dorf Abu Hureya nahe dem Euphrat in Nordsyrien verkörpert den langen und komplizierten Tanz zwischen Menschen, Pflanzen und Tieren, den man die neolithische Revolution nennt. Irgendwann vor 11 000 v. Chr. bauten Jäger und Sammler 20 kleine Häuser aus Lehmziegeln mit Strohdächern, die sie zumindest einen Teil des Jahres bewohnten. Obwohl sie reichlich Nahrung aus der Natur bekamen, experimentierten sie auch mit dem Anbau von Roggen und Weizen. Das taten sie, bis sie das Dorf um 9500 v. Chr. verließen. Als 1000 Jahre später Menschen zu dem Ort zurückkehrten, bauten sie ein viel größeres Dorf für bis zu 6000 Bewohner.
Bis gegen 6400 v. Chr. verzehrten sie zu 80 Prozent Gazellenfleisch. Die Gazellen waren so häufig, dass die Bewohner noch 1000 Jahre nach dem Beginn des Getreideanbaus auf ihr Fleisch zurückgriffen. Dann verschob sich zwischen 6400 und 6100 unter den in Abu Hureya ausgegrabenen Tierknochen der Anteil auf 80 Prozent Schafe und nur noch 20 Prozent Gazellen. Der Grund ist wohl, dass andere Jäger, die den Wegen der Gazellen folgten, die Herden dezimierten. Als die Gazellenherden verschwanden, betrieben die Menschen von Abu Hureya die Domestizierung von Schafen und Ziegen als Fleischquelle. Mit dem angebauten Getreide und den Schafen und Ziegen, die sie züchteten, erlebten die Bewohner eine Blütezeit bis etwa 5000 v. Chr. und gaben das Dorf schließlich auf.22