Читать книгу Macht euch die Erde untertan - Daniel Headrick - Страница 33
Europa
ОглавлениеIm Vergleich zu anderen Subkontinenten wie Indien oder China hat Europa einen ungewöhnlich hohen Anteil von Küsten- gegenüber den Landregionen; eigentlich ist es ein Archipel von Halbinseln. Europa besitzt drei sehr verschiedenartige klimatische und geografische Zonen mit sehr unterschiedlichen Bedingungen für menschliches Handeln: eine südliche Zone, deren Klima dem östlichen Mittelmeer ähnelt, eine nordöstliche Zone, deren Klima dem Nordchinas ähnlich ist, und eine nordwestliche mit gemäßigtem Seeklima. Alpen und Karpaten bilden scharfe Grenzen zwischen der mediterranen und den beiden nördlichen Zonen. Die beiden nördlichen Zonen gehen aber auf der großen nordeuropäischen Ebene ineinander über.
Um das Mittelmeer herum säten Bauern dieselben Pflanzen und züchteten dieselben Tiere wie im Nahen Osten. Bald nach 6400 v. Chr. bauten Menschen in Nea Nikomedeia in Griechenland Lehmhäuser, säten Weizen, Gerste, Erbsen und Linsen, züchteten Schafe und Ziegen, gingen aber weiterhin zum Jagen und Sammeln. Um 6000 v. Chr. gab es viele kleine Bauerndörfer in Griechenland. Später begannen die Bauern, Olivenbäume und Weinstöcke zu züchten und Terrassen zu bauen. Um 5000 v. Chr. hatte sich die Form der gemischten Landwirtschaft im ganzen Mittelmeergebiet verbreitet, von Ägypten bis Tunesien und von Griechenland bis Spanien.23
Nördlich und westlich der Alpen fanden die Bauern ein ganz anderes Klima vor als im Mittelmeerraum. Die westeuropäischen Sommer waren warm, die Winter mal kühl, mal kalt, und es konnte ganzjährig regnen. Der Boden war schwer und häufig vollgesogen. Ein kälteres Klima mit häufigem Regen bremste die Ausbreitung der Landwirtschaft bis 6000 v. Chr. oder später. Vielleicht brachten Bauern aus Anatolien ihre Lebensweise nach Europa, nachdem sie von einer Naturkatastrophe vertrieben worden waren. Der Spiegel des Mittelmeers, der wegen der globalen Erwärmung um 17 Meter gestiegen war, lag fast 200 Meter über dem Spiegel des euxinischen Meers, eines kleinen, seichten Binnenmeers, wo sich heute das Schwarze Meer befindet. Nach einer umstrittenen Hypothese brach um 5600 v. Chr. das Wasser des Mittelmeers plötzlich durch den Bosporus und füllte das Binnenmeer auf, bis es zum Schwarzen Meer wurde. Als das Wasser stieg, breitete es sich täglich um 2 Kilometer aus. Die in der Nähe lebenden Bauern mussten plötzlich fliehen, verloren ihr Land, ihre Häuser und viele ihrer Tiere. Manche zogen vielleicht die Donau entlang auf die ungarische Ebene. Als sie wieder mit dem Ackerbau begannen, wurden ihre Fähigkeiten und ihre Lebensweise zum Vorbild für die eingeborenen Jäger und Sammler.24
Im Inneren Europas siedelten Bauern sich in Gebieten mit fruchtbarem Boden an, etwa in Flusstälern, die sie mit Hacken und Grabstöcken kultivieren konnten, und überließen das bewaldete Hochland den Jägern und Sammlern, mit denen sie jahrtausendelang koexistiert hatten.25 Wie die Bauern im Nahen Osten und am Mittelmeer bauten auch sie Weizen, Gerste, Roggen, Erbsen, Linsen und Flachs an. Statt Ziegen züchteten sie aber Schafe, Rinder und Schweine. Diese Tiere suchten sich in den nahen Wäldern Nahrung, und ihr Mist düngte die Felder. Wälder lieferten auch Wild und essbare Wildpflanzen als Ergänzung der domestizierten Pflanzen.
Nach 4400 v. Chr. begannen die Bauern, jenseits der Flusstäler zu siedeln. Die Ausbreitung der Landwirtschaft auf die Wälder erforderte ein starkes, aber gehorsames Tier, das einen Pflug ziehen konnte. Als Bauern lernten, Stiere zu kastrieren, bekamen sie so ein Tier. Die ersten Bilder eines vor den Pflug gespannten Ochsenpaars tauchen in der mesopotamischen Kunst um 3500 v. Chr. auf. Der Pflug und seine Zugtiere markieren den Übergang vom Gartenbau zur Landwirtschaft und eröffneten die Möglichkeit, das bewaldete Hochland zu bebauen. Bauern begannen, auch Roggen anzubauen, der im mittel- und westeuropäischen Klima gut wuchs.
Um 3500 v. Chr. begannen diese Teile Europas, sich mit Weilern und Dörfern aus Holzhäusern zu füllen, die von Feldern, Weiden und Gehölzen umgeben waren. Die auf den Weiden grasenden Kühe gaben Milch. Sie und die Ochsen pflügten nicht nur, sondern lieferten auch Dung, der die Fruchtbarkeit des Bodens erneuerte. Schafe fraßen Stoppeln und Unkraut und lieferten Wolle. Schweine suchten in den nahen Wäldern Nahrung und kamen nachts zu den Höfen zurück. Jäger und Sammler, die in Wäldern und Feuchtgebieten an der Küste lebten, tauschten ihre Beute gegen Agrarprodukte ein. Die Mischwirtschaft mit ihrer Symbiose von Pflanzen, Tieren und Menschen war ein fast geschlossenes System, das nur wenig Energie von außen brauchte, etwa wenn man Feuerholz schlug, die Schweine im Wald Nahrung suchen ließ oder selbst produzierte Nahrung durch etwas Jagen und Sammeln ergänzte. Sie erwies sich als nachhaltige Lebensweise, die an manchen Orten bis weit ins 20. Jahrhundert existierte.26