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Nordchina

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An seinem Oberlauf durchschneidet der Gelbe Fluss eine Hochebene aus Löss, eine leichte Erde, die vom Wind aus der Wüste nach Westen getragen wird. Die ersten Bauern, die sich hier im 2. Jahrtausend v. Chr. ansiedelten, lebten auf einem schmalen Streifen Feuchtgebiet entlang des Flusses, umgeben von Wäldern aus Eichen, Ulmen, Ahorn und anderen Laubbäumen. Der Boden der Lössebene ließ sich mit einer Hacke ohne Zugtiere kultivieren, aber der Talboden bestand aus schwerem Schwemmland, das mit Ochsen gepflügt werden musste. In der ganzen Region war der Boden so fruchtbar, dass er ohne Bewässerung reichliche Ernten erbrachte, solange es genug regnete.36

Unter der ersten historischen Dynastie, den Shang-Königen (1766–1046 v. Chr.), war Nordchina viel wärmer und feuchter als heute. Die nordchinesische Ebene ernährte vielleicht 4–5 Millionen Menschen. Dann wurde das Klima kälter und trockener, was Nahrungsknappheit, die Flucht der Bevölkerung und den Sturz der Shang verursachte. Danach blieb das Klima so extrem wie unvorhersehbar, denn die Region lag am Nordrand des Monsungürtels um Asien. Schwere Regenfälle im Sommer oder Herbst konnten dazu führen, dass der Fluss über die Ufer trat und die Ebene überschwemmte, Dörfer zerstörte und das Land auf Jahre hinaus ruinierte. Zu anderen Zeiten blieb der Regen aus und verursachte Hungersnöte. Im 7. Jahrhundert v. Chr. wurden Hungersnöte in offiziellen Dokumenten genannt, und im 4. Jahrhundert erreichten sie krisenhafte Ausmaße. Über die Bauern schrieb der Philosoph Mengzi (Mencius): „In guten Jahren ist ihr Leben stets mühevoll, und in schlechten Jahren ist ihnen der Tod gewiss.“37

Unter den Shang wurde sehr viel Holz zum Schmelzen von Kupfer und Zinn für die zahlreichen Kupferobjekte verbraucht, für welche diese Dynastie berühmt ist.38 Die auf sie folgende Zhou-Dynastie (1046–221 v. Chr.) war nach den Worten des Sinologen Mark Elvin „eine Kultur, die auf der Entwaldung beruhte. Ganz bewusst und voller Leidenschaft“.39 Die letzten beiden Jahrhunderte der Zhou-Dynastie sind als „Zeit der streitenden Reiche“ bekannt, weil die Einführung des Eisens zu ständigen Kämpfen zwischen den regionalen Herren beitrug. Das Eisen erlaubte den Bauern auch, Wälder zu roden und Wendepflüge auf dem schwereren Schwemmland am Unterlauf des Gelben Flusses einzusetzen.40


Abb. 4: China mit der Grenze der 50 cm-Regenmenge. Nördlich und östlich davon reicht der Regen für Landwirtschaft nicht aus.

Wälder waren einmal der Lebensraum von Tigern, Elefanten, Nashörnern und anderen Tieren, die seit Langem aus China verschwunden sind. Die Shang-Könige veranstalteten in jedem Winter königliche Jagden. Der Hof und die städtische Oberschicht verzehrten viel Wild, vor allem Rotwild, aber auch Bären, Panther, Schneegänse, Tauben und andere Tiere, sowie Honig, Haselnüsse und andere Waldprodukte. Die Zhou rechtfertigten den Sturz der Shang teilweise mit der Notwendigkeit, die Gegend von Tieren zu säubern. Ein Zhou-Herrscher „trieb die Tiger, Leoparden, Nashörner und Elefanten weit weg, und die Welt war hoch beglückt“.41 Um 1000 v. Chr. gab es Elefanten nur noch südlich des Flusses Huai, der Nord- von Südchina trennte.42

Während der Qin- (221–206 v. Chr.) und Han-Dynastien (206 v. Chr.–220 n. Chr.) blieb das Tal des Gelben Flusses der Kern des chinesischen Staats wie schon unter den Shang und den Zhou. Dort lebte die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung, die auf 40–60 Millionen Menschen anwuchs, ähnlich wie im Römischen Reich. Kriege, Städtebau und staatliche Versuche der Ansiedlung von Bauern, um die Lebensmittelproduktion zu steigern, beschleunigten das Abholzen der Wälder. Eisenäxte erleichterten die Rodung, um Ackerland zu schaffen und Brenn- und Bauholz zu produzieren. Bauern lernten neue Techniken, die großen Arbeitsaufwand erforderten: Tiefpflügen, das Aufbrechen der Erdklumpen, um die Feuchtigkeit zu halten, Jäten, Düngen und den Wechsel von Getreide und Gemüse.43 Küstenbewohner trieben Kiefernpfähle als Fundament für Dämme in den Schlamm. Die Kiefernwälder der Taihang-Berge zwischen Shanxi und Hebei wurden gefällt, um Tinte aus Kiefernruß für die wachsende chinesische Bürokratie herzustellen. Keramik- und Metallherstellung erforderten große Mengen Holz, das Eisenschmelzen und -schmieden verbrauchte Holzkohle. Im kalten Klima Nordchinas wuchsen die Bäume langsamer nach, als sie gefällt wurden.44 Laut dem Geografen Walter Mallory war das Ergebnis „eine viel umfassendere Entwaldung als in jeder anderen großen Nation“.45

Als die Wälder verschwanden, ließ der Regen die Lössböden erodieren und spülte sie in die Flüsse. Dadurch führt der Gelbe Fluss eine enorme Menge Schlamm mit.46 Die Chinesen, die ihn bis dahin nur „den Fluss“ genannt hatten, begannen ihn nun wegen der Farbe des Schlamms „gelb“ zu nennen. Han-Ingenieure schätzten, das Wasser bestehe zu 60 Prozent aus Schlamm. Im Gegensatz zum Nilschlamm, der das Land fruchtbar machte, enthielt der Schlamm des Gelben Flusses viel Kies und Sand. Sobald er die Niederung erreichte, lagerte er diesen Schlamm ab und hob sein Bett nach und nach um 3–12 Meter über dem umgebenden Land an. So schuf er das, was die Chinesen einen „hängenden Fluss“ nannten. Als der Fluss sich über der Ebene erhob, bauten die Bewohner immer höhere Deiche, um ihn einzugrenzen. Schon im 7. Jahrhundert v. Chr. warb die Regierung Arbeiter an, um die natürlichen Deiche zu verstärken. Diese Deiche wurden bis zu 10 Kilometer vom Flussufer entfernt gebaut, aber Bauern, die unbedingt gutes Land wollten, begannen die Flächen dazwischen zu beackern und bauten dann ihre Häuser und Dörfer dort. Ihr kurzfristiger Gewinn brachte ein langfristiges Risiko.47

Trotz der staatlichen Anstrengungen ließen schwere Regenfälle den Fluss immer wieder über die Deiche treten. Wenn das geschah, verteilte sich das Wasser über Tausende Quadratkilometer. Weil die Flussniederung so flach war, lief sie nur langsam trocken, dies konnte 2 oder 3 Jahre dauern. Regierungen und Rebellen verursachten manchmal Überschwemmungen aus taktischen Gründen. In der „Zeit der streitenden Reiche“ zerstörten die Armeen der kleinen nordchinesischen Königreiche regelmäßig Deiche, was Ernten vernichtete und Bauern ruinierte. Von 186 v. Chr. bis 153 n. Chr. zerstörte der Fluss durchschnittlich alle 16 Jahre die Deiche; in der schlimmsten Phase geschah es im Durchschnitt alle 9 Jahre. Er spülte Dörfer und Felder weg, tötete Tausende Menschen und machte Tausende andere obdachlos. Solche Deichbrüche kamen selbst in Zeiten der friedlichen Entwicklung regelmäßig vor, wenn Bäume gefällt, Land bebaut und Schlamm in die Flüsse gespült wurde.48 Kaiser Wu, der als größter Han-Kaiser gilt (reg. 141–87 v. Chr.), gründete seinen Ruhm zum Teil auf den Wiederaufbau der Deiche des Gelben Flusses nach ihrer Zerstörung bei einer großen Überflutung. Nachdem der Fluss von Neuem wiederholt über die Deiche getreten war, änderte er im Jahr 11 n. Chr. völlig seinen Lauf. Eine solche Katastrophe trat später noch mehrmals ein.49

Nördlich und westlich der nordchinesischen Ebene lag die riesige eurasische Steppe, die sich von der Mandschurei bis Ungarn erstreckte. Früher war sie das Reich wilder Tiere gewesen, nun lebten dort reitende Nomaden mit ihren Ziegen-, Schaf-, Pferde- und Rinderherden. Diese Tiere machten Gras zu Milch, Fleisch, Leder und Wolle, die die Hirten verbrauchten oder mit den Agrarstaaten weiter südlich handelten. Manchmal gab es statt friedlichem Handel Grenzüberfälle durch Völker, die den Chinesen als „Barbaren“ galten. Viele Jahrhunderte lang führten die Han Krieg gegen ihre nomadischen Nachbarn, die Xiongnu. Um sie zu besiegen, brauchten die Han Pferde, und Pferde ließen sich nur auf den Weiden züchten, die die Xiongnu beherrschten. Ab 129 v. Chr. stellte Kaiser Wu ein Heer von 500 000 Mann auf, davon die Hälfte Reiter, um die Xiongnu anzugreifen. Nach deren endgültiger Niederlage vier Jahrzehnte später befahl Wu Veteranen des Kriegszugs und armen Bauern, deren Land durch Überflutung zerstört worden war, die neu eroberten Gebiete westlich und nördlich des Gelben Flusses zu besiedeln.50

Macht euch die Erde untertan

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