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Die Justinianische Pest

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Kaum war der Klimaschock von 535–537 vorüber, als der Mittelmeerraum, der Nahe Osten und Europa von einer weiteren Naturkatastrophe getroffen wurden. Im Jahr 542 brach eine Pestepidemie in Konstantinopel aus.86 Dies war keine weitere der Seuchen, die die antike Welt heimsuchten und irrtümlich Pest genannt wurden. Es war das erste Auftreten der Beulenpest, die später unter dem Namen Schwarzer Tod zurückkehrte.87

Der Beulenpestbazillus wird von Flöhen, die im Fell von Nagetieren, besonders der Hausratte leben, auf den Menschen übertragen. Der Floh kann aber auch eine Weile in einer feuchten warmen Umgebung wie in Kleidungsstücken überleben. Wenn die Temperatur zwischen 15 und 20 Grad liegt, vermehrt sich der Bazillus im Magen des Flohs und hält ihn vom Fressen ab. Der überaus hungrige Floh sticht dann alles in seiner Umgebung. Da Hausratten gern Getreide fressen und damit in der Nähe von Menschen leben, springen ihre Flöhe leicht auf Menschen über.88

Sobald ein Mensch infiziert ist, hat die Krankheit eine Inkubationszeit von 1–6 Tagen, bevor sie in Beulen ausbricht. Vor der Entdeckung von Antibiotika überlebten 20–40 Prozent der Kranken, Kaiser Justinian war einer dieser Glücklichen. Der Bazillus kann auch durch die Luft von einem Menschen zum anderen übertragen werden und verursacht dann Lungenpest oder Pestsepsis, die sehr ansteckend und stets tödlich ist. In dicht besiedelten Städten wie Konstantinopel verbreitete sich die Krankheit wohl ebenso stark auf diese Weise wie durch Ratten.89

Prokop hat die Symptome beschrieben:

Sie bekamen plötzlich Fieber, entweder beim Erwachen aus dem Schlaf oder beim Umhergehen oder bei irgendwelcher sonstigen Tätigkeit. Gegen früher unterschied sich dabei der Leib weder in Hautfarbe noch fühlte er sich trotz des Fieberanfalles heiß an; nicht einmal eine Entzündung war zu beobachten. Das Fieber trat vielmehr anfangs und bis zum Abend hin so schwach auf, daß die Erkrankten selbst oder der behandelnde Arzt mit keinerlei Gefahr rechneten; denn niemand von den Befallenen schien daran sterben zu müssen. Indessen entstand teils noch am gleichen, teils am darauffolgenden Tage, teils auch wenige Tage später eine Schwellung, und zwar nicht nur dort, wo auch der Bubon [Leiste] genannte Körperteil am Unterleib sich befindet, sondern auch in der Achselhöhle, bei einigen sogar neben den Ohren und irgendwo an den Schenkeln.90

Laut Prokop wurde die Seuche zuerst 540 in Pelusium (oder Pelusion) bemerkt, einem Hafen an der ägyptischen Mittelmeerküste.91 Wie er dahin kam, ist noch ungeklärt. Johannes von Ephesos schrieb: „Es begann unter den Völkern im Inneren der Länder des Südostens, d. h. von Indien, von Kush, von Himyar und anderen“, aber er brachte offensichtlich Indien, Kush (im heutigen Sudan) und Himyar (ein Königreich im Südjemen) durcheinander.92 Der Kirchenrechtler Euagrios Scholastikos, der 50 Jahre nach den Ereignissen schrieb, behauptete: „Man sagte damals und heute, es habe in Äthiopien begonnen.“93

Der Historiker William McNeill hat angenommen, die Epidemie sei im Vorland des Himalaya zwischen Nordostindien und Südchina entstanden, von wo sie sich über Indien und das Rote Meer bewegte.94 Fast alle anderen modernen Historiker vermuten einen Ursprung in Zentral- oder Ostafrika, vielleicht weil die Krankheit heute bei Nagetieren in diesen Regionen gefunden wird.95 In jüngster Zeit haben Genetiker, die diese Seuche erforschen, Anhaltspunkte gefunden, dass sie damals in Afrika nicht existierte, sondern aus Ostasien kam, entweder aus China oder Tibet.96

Nachdem die Pest Pelusium erreichte, verbreitete sie sich entlang der Schifffahrtsrouten nach Alexandria, Palästina und Syrien. Als sie Anfang 542 Konstantinopel erreichte, soll sie 4 Monate lang täglich 5000–10 000 Menschen getötet haben.97 In Westeuropa erreichte sie 543–544 Genua und Marseille und 549 England und Irland. In den 570er- und erneut in den 580er-Jahren zog die Pest entlang der Rhone und Saône nach Gallien. 558, 588–591 und danach durchschnittlich alle 9–12 Jahre kehrte sie in den nördlichen Mittelmeerraum zurück. Etwa um 650 verschwand sie aus Europa, zum Teil, weil Reisen nach und Handel mit dem Nahen Osten und Nordafrika nach den arabischen Eroberungen stark zurückgingen.98

Inzwischen hatte die Pest sich nach Mesopotamien, Armenien und an die Westgrenzen des Iran ausgebreitet. 627–628 brach im mesopotamischen Ktesiphon, der damaligen Hauptstadt des Sassanidenreichs, die „Pest des Shirawayh“ aus. Im selben Jahr traf sie eine muslimische Armee in Emmaus bei Jerusalem. In Syrien, Mesopotamien und Persien gab es 634–642, 688–689, 706, 716–717 und 747 weitere Ausbrüche. Dann verschwand sie für fast 700 Jahre.99

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